von Bernd Perplies
„Side Quest: Nemesis“ kommt in einer kleinen (15x15x3,5 cm), handlichen Box daher und lockt schon auf dem Cover mit dem düsteren, unheimlichen Motiv eines Raumsoldaten, der in den seltsam eingesponnenen Korridor eines Raumschiffs vordringt. Assoziationen an den Film „Aliens“ (1986) von James Cameron liegen da nahe, was natürlich dem Brettspiel-Setting von „Nemesis“ geschuldet ist, das sich insgesamt recht deutlich von dem Science-Fiction-Blockbuster hat inspirieren lassen. Der Intro-Text verstärkt dieses Gefühl noch: Wir übernehmen Captain Jessica Kowalski, die zusammen mit ihrem Team von einem Konzern den Auftrag bekommt, ein Schiff zu bergen, das sich nicht mehr meldet. Man soll nach der Crew schauen und die Ware unbedingt sicher zur Erde bringen. Doch schon vor dem Andocken folgt die Hiobsbotschaft: Alienorganismen haben sich in dem Raumer breitgemacht. Und auf einmal wird die Mission zu einem Rettungseinsatz unter Lebensgefahr …
Mehr „Aliens“, ganz ehrlich, geht nun wirklich nicht. Aber das ist erst einmal kein Ausschlusskriterium, wir mögen ja alle „Aliens“. Noch besser gefällt der Satz, der direkt nach dem Öffnen der Schachtel ins Auge fällt: „Dieses Spiel hat keine Anleitung!“ Großartig. So etwas gefällt dem leidgeplagten Regelwerkewälzer. Man kann also direkt loslegen, ohne jede Vorbereitung. Das hat in Genre-Spiel-Kreisen eher Seltenheitswert. (Ich gestehe, ich habe noch nicht viele Rätselspiele gespielt, vielleicht ist es hier ganz normal.)
Ein bisschen Aufbau gibt es dann aber doch. So werden zwei Faltbögen seitlich in die Unterseite der Spielbox gesteckt, sodass sich ein dreidimensionaler Raum ergibt, im vorliegenden Fall die Kälteschlafkammer, in der die Besatzung des Schiffs liegt, die wir retten sollen. Das ist ein netter visueller Gag auf dem Tisch, der am Ende auch spielerisch genutzt wird. Dann legen wir die gute Jessica aus, platzieren links und rechts den Stapel mit Infektionskarten beziehungsweise Ereigniskarten und legen den aus sechs Karten bestehenden Raumschiff-Spielplan aus, der uns von der Brücke bis zur Kälteschlafkammer leiten wird.
Zuletzt lernen wir noch anhand eines Beispiels, wie die clevere Antwortmatrix genutzt wird, ein Bogen, auf dem man sieben verschiedene Papp-Marker (mit individuellen Farben, Zahlen und Symbolen) platzieren kann. Die Matrix ist am oberen Rand mit den Buchstaben A bis I markiert, die den neun Rätseln im Spiel entsprechen, die die Matrix nutzen. All diese Rätsel zielen darauf ab, dass man eine Abfolge von vier Farben, Zahlen oder Symbolen ermittelt, die dann den Markern entspricht, die man untereinander auf die Matrix legt. Dabei verrät einem die Matrix nicht nur, ob die Lösung des Rätsels stimmt, sondern auch, mit welcher der 29 Storykarten man die Geschichte weitererzählt. Es gibt aber auch andere Rätsel, die schlicht eine Entscheidung verlangen. Ob man hier die richtige Wahl getroffen hat, verrät ein zweiter Faltbogen, der nicht nur Hinweise zu den Rätseln liefert, sondern auch die Folgen der Entscheidungsparts verrät.
So dringen wir Raum für Raum durch das Raumschiff vor, treffen natürlich auf besagte Alienorganismen und versuchen, die Mission zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Das klappt über weite Teile wirklich gut und macht auch Laune zu spielen, wenngleich die Handlung wirklich keine Innovationen bietet. (Aber erneut: Wir mögen ja alle „Aliens“.) Die Rätsel sind dabei eine schöne Mischung und mit etwas Mitdenken auch überwiegend gut zu lösen. Einzig zum Ende hin findet sich ein deutlicher Fehler (einem Ergebniswort fehlt im Deutschen schlicht ein Buchstabe, auch wenn man sich das Wort erschließen kann), außerdem sind zwei Rätselteile nicht ganz intuitiv, weil einmal eine Farbe auf einem Spielmaterial nicht so recht passen will, und einmal die Aufgabestellung (was machen die Feinde genau) leicht unklar bleibt. Trotzdem lässt sich das Abenteuer natürlich lösen, zur Not halt mit kleinen Hilfestellungen.
Je nachdem, wie man sich geschlagen hat, bietet das Spiel übrigens vier Enden an, die indes alle etwas finster daherkommen – beliebt bei polnischen Spielen. Mehr als ein Pyrrhussieg ist kaum drin. Das muss man nach all der Knobelei wegstecken können. Die Spieldauer von ca. 90 Minuten kann man vermutlich gut halten, wenn man konzentriert bleibt. Wir haben länger gebraucht, aber wir haben uns auch zwischendurch unterhalten und so einen netten Spielenachmittag mit „Side Quest: Nemesis“ gefüllt. Wie so viele Rätselspiele, ist auch dieses hier ohne Wiederspielwert. Wenn man die Aufgaben einmal gelöst hat, kennt man sie halt. Variation für weitere Runden gibt es nicht. Schön immerhin: Es muss kein Spielmaterial zerstört werden; das Spiel lässt sich also gut weitergeben.
Ein kleiner Tipp noch zum Schluss: Am unteren Ende des Kartenstapels befindet sich eine Stopp!-Karte. Die verdeckt anfangs eins der Enden. Sonst scheint sie keinen Zweck zu erfüllen. Es bietet sich aber an, sie während des Spiels auf den nummerierten Storykartenstapel zu legen, sonst hat man die Lösungszahl eines Rätsels gegebenenfalls schon versehentlich auf der Folgekarte erspäht, obwohl man das gar nicht wollte.
Fazit: „Side Quest: Nemesis“ sieht sehr atmosphärisch aus und bietet einige nette Kniffe, die es von anderen Rätselspielen (soweit mir bekannt) abhebt. Die Rätsel sind abwechslungsreich und niemals unfair, auch wenn gegen Finale an zwei bis drei Stellen kleinere Mängel in der Umsetzung existieren. Von der Handlung her wird gnadenlos klassische „Aliens“-Kost geboten, auf unerwartete Wendungen wurde verzichtet. Wir hatten unterm Strich einen sehr unterhaltsamen Nachmittag und spähen durchaus neugierig in Richtung der anderen „Side Quest“-Spiele.
Side Quest: Nemesis
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 14 Jahren
Jakub Caban, Bartosz Idzikowski
Grimspire 2024
EAN: 4255682704784
Preis: 20,00 EUR
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