Schnitzeljagd

Vorsicht im Wald: Es ist Jagdsaison! Diesmal haben aber die menschlichen Jäger Pause, denn die Tiere des Waldes machen das unter sich aus. Und dabei ist der Bär nicht so sehr wählerisch, ob er einen Luchs oder eine Maus frisst, um sein Hüngerchen zu stillen.

von Oli Clemens

Wie toll wäre es, wenn du nur mit 5 Spielkarten und einer Übersicht sofort in ein Spiel einsteigen könntest? Du bräuchtest noch nicht einmal mischen, denn alles, was du tust, bestimmst du einfach. Und schon sind wir mitten drin in „Schnitzeljagd“.

Bevor ich auf den Ablauf und die minimalistischen Regeln eingehe, möchte ich euch aber bitten, eure Sonnenbrille zu suchen, denn die Karten, mit denen ihr spielt, sind in einer ungewohnt grellen Neon-Optik gestaltet. Vor allem die Farbe Orange beißt herzhaft in die Augen, und es braucht sicher einen Moment, bis man sich in das ungewohnte Farbschema bei „Schnitzeljagd“ eingefunden hat.

Eine Jagd besteht aus maximal drei Runden. Alle haben die 5 gleichen Karten in der Hand mit den Werten von 1 bis 5. Der Bär hat die 1, die Maus die 5, und dazwischen tummeln sich in aufsteigender Werte-Reihenfolge Wolf, Luchs und Eule. Die Zahl steht jeweils für die Punkte, die euch das Tier bringt, sofern es die Runde überlebt.

Der Chef im Wald ist eindeutig der Bär, denn er steht in der Fress-Hierarchie ganz oben. Ihm kann man nicht entgehen, doch er bringt nur einen einzigen, winzigen Punkt für die Abrechnung. Die Maus hat nichts zu melden, kann sich aber geschickt durch eine Runde mogeln, um dann 5 Punkte zu bringen. Und so funktioniert die Jagd.

Alle spielen gleichzeitig verdeckt eine Karte aus der Hand aus. Dann werden in der Reihenfolge der Übersichtskarte die Tiere aufgerufen. Los geht’s mit dem Bären. Dann müssen eben alle, die einen Bären verdeckt vor sich liegen haben, diesen aufdecken. Sollten jetzt zwei oder mehrere Personen die Bärenkarte ausgespielt haben, dann findet keine Jagd statt. Die Tiere können sich nicht einigen. Alpha-Gehabe eben. Dafür kommen die Bären-Karten in den eigenen Punktevorrat. Dieser Mechanismus gilt immer, wenn zwei identische Tier-Karten aufgedeckt werden, egal welcher Art.
Das große Fressen geht aber dann los, wenn nur eine einzige Tierkarte beim Aufrufen umgedreht wird. Dann nennt die entsprechende Person ein anderes Tier mit größerem Wert. So kann beispielsweise der Bär sich aus dem vollen Menü bedienen, der Wolf immerhin noch den Luchs und natürlich auch die Eule und die Maus aufrufen, aber nach unten wird die Auswahl dann schon kleiner.

Alle, die das genannte Tier verdeckt vor sich ausgespielt haben, sind jetzt gefressen. Sie scheiden für den Rest dieser Jagd aus. Da kann es auch schon mal sein, dass man nach weniger als einer Minute zuschaut, weil der Bär zugeschlagen hat. Gibt es keine Übereinstimmung, bleibt die Karte einfach offen liegen und das nächste Tier wird in der Reihenfolge der Übersichtskarte aufgerufen. Nach dem Bär folgt der Wolf, dann der Luchs, gefolgt von der Eule und zum Schluss die Maus.

Wer Beute gemacht hat, zieht sich satt und zufrieden für den Rest der Runde zurück und beobachtet das weitere Geschehen, denn was jetzt noch passiert, kann durchaus die Taktik in der nächsten Runde verändern.

Am Ende einer Jagd wird geprüft, ob noch zwei oder mehr Personen die Jagd überlebt haben. Dann wiederholt sich der Ablauf noch maximal zweimal. Ist nur noch eine Person übrig oder ist die dritte Jagd erfolgt, endet der Durchgang und es gibt Punkte in Form von Siegmarkern. Wer im Verlauf einer Partie fünf dieser grell-orangenen Chips gesammelt hat, gewinnt „Schnitzeljagd“.  

Interessant wird das Spiel nicht durch den Mechanismus, denn der ist ja fast schon banal einfach. Spannung kommt durch das auf, was bereits passiert ist. Die entsprechenden Tiere sind ja dann nicht mehr in der Jagd vertreten. Sind die Bären erstmal aus dem Spiel, werden die Wölfe zu den Chefs im Wald. Gleichzeitig kann man mit ein bisschen Glück – oder genügend Gequatsche – vielleicht seine Maus durchbringen. Überhaupt ist „Schnitzeljagd“ ein Spiel, dessen Freude sich dann erst richtig entfaltet, wenn am Tisch ausgiebig geredet wird! Versucht ruhig zu bluffen oder die anderen zu manipulieren! Dann entsteht die Dynamik, die das Spiel hervorragend zu einem Absacker nach einem langen Spieleabend werden lässt.

„Schnitzeljagd“ liebt also die Extrovertierten, die Vielschwätzer, die Trash-Talker. Um in der Tier-Analogie zu bleiben: Lautes Brüllen kommt besser! Und dann entfaltet sich auch die Deduktion des Spiels in einer beeindruckenden Dynamik. Denke ich nämlich, dass du denkst, dass ich gleich die Eule ausspiele, kann ich wiederum den Luchs legen, damit du falsch gedacht hast. Aber das hast du ja vielleicht schon vorweg genommen und stattdessen den Wolf genommen. Also denke ich noch richtig?

Bleibt es dagegen in der Runde still, wird „Schnitzeljagd“ zu einem uninspirierten Abspielen von Karten und verschließt das Potenzial seiner schlichten Genialität.

Fazit: „Schnitzeljagd“ ist wahnsinnig schnell erklärt und gespielt. Es erinnert an „Love Letter“, aber mit weniger Rollen, die man sich merken muss. Hier ist nur die Wertigkeit der Tiere auf der Übersichtskarte relevant. Und die geht eigentlich schon nach Momenten in Fleisch und Blut über. Illustratorin Nele Brönner hat sich einen Namen in der Kinderbuchszene gemacht, und ihr persönlicher Stil scheinen kontrastreiche Darstellungen zu sein, wie wir sie auch in „Schnitzeljagd“ sehen. Die außergewöhnliche optische Gestaltung kann man mögen, muss man aber nicht. Bleibt die Frage nach der Zielgruppe. „Schnitzeljagd“ ist sicher ein Familienspiel, Aber das ist kein Ausschlusskriterium für Leute, die gern im Kennerbereich oder darüber unterwegs sind. Denn letztlich ist es eine Frage, wie sehr man die Meta-Ebene durch Trash-Talk bedient.

Schnitzeljagd
Kartenspiel für 2 bis 5 Spieler ab 8 Jahren
Brett J. Gilbert, Matthew Dunsten, Nele Brönner
Edition Spielwiese 2023
EAN: 4250231737213
Sprache: Deutsch
Preis:12,99 EUR

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