Road of Bones

Wenn die Temperaturen täglich steigen, die Sonne von früh bis spät auf uns herabscheint und der Sommer sich so unaufhaltsam bemerkbar macht, dann mag eine Abkühlung äußerst gelegen kommen. Wie wäre es mit dem neuesten Roman von Christopher Golden mit dem Titel „Road of Bones – Straße des Todes“? Denn dieser Horror-, Thriller- und Geschichtsroman lässt das Blut in den Adern gefrieren – nichts für schwache Nerven!

von Daniel Pabst

Der neueste Roman von Christopher Golden ist bei Cross Cult erschienen. Nach „Red Hands“ (2022), welcher in den Vereinigten Staaten von Amerika spielte, geht es diesmal nach Russland – genauer gesagt: auf die „Kolyma-Fernstraße“. Auf 327 Seiten folgen wir dieser Straße und machen Abstecher in Dörfer und Wälder, die angrenzen. Was wie ein Roadmovie klingt, lässt den wahren Horror am Namen des Buches erkennen. Bei der „Road of Bones“ handelt es sich um eine reale Straße, unter deren Asphaltschicht Gebeine und Schädel liegen.

Um diesen Titel und die darunterliegende Grausamkeit einzuordnen, daher eine Zusammenfassung über die „R504 Kolyma“, die Christopher Golden diesem Roman bewusst zugrunde gelegt hat. Diese Fernstraße mit 2032 Kilometern liegt in der Republik Sacha (Jakutien) und der Oblast Magadan in Russland. Der Name stammt vom Fluss Kolyma. Zum Bau durch die unwirkliche und eisige Natur wurden Häftlinge gezwungen. Wenn einer von ihnen bei der unmenschlichen Arbeit verstarb, so wurde er nicht begraben, sondern unter die Straße gelegt.

Diese Verbrechen wurden lange „unter den Teppich gekehrt“, sodass es für Christopher Golden ein Anliegen war, den realen Horror mit einer fiktiven Geschichte zu verknüpfen – in der Hoffnung, den Verstorbenen zu gedenken und an die grausame Stalin-Herrschaft mit den sowjetischen Straf- und Arbeitslagern zu erinnern.

Um diesen Teil der Geschichte in eine fiktive Geschichte zu packen, bedarf es einiges an Fingerspitzengefühl – was Christopher Golden mit „Road of Bones“ gelungen ist.

Im Fokus von „Road of Bones“ stehen die beiden Arbeitskollegen und Freunde: Felix Teigland („Teig“) und Jack Prentiss. Die beiden sind aus den Vereinigten Staaten von Amerika angereist und wollen Filmmaterial für eine neue amerikanische Dokumentarreihe finden, um über die kältesten Orte an der „Straße der Knochen“ zu berichten. Sie erhoffen sich, außergewöhnliche Geschichten erzählt zu bekommen, bewegende Naturschauspiele einzufangen, seltene Tiere vor die Linse zu bekommen, und die Lebensumstände bei Temperaturen von bis zu minus 50 Grad zu dokumentieren.

Tatsächlich gibt es bewohnte Dörfer entlang der eisigen Route. Ein Sprichwort auf Kolyma heißt jedoch nicht ohne Grund: „Man darf nichts zu verlieren haben, um heute hier leben zu wollen.“ Die beiden Freunde riskieren für den Ruhm nicht nur ihre Gesundheit, sondern ihr Leben. Gleich zu Beginn schliddert ihr Wagen über die vereiste Straße und vermittelt die unmissverständliche Warnung, dass bei einem Motorschaden oder nicht ausreichend Benzin im Tank die Fahrt beendet sein wird und einzig der Tod durch Erfrieren folgt …

Was bei dieser „Fahrt“ besonders eindringlich vermittelt wird, ist zudem, dass der Mensch sich in den noch so menschenfeindlichen Regionen ein Zuhause aufbauen kann. Seien es die Betreiber einer Tankstelle mit kleinem Restaurant oder die Inhaber einer Bar für rastende LKW-Fahrer, sei es ihr „Reiseführer“ namens Kaskil oder eine verschlossene Einwohnerin namens Nari – sie alle widerstehen dem inneren Trieb, in eine andere (wärmere) Gegend zu ziehen. Ihr Herz lässt sie nicht fort.

Teig und Prentiss lernen somit schon früh, dass es wichtigere Sachen gibt, als es die amerikanische Kultur ihnen vermittelt. Auch erfahren wir mit ihnen, dass der Lebensstil der Einheimischen, philosophisch betrachtet, zeigt, dass es wenig braucht, um „glücklich zu sein“. Wie wohlig kann ein Abend in geselliger Runde sein, wenn draußen die Wölfe heulen, Schnee unaufhörlich fällt und das Thermometer zweistellige Minusgrade anzeigt.

Doch dieser „Road-Trip“ wird nicht lange diese positive (Lebens-)Philosophie vermitteln. Die Ankunft im Heimatdorf ihres Reisebegleiters wird zu einem geisterhaften Erlebnis. Die Stadt ist – bis auf ein kleines Mädchen – verlassen! Wo sind die restlichen Einwohnerinnen und Einwohner hin? Sie scheinen ihre Häuser fluchtartig aufgegeben zu haben. Da passt es, dass sich Prentiss an einen vergangenen Urlaub nach Pompeji erinnert – die Stadt, die 79 n. Chr. vom Vesuv mit Asche begraben wurde, und mir ihr auch die Bewohner. Im fernen Osten Russland aber lag es an keinem Vulkan. Dort ist etwas anderes im Gange …

Plötzlich huschen Schatten durch die Wälder entlang der Straße. Erst einer, dann zwei, und schließlich ist es ein Rudel Wölfe, das auftaucht. Diese Tiere haben etwas Unwirkliches und jagen den Dokumentarfilmern und ihren Begleitern nach. Mit den Wölfen scheint sich die Natur ihr Land zurückholen zu wollen. Wie nach einem Kriegsschrei gefriert den Beteiligten das Blut in den Adern. Und dann ist da noch das einsame Mädchen Una, dass keine Regungen zeigt und von dem keiner weiß, was es erlebte – geschweige denn warum es zurückblieb?

Christopher Golden wäre nicht Christopher Golden, wenn er es als Autor nicht schaffen würde, den Horror aufrechtzuerhalten. Durch die angenehme Seitenanzahl von (nur) 327 Seiten wird die Fahrt auf der „Kolyma-Fernstraße“ zu einem Leseerlebnis, welches Seite um Seite von immer schockierenden Ereignissen berichtet. Ist dies also eine Reise ohne Rückkehr – also ein „Hin“ und „Nie mehr zurück“? Und was macht es mit uns Menschen, wenn wir irgendwann den Eindruck gewinnen, eines Tages für immer „vergessen“ zu werden?

Diese Spannung korrespondiert mit dem Geschichtsbezug von Christopher Golden. Die Gefühllosigkeit, die dazu führte, dass Menschen zum Bau der „Road of Bones“ gezwungen wurden, sich zu Tode arbeiten mussten und würdelos liegen gelassen wurden, spiegelt nunmehr die Natur wider. Diese Kälte, die ihre Opfer zermürbt und langsam sterben lässt, wird allein durch die Freundschaft und Menschlichkeit der Reisenden unterbrochen.

Fragt sich nur, wie lange diese die Stärke aufbringen können, sich dem eigenen Tode zu entziehen? Für die Leserschaft wird diese Frage zu einer „mentalen Folter“. Durch die fortlaufende Entwicklung der Figuren und den sehr kleinen Kreis an Beteiligten (hinzu kommt noch ein lokales Ehepaar, eine Frau namens Ludmilla sowie eine sonderbare Waldgestalt namens Parnee) schmerzt es umso mehr, wenn ihnen etwas zustößt.

Wer Filme wie „The Thing“ (John Carpenter, 1982) oder „The Revenant“ (Alejandro G. Inárritu, 2015) gerne gesehen hat, der ist bei diesem Titel goldrichtig. Es wäre interessant, wenn sich auch hier ein Regisseur (oder eine Regisseurin?) finden würde, diesen Roman zu verfilmen und die Geschichte auf die Leinwand zu bringen. Selbst wenn das nicht lukrativ genug sein sollte, so gibt es jetzt mit dem Roman „Road of Bones“ genug Sätze, die bereits in ihrer geschriebenen Form schaurig und eindrucksvoll sind.

„Sein Überlebensdrang brannte wie ein Ofen in seiner Brust, aber er wurde irgendwie von anderen Instinkten überlagert – Prentiss retten, Una zu beschützen (…). Sein Schädel und seine Zähne klapperten in seinem Kopf, die Reifen rumpelten auf der grauen Straße. Die Kälte war durch den Spalt im Fenster eingedrungen. Frost bildete sich auf dem Glas (…). Er trat auf die Bremse, die Reifen gruben sich dabei in die Straße, doch der Jeep geriet auf Glatteis und rutschte (…). Der Aufprall fühlte sich an wie eine Explosion. Er klang auch wie eine. Berstendes Glas. Der Airbag traf sein Gesicht. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.“

Leseprobe

Fazit: Die Fernstraße, die über Menschenknochen führt, heißt: „Kolyma“. Dass Christopher Golden diese nicht für seinen Roman besuchte, wird beim Lesen allzu verständlich und zeigt zudem, dass es für einen richtig guten (Horror-)Roman ausreicht, wenn man Einfühlvermögen und Fantasie mitbringt. Die eisige Landschaft wird sehr bildhaft beschrieben und erschreckend genau in die heimischen vier Wände transportiert (für den besonderen „Kick“ könnte dieses Werk auch auf einer verlassenen Bank im Wald gelesen werden). Es ist daher sehr empfehlenswert, sich auf dieses neue Werk und seinen Inhalt einzulassen. Ratsam wäre es, sich vorher einen heißen Tee einzugießen und eine warme Kuscheldecke zur Seite zu legen – nur für den Notfall, versteht sich …

Road of Bones
Roman
Christopher Golden
Cross Cult 2023
ISBN: 978-3-96658-989-5
327 S., Hardcover, Deutsch
Preis: EUR 26,00

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