Rising Sun

Lange waren die großen Kami vergessen, doch jetzt sind sie zurückgekehrt, verägert über die Taten des herrschenden Shoguns. Im Frühling riefen sie ihre Klane zusammen und gaben ihnen die Aufgabe, das Land der aufgehenden Sonne zurückzuerobern. Nun werden Bündnisse geschmiedet und gebrochen und es gilt, die Kunst des Krieges wie auch der Verhandlung zu meistern. Denn am Ende des Jahres, wenn der Winter kommt, kann es nur einen neuen Shogun geben …

von Frank Stein

„Rising Sun“ ist ein Brettspiel von Eric M. Lang für 3 bis 5 Spieler, das in einem mystischen Japan der Feudalzeit angesiedelt ist. Drei Jahreszeiten lang – Frühling, Sommer und Herbst – führen die Spieler als Shogun jeweils ihren Klan. Sie schmieden und brechen Bündnisse, beten die Kami an, ernten Ressourcen, rekrutieren Truppen und positionieren sie dann strategisch und versuchen sich dabei stets ihre Ehre zu bewahren (oder auch nicht). Ziel ist es, möglichst viele Siegpunkte zu ergattern, denn der Spieler, der die meisten Punkte hat, wenn mit dem Winter die Schlusswertung erfolgt, gewinnt das Spiel.

Das Spielmaterial

Das Spiel aus dem Hause CMON (auf Deutsch von Asmodee) wurde von Adrian Smith illustriert, und schon auf der farbenprächtigen Spielbox beweist der Künstler sein Talent. Ebenso detailreich wie schonungslos entführt er die Spieler in ein Japan, in dem zornige Götter Menschen und Dämonen aufeinander hetzten. Das sieht höchst atmosphärisch aus und ist wohl mit ein Grund, weswegen das Spiel damals auf Kickstarter so ein Erfolg war (mehr als 31.000 Backer haben mehr als 4 Millionen Dollar investiert).

Die hohe Qualität des Spielmaterials setzt sich auch im Inneren fort. Der Spielplan zeigt eine künstlerische Darstellung von Japan, zu der die Spielkarten und Spielmarker in ihrer reduzierten, aber eleganten Optik gut passen. Die Spielmarker bestehen übrigens aus extrem harter Pappe, die Plastikspielmarker – ein beliebtes Add-On bei CMON-Kickstartern – diesmal wirklich überflüssig gemacht haben (als Stretch Goal gab es sie trotzdem).

Der eigentliche Hingucker sind natürlich, typisch für CMON, die Miniaturen, die ausgesprochen detailreich daherkommen und ein wahres Fest für Fans sind, die gern ihre Minis bemalen. Das gilt natürlich vor allem für die wuchtigen Monster, die sich für bahre Münze rekrutieren lassen. (Wobei diese nicht nur brachial aussehen, sondern zum Teil sogar recht starke Effekte haben. Zugegeben sind manche Riesenbrocken auch eher Schwachbrötchen, die nur deshalb so groß zu sein scheinen, damit sie sich gut bemalen lassen.) Von der Aufmachung her ist „Rising Sun“ also thematisch großartig umgesetzt und eine wahre Augenweide.



Wie spielt es sich?

Zu Spielbeginn erhält jeder Spieler einen der fünf Klans. Jeder Klan spielt sich ein wenig anders. So hat der Schildkröten-Klan etwa bewegliche Festungen und der Bonsai-Klan reduziert die Kosten aller Jahreszeitenkarten und Festungen immer auf 1 Münze. Ein Klan besteht aus je 10 Figuren, genauer gesagt 6 Bushi/Fußsoldaten, 3 Shinto, die in Tempeln beten können, sowie einem Daimyo oder Anführer, der besonders widerstandsfähig ist. Im Frühling, der ersten Spielrunde, beginnt jeder Spieler mit diesem Daimyo, einem Bushi und einer Festung in seiner Heimatprovinz.

Das Spiel wird über drei Jahreszeiten – Frühling, Sommer und Herbst – gespielt, die aus je fünf Phasen bestehen.

In der „Vorbereitungsphase“ werden beispielsweise die neuen Jahreszeitenkarten offen ausgelegt (ein Stapel aus erwerbbaren Ereigniskarten, der zu Spielbeginn aus einem Basiskartenset und einem von drei unterschiedlichen Jahreszeitenkartensets gebildet wird). Außerdem erhält jeder Spieler Einkommen und in späteren Runden werden Geiseln gegnerischer Klans gegen Geld freigelassen.

In der „Teezeremonie“ können Spieler Bündnisse schließen. Das bringt sehr konkrete Vorteile. So genießen Bündnisparter gegenseitig die Boni der Aktionen, die in der Politikphase von ihnen gespielt werden. Daher ist so ein Bündnis immer überdenkenswert ist, auch wenn es ein paar Einschränkungen mit sich bringt, etwas, dass man seinen Bündnispartner in einer Provinz nicht bekämpfen kann. Stattdessen gewinnt immer der mit der größeren Stärke automatisch.

Die „Politikphase“ ist das taktische Herzstück von „Rising Sun“. In ihr geht ein Stapel mit Aktionskärtchen rund, von dem Spieler reihum jeweils vier Karten heimlich aufdecken und sich dann eine aussuchen dürfen, die sie auf die Politikleiste spielen. Hierbei kann man typische Aktionen auswählen. Man kann Einheiten rekrutieren oder bewegen, Jahreszeitenkarten kaufen, Ressourcen ernten oder mittels Verrat feindliche Einheiten in eigene umwandeln. (Was bei einem Bündnisparter zwangsläufig zum Bruch des Bündnisses führt.) Ein schöner Mechanismus hier ist, dass jede Karte aus zwei Teilen bestehen. Die obere Hälfte wird von allen Spielern ausgeführt, die untere nur vom aktiven Spieler und gegebenenfalls seinem Bündnispartner. Dreimal wird die Phase für eine Schreinwertung unterbrochen. Dabei wird geschaut, welcher Klan die meisten Shinto zu den verschiedenen Kami-Schreinen geschickt hat. Der bekommt dann jeweils einen Bonus.



In der „Kriegsphase“ schließlich kommt es zum Waffengang in allen Provinzen, in denen sich Einheiten mehrerer Spieler aufhalten. Der beginnt mit einem verdeckten Wettbieten um das Privileg, eine besondere Kampfaktion durchzuführen. So kann man beispielsweise eine Geisel nehmen und einen Siegpunkt vom betroffenen Spieler klauen oder mit dem Kaiserlichen Dichter für jede besiegte Figur einen Siegpunkt erhalten. Danach werden Stärkewerte verglichen. Der stärkere Klan erhält das Provinzplättchen, was Siegpunkte für die Endwertung bedeutet.

Zum „Abschluss“ werden Münzen und Marker zurück in den Vorrat gelegt, Shinto kehren in die Figurenreserve zurück und Aktionskärtchen werden vom Spielplan genommen.

Im Winter werden dann gesammelte Provinzplättchen, spezielle Provinzplättchen-Bonusse und Winterbonusse zusammengerechnet und der Sieger der Partie ermittelt.

Ein zusätzlich wichtiges Element des Spiels ist die Ehre eines Klans, die im ständigen Wandel ist. Dabei nehmen viele Effekte auf die Ehre Bezug, etwa ob ein Klan ehrenhafter als ein anderer ist oder ehrloser. Gemeinsam mit den Aktionsplättchen, den Shinto in den Schreinen und der Positionierung der eigenen Truppen auf dem Spielplan entsteht so ein komplexes Geflecht aus Variablen, die es zu beachten gilt, wenn man den Sieg in „Rising Sun“ einfahren will.

Dieses „Spielgefühl“ hat „Rising Sun“ übrigens den Ruf eingebracht, ein Nachfolger von „Bloodrage“ zu sein, das ebenfalls von Eric M. Lang ist und von sich bekriegenden Wikingerklans handelt. Das stimmt nur auf der abstraktesten Ebene und in dem Sinne, dass Spieleentwickler Lang gern mit einander beeinflussenden Spielmechanismen operiert, die man alle im Blick behalten sollte und die unterschiedliche Siegstrategien ermöglichen. Und, ja, es geht in beiden Spielen irgendwie um Gebietskontrolle und man kann Monster (dargestellt durch eindrucksvolle Miniaturen) rekrutieren. Darüber hinaus spielt sich „Rising Sun“ mit seiner Teezeremonie, der Politikleiste und den Kami-Schreinen doch deutlich anders.

Kickstarter oder nicht?

„Rising Sun“ war ursprünglich ein Kickstarter-Projekt. Diesen haftet mitunter der Ruf an, erst dann richtig Spaß zu machen, wenn man das ganze Zusatzmaterial auch besitzt. Das unterteilte sich bei „Rising Sun“ in zwei Bereiche. Zum einen gab es kosmetische Upgrades wie Plastik-Spielmarker, einen sechsten Klan und einen Schwung zusätzlicher Monster als „Exklusivprodukte“. Diese erweitern die Spieloptionen minimal. Ein paar weitere Monster, ein weiteres Jahreszeitenkartenset und eine Box mit Gestalt gewordenen Kami waren zusätzliche Stretch Goals, sind aber mittlerweile als „Kami Unbound“-Erweiterung beziehungsweise (auf Englisch) „Monster Pack“ und „Stronghold Pack“ käuflich erhältlich. Regulär zu kaufen gab (und gibt) es noch die „Dynasty Invasion“-Erweiterung (noch nicht auf Deutsch erhältlich), die noch zwei Klans und mehr Monster ins Spiel bringt.



Natürlich kann man bei Ebay nach wie vor Daimyo Pledges erwerben. Dann ist man aber zwischen 300 und 400 Euro los, zugegeben teilweise inklusive Neopren-Spielplan und Metallmünzen. Das muss man nicht investieren. Das Spiel spielt sich bereits nur mit der Grundbox ganz fantastisch. Und mit den erhältlichen Erweiterungen bekommt man auch mehr als genug Abwechslung. Das KS-exklusive Material ist dann nur für die beinharten „Rising Sun“-Fans.

Fazit: „Rising Sun“ ist ein Spiel, das nicht nur visuell unglaublich atmosphärisch und dazu mit tollen Miniaturen daherkommt, sondern auch ein paar sehr schöne Spielmechanismen bietet. Welche Bündnisse soll man eingehen? Welche Aktionskärtchen in die Politikleiste spielen? Wie bereitet man sich für die Kampfphase vor und soll man lieber einen Kampf verlieren, um einen anderen zu gewinnen? Man muss viele knifflige Entscheidungen treffen, die das Spiel durchgehend spannend machen. Allerdings dauert das Ganze auch. Hier darf man sich von der scheinbar kurzen Spieldauer mit 3 Runden nicht täuschen lassen. Je nach Spieleranzahl können dabei schon 3 Stunden ins Land gehen. Und aufgrund der vielen Miniaturen gehört „Rising Sun“ obendrein zur gehobenen Preisklasse an Brettspielen (wie übrigens sehr viele CMON- oder Ex-Kickstarter-Titel). Wer jedoch das Japan-Setting mag, die Zeit und das Geld investieren will und Spaß an (mittelschwerer) strategischer Planung hat, wird mit „Rising Sun“ verdammt stimmungsvolle Spieleabende verbringen können.

Rising Sun
Brettspiel für 3 bis 5 Spieler ab 14 Jahren
Eric M. Lang, Adrian Smith
Guillotine Games / CMON / Asmodee 2018
EAN: 4015566034259
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 89,99

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