von Bernd Perplies
Im Jahr 2200 – siebzig Jahre, nachdem das erste Raumschiff einer außerirdischen Intelligenz das Sonnensystem besucht hat – taucht ein zweites, äußerlich völlig identisches Gefährt auf. Die Menschheit hat unterdessen eine Finanz- und eine Glaubenskrise hinter sich, und mehr denn je blicken die Augen aller zum Himmel hinauf, auf der Suche nach Antworten oder vielleicht einem kleinen Wunder. So wird alsbald von der Erdregierung eine Expedition entsandt, um das fremdartige Schiff zu untersuchen. Unter den Teilnehmern befinden sich beispielsweise der selbstverliebte wissenschaftliche Leiter Dr. Brown, der streng gläubige General O’Toole, der geniale, aber menschenscheue Computerspezialist Richard Wakefield, der militaristische Admiral Heilmann, der insgeheim herzkranke Rama-Experte Takagishi und die resolute Ärztin Nicole Des Jardins.
Doch nicht nur Militärs und Wissenschaftler sind diesmal mit von der Partie, sondern auch die Presse in Gestalt der hinreißenden, aber intriganten Francesca Sabatini und ihres eifersüchtigen Technikers Reggie Wilson, um aus den Ereignissen während der Reise ein mediales Spektakel zu inszenieren. Tatsächlich verläuft nicht alles, wie geplant. Schon vor dem ersten Einstieg ins Innere von Rama II kommt es zu einem furchtbaren Unfall, der im Tod des leitenden Generals Borzow resultiert. Brown und Heilmann übernehmen daraufhin das Kommando und führen die Mission nach ihrem egozentrischen Gutdünken. Während Nicole Des Jardins das Gefühl hat, dass hier einiges nicht mit rechten Dingen zugeht, erforschen die anderen sukzessive die zylindrische Innenwelt des gewaltigen Raumfahrzeugs. Zunächst scheint alles zu sein, wie es die Norton-Expedition sieben Jahrzehnte zuvor angetroffen hat. Doch dann kommt es zu Zwischenfällen mit weiteren Toten – und Rama II geht auf Erdkurs …
„Rendezvous mit Übermorgen“ bildet nach „Die Wiege der Menschheit“ die zweite Zusammenarbeit von Arthur C. Clarke mit dem NASA-Ingenieur Gentry Lee. Zwei weitere „Rama“-Romane sollten noch folgen. Clarke holte Lee für „Rendezvous mit Übermorgen“ vor allem deshalb zurück ins gemeinsame Boot, weil er sich von ihm spannenden Input in Sachen Raumfahrttechnologie erhoffte. Ohne natürlich als Außenstehender sagen zu können, welche Teile des Romans von welchem der beiden Autoren letztlich verantwortet wurden, erscheint es aber kurioserweise vielmehr so, als habe Lee ein menschliches Element in die Geschichte gebracht. Denn während in „Rendezvous mit Rama“ alle Protagonisten noch mehr oder minder als Profis auftraten, steht hier plötzlich eine Riege von Charakteren vor uns, die von Schwächen und Neurosen gezeichnet sind. Beispielhaft hierfür stehen sicher der menschenscheue Shakespeare-Verehrer Wakefield und die von einem Jeanne-d’Arc-Trauma geprägte Nicole Des Jardins (englische und französische Literaturgeschichte ist laut Clarkes Nachwort übrigens Genrys Lees Feld der Expertise gewesen …).
Mehr noch als Band 1 der „Rama“-Reihe lässt sich der Roman Zeit, seine Geschichte zu erzählen. Auf knapp 600 Seiten, also doppeltem Umfang im Vergleich zu Clarkes Solo-Mission, wird der Vorstoß der Astronauten in die fremde Welt Ramas entfaltet. Das liest sich stellenweise ein wenig langatmig, vor allem, weil man mit dem Wunder des fremdartigen Raumschiffs als Leser bereits vertraut ist. Insofern sind es eher die zwischenmenschlichen Belange, die zum Weiterlesen anregen – wenn man denn als Leser an Zwischenmenschlichem interessiert ist. Im letzten Drittel nimmt die Geschichte dann eine recht bemerkenswerte Wende, als die Forscher auf außerirdisches Leben stoßen. Das kommt zwar nicht gänzlich unerwartet (irgendwann musste es ja geschehen), aber es gibt der bis dato extrem wissenschaftlich-technischen Annäherung an das Sujet einen etwas seltsamen Beigeschmack. So als habe sich ein Hauch von Däniken in ein Sachbuch über die Erforschung des Weltraums geschlichen. Das Ende kommt – wie schon im ersten Band – plötzlich und lässt mehr Fragen offen, als dass es Antworten gibt.
Fazit: „Rendezvous mit Übermorgen“ atmet nicht mehr ganz den Hauch eines Sience-Fiction-Klassikers, wie noch der Auftaktband der „Rama“-Reihe. Der Erzählfokus wird breiter, es stehen eher die Astronauten als das technische Wunderwerk im Vordergrund. Am Fortlauf der Handlung ist stellenweise ein wenig langatmig, und gegen Ende werden etwas zu oft seltsame Eigenheiten Ramas einfach nur konstatiert, statt dass irgendwelche Erklärungen geboten werden. Dennoch darf das Buch eigentlich in keinem gut sortierten Science-Fiction-Bücherregal fehlen.
Rendezvous mit Übermorgen
Science-Fiction-Roman
Arthur C. Clarke, Gentry Lee
Bastei Lübbe 2009
ISBN: 978-3-404-24380-8
605 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 8,95
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