von Jorge C. Kafka
Die Handlungsorte reichen vom Bornland über die Schwarze Sichel, die Wüste bis hin zur fernen Insel Altoum und weit darüber hinaus. Bis auf das letzte Abenteuer im Band sind alle in der jüngeren Zeit Aventuriens (um 1026 BF) angesiedelt. Als dankbare ‚Reiselektüre’ empfiehlt sich für den Meister als unterstützende Quelle die „Götter und Dämonen“-Box von Fanpro. Mit dem vorliegenden Band Nr. 123 wurde ein sogenannter „Einordnungskasten“ eingeführt, der jedem einzelnen Abenteuer voran steht. Er enthält wichtige Informationen für den Meister in kurzen Worten zusammengefasst: Ort, Zeit, Anforderungen an die Heldengruppe, einer stichwortartigen Inhaltsangabe und die Angabe der Religion, mit der sich das Abenteuer beschäftigt. Diese Neuerung ist eine sehr nützliche und für alle weiteren Abenteuerbände unbedingt beizubehalten!
Die „Pfade des Wanderes“ führen die Helden ins Bornland. Das Einsteiger-Abenteuer spielt im Efferd 1026 BF und konfrontiert die Spieler mit der Aufklärung um verschwundene Bewohner eines Dorfes. Für den Meister ist es eine kleine Herausforderung, all die zufälligen und beabsichtigen Begegnungen mit den Bewohnern des Dorfes Brechtnow zu koordinieren und sie zu verwalten. Dabei noch das vertrackte Detektivspiel und die spannende Darstellung des ‚Wanderers‘ im Auge zu behalten sowie den vorgegebenen Handlungsverlauf nicht durcheinander zu bringen, ist eine wahre ‚Meister‘leistung. Ausgestattet mit nützlichen Tips für diese Aufgabe, stimmigen Handlungsorten und Charakteren und einer cleveren Auflösung bildet das Abenteuer einen gelungen Auftakt des Bandes.
Auch die „Pfade der Stille“ verbergen einen Detektivplot, der sich um Liebe, Leid, Intrige und Glaube strickt. In einer Ordensburg der Golgariten (Boron) in der Schwarzen Sichel sollen die Helden im Tsa 1026 BF im Auftrag der Kirche des Schweigsamen ermitteln. Das düstere Ambiente des Handlungsorts, seine räumliche und zeitliche Enge, die Komplexität der Krimihandlung und das häufige Schweigegebot in der Burg machen das Abenteuer zu einer Herausforderung für den Meister und können einer unerfahrenen bzw. wenig eingespielten Spielergruppe das Leben schwer machen.
Dass sich die Autoren von Umberto Ecos „Der Name der Rose“ inspirieren ließen, macht das Spiel nicht weniger interessant. Wie auch im Roman wurde im Abenteuer sehr viel Wert auf Authentizität gelegt. Unter einem guten Meister kann man mit den gut ausgearbeiteten Informationen zum Golgariten-Leben in der Burg ein enorm stimmungsgeladenes und glaubwürdiges Szenario erleben, das von einer täglichen Routine – ora et labora – geprägt ist, die jäh durch die aufkommenden Ereignisse gestört wird. Zum Abenteuer gehört natürlich ein detailliert ausgearbeiteter Plan der Golgariten-Festung. Ebenso schön ausgearbeitet sind die zahlreichen Figuren des Meisters. Wer aus Boronia zurückkehrt ins Licht der Sonne, der kann sich als Held um eine düstere Lebenserfahrung und als Spieler um ein extrem spannendes Abenteuer reicher wähnen.
„Die Pfade des All-Einen“ führen die Spieler auf eine Reise in die Wüste Khôm, genauer: die Oase Keft. Ihre Helden begleiten einen Pilgerzug des Bey von Ferchaba, einem glühenden Verehrer Rastullahs, dem Stadtherrn von Amhashal. Im Jahre 1026 BF rüstet sich eine Reisegruppe von gut 80 Männern, 25 Frauen und 150 Kamelen, um der sengenden Hitze und der erstaunlichen Kälte der Wüste Khôm zu trotzen. Das Abenteuer stellt eine gut ausgedachte Fortführung der Geschehnisse aus dem Abenteuer Nr. 115 „Erben des Zorns“ dar. Da die Ereignisse darin sich zeitlich mit denen im „Pfade des All-Einen“ teilweise überschneiden, können zwar die gleichen Spieler die Pilgerreise antreten, nicht jedoch die gleichen Helden. Unbedingt für den Meister zu empfehlen ist die Verwendung der Regionalbox (DSA 3) „Die Wüste Khôm und die Echsensümpfe“.
Das Abenteuer hält mit seinen Neun Prüfungen auf der Reise in die Oase sehr viel Spannendes, Mysteriöses und Fremdes für die Spieler bereit. Sofern sich der Meister gewissenhaft vorbereitet und die Spielrunde mit allerlei stimmungsfördernden Mitteln wie Musik, Licht, Räucherstäbchen (und mehr) betört hat, können die Verlockungen und Gefahren der Reise ihren ganzen Zauber entfalten. Das spektakuläre Ende der Reise im Heiligen Keft ist ein wunderbar ausgedachtes Stück Rollenspiel!
Auf die Insel der Jade – Altoum in Süd-Aventurien – führen die „Pfade der Geister“ die Heldengruppe in die ‚Grüne Hölle‘ Aventuriens. Im Zeitrahmen von 1024-26 BF darf das Abenteuer angesiedelt sein. Bei Bedarf kann es sogar direkt im Anschluss an „Die Pfade des All-Einen“ gespielt werden. Unter den Charakteren sollte sich mindestens ein wildniserprobter Recke befinden, damit die Spieler nicht ständig von Einheimischen an der Hand geführt werden müssen. Auch Kenntnisse der Moha-Sprache sollten zumindest rudimentär vorhanden sein. Das Abenteuer mit Südsee-Ambiente hat alles, was man sich für solch ein Szenario wünscht: Strandpiraten, exotische Schönheiten, wertvolle Bodenschätze und schamanistische Zauberei.
Die Schwierigkeit des Abenteuers für den Meister steckt in der Präsentation. Will er nicht, dass die Darstellung der beiden Volksgruppen in Klischees oder ein halbnackte-Wilde-Mambo-Jambo abgleitet, muss er sich ernsthaft mit der Schilderung der Lebensweise und Gepflogenheiten der Eingeborenen auseinandersetzen, die im Abenteuer auch ausgiebig beschrieben sind. Es ist natürlich hilfreich, wenn die Spielergruppe nicht aus Power-Gamern zusammengesetzt ist, sondern aus Leuten, die Spaß am Rollen-Spiel haben! Das solide Abenteuer hält zwar keine großen Überraschungen bereit, gewährt jedoch Einblicke in eine bisher minder beachtete Region Aventuriens.
„Die Pfade des zwölfgöttlichen Bundes“ führen Meister und Spieler in ein (alb)traumhaftes Abenteuer. Ort und Zeit des Szenarios sind beinahe beliebig. Der Besuch eines ver’rückt‘en Klosters schleudert die Helden in einen Mahlstrom dämonischer Albträume. Das Setting des Szenarios ist zwar interessant gewählt, die Hintergrundgeschichte nett ausgedacht, aber die Spielbarkeit scheint eher fragwürdig. Letztendlich läuft die ‚Lösung‘ nur auf eine vernünftige Form hinaus, die auch noch durch ein paar wenige aber glückliche bis meisterlich gelungene Talentproben abgeschlossen werden muss. Je nach Spielergruppe kann es natürlich auch völlig andere und ‚neue’ Wege geben, aus der Misere glücklich heraus zu kommen und die Aufgabe zum Wohle aller zu lösen, doch das Risiko des totalen Scheiterns ist einfach zu groß.
Fazit: Bis auf das leider schwache letzte Abenteuer handelt es sich bei „Pfade des Lichts“ um einen ausgezeichnet geschriebenen und gestalteten Abenteuerband. Bei einem Preis von 13,50 Euro lohnt sich die Anschaffung auf jeden Fall. Weitere Kurzabenteuer ähnlicher Ausrichtung – diesmal an der Westküste Aventuriens angesiedelt – wären ganz sicher wünschenswert.
Pfade des Lichts (DSA-Abenteuer 123)
Abenteuersammlung
Timo Gleichmann, Lars Klappert, Martina Noeth, Jörg Raddatz u. a.
Fantasy Productions 2004
ISBN: 3-89064-382-5
96 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 13,50
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