Paper Tales

Einmal die Geschicke eines ganzen Königreichs lenken. Dieser Herausforderung stellt sich der Spieler im kartengesteuerten „Paper Tales“ in einem ungewohnten Design, mit ein paar interessanten Ansätzen in der Spielmechanik. Also auf jeden Fall einen Blick wert.

von Lars Jeske

Nach dem hier bereits vorgestellten „Willkommen im Dungeon“ präsentiert sich mit „Paper Tales“ der nächste Streich von Masato Uesugi. Laut Verpackung gilt es für die 2 bis 5 Spieler in maximal 45 Minuten Legenden wieder zum Leben zu erwecken und erneut das Buch aufzuschlagen, in welchem unbezwingbare Helden in legendären Schlachten kämpften, mythische Wesen das Land bevölkerten und eine vergessene Epoche erlebt wird. Für den Spieler heißt es also, den Ruhm des eigenen Königreichs zu mehren, Schlachten zu gewinnen und geschickt mit den eigenen Einheiten zu agieren, bis diese vom Strom der Zeit hinfortgerissen werden.

Der kleine, leichte Karton ist sehr übersichtlich bestückt. Ein kleines Spielbrett mit Markierungssteinen zum Zählen der Siegpunkte sowie eine Handvoll Karten nähmst der üblichen Pappmarker ist das gesamte Spielmaterial. Sieht wenig aus und hätte sogar in eine halb so große Box gepasst; jedoch kauft ja bekanntlich das Auge mit und es gibt ungeschriebene Gesetze.

„Paper Tales“ passt sehr gut in die Kategorie „Klein, aber oho“. Allein das Regelheft macht den ersten ernüchternden Eindruck wieder wett. Auf acht eng und klein beschriebenen Seiten gibt es eine Menge Informationen und Regeln, die den Wert der Spielidee deutlich steigern. Und, eher selten, werden in dieser durchgehend die „Spielerinnen“ adressiert, nicht deren weitaus typischeres Pendant. Die Regeln werden kurz, schnörkellos und auf den Punkt dargereicht. Anschließend kann es sofort losgehen. Sie sind auch überhaupt nicht kompliziert. Grob zusammengefasst wird in nur vier Spielrunden versucht, die meisten Legendenpunkte (Siegpunkte) zu erhalten. Dafür gilt es zuerst, die richtigen Einheiten zu draften und genug Geld übrig zu haben, diese bezahlen zu können, um sie ins Spiel zu bringen. Dann werden die Kampfwerte mit denen der Nachbarn verglichen und es gibt die ersten Punkte. Anschließend erhält jeder Spieler seine monetären Einkünfte und man darf aus einem definierten Pool von fünf Gebäuden eines errichten oder aufwerten. Am Rundenende werden alte Einheiten abgelegt, während die übrigen jeweils zu alten Einheiten werden (sprich mit Markern markiert). Das Ganze gibt es dann vier Mal und schon ist das Spiel vorbei. Kurz und knackig in weit unter einer Stunde, selbst bei voller Besetzung mit bis zu 5 erfahrenen Spielern, zu schaffen.

Was das Spiel einzigartig macht, ist die minimalistische Struktur und der klare Fokus auf die Strategie, welche man situativ variabel zu seinen Karten und der Taktik der Gegner schnell anpassen muss. Darum ist es richtigerweise als Kennerspiel klassifiziert – nicht nur, weil Kenner des Spiels einen eindeutigen Vorteil haben. Da jeder Spieler die gleichen, wenigen Gebäude zur Auswahl hat, ist aufgrund der wenigen Spielrunden gleich von Anfang an das richtige Kalkül nötig, um nicht bereits von den Mitspielern abgehängt zu werden. Der Kartendraft ist dabei das Zünglein an der Waage. Man behält eine der fünf Einheiten und gibt die anderen an den Nachbarn weiter. Das geschieht bis alle Karten verteilt sind. Der Vorteil ist, man weiß in etwa, was die anderen Mitspieler für Optionen in dieser Runde haben. Der Nachteil, man weiß jedoch nicht, welche sie davon nutzen werden, denn jeder Spieler darf nur 4 bis 5 gleichzeitig im Spiel haben. Somit ist es auch in gewisser Weise ein Bluffspiel mit Glück im richtigen Moment.

Die Grafiken der Spielkarten, die Christine Alcouffe gestaltet hat, sind zur Abwechslung einmal schlichter als das typisch ausladende, zumeist comichafte Fantasy-Setting. Die verwendeten Symboliken auf den Karten sind dabei nur anfänglich gewöhnungsbedürftig, da man als Spieler nicht unbedingt erwartet, so an die Hand genommen zu werden. Auch in anderer Hinsicht ist „Paper Tales“ anders. Durch die wenigen Runden und die endliche Ressourcenakkumulation, sind die Ressourcen lediglich zum Vorzeigen aufgedruckt und man kann auch nur ein Gebäude pro Runde erwerben. Deutlich anders als ähnlich gelagerte Spiele mit den gleichen grundlegenden Mechanismen. Zu guter Letzt wird nicht wirklich mit den Einheiten gegeneinander gekämpft, sondern lediglich die Stärke verglichen, es gibt keine Buffs oder sonstigen Ereignis- oder Aktionskarten und keine Einheit stirbt bei den Kämpfen. Dadurch kann man auch in der kommenden Runde mit diesen planen und das Spiel strategischer angehen. Das automatische Ableben nach zwei Runden ist auch ungewohnt (und anders als bei „Village“ integriert), lässt dem Spieler jedoch genügend Freiheiten, um sich dadurch nicht gegängelt zu fühlen.

Auch wenn es leicht zu spielen scheint, ist „Paper Tales“ doch schwer zu meistern. Da es ein typisches Mangelspiel ist, ist es vor allem für kalkulierende Rechner interessant. Ähnlich wie bei dem über alle Zweifel erhabene „Sankt Petersburg“ kann man gut seine Runde planen. (Also, die 2 Gold und der Ertrag durch mein diebisches Äffchen reichen durch die Aktivierung des Tempels für die zusätzlichen Grundstückskosten. Bleibt nur die Frage, woher ich das Fleisch bekomme und den Edelstein. Wenn ich jetzt den Jäger ...) Initial könnte man denken, es gibt nur eine Gewinnstrategie. Denn wie so oft ist auch hier ohne Moos nix los, und wer das als Erstspieler nicht gleich mitbekommt, hat bereits nach 10 Minuten keine Chance mehr auf den Sieg. Denn ohne das nötige Kleingeld wird es schwer, die nächsten Runden effektiv zu planen. Wenn man das jedoch erst einmal verinnerlicht hat, bieten sich je nach Kartenkombinationen unterschiedliche Möglichkeiten, um an Legendenpunkte zu kommen. Allein gar nicht in Kämpfer zu investieren, scheiterte bislang immer.

Woran sich bei den Testrunden die Geister schieden, ist das Drafting der Karten als Dreh- und Angelpunkt. Es wäre nicht zwangsweise nötig, jedoch kommt dadurch erst eine Art Strategie ins Spiel – man weiß, was gegebenenfalls noch einmal als Option vorbeikommt und welche Karten die Gegenspieler haben. Ansonsten wäre es wie das richtige Leben, man muss mit dem zugeteilten Blatt so gut spielen, wie es geht. So geht das Spiel als Option auch, zumal somit ein großer Zeitfaktor für Grübler wegfällt „Oh, welche Karte nehme ich denn jetzt? Und welche hatte ich denn schon zur Seite gelegt?“ Da können gut und gern allein für diese initiale Phase pro Runde 10 Minuten verstreichen und der Spielreiz durch diese Downtime enorm sinken. Die Interaktion der Spieler untereinander ist nach dieser Phase dann beendet, da selbst die Kämpfe ohne weitere Beeinflussungsmöglichkeiten der Spieler automatisch stattfinden.

Fazit: Ein Kennerspiel mit lediglich 30 bis 45 Minuten Gesamtdauer ist einmal etwas Neues. Doch in der Tat, ohne das Drafting wäre man sogar weit unter 30 Minuten mit einer Partie „Paper Tales“ dabei. Qualitativ ist der Name leider Programm. Die Spielkarten sind auf dünnem Papier gedruckt, was Hüllen erfordert, so man das Spiel häufiger (und später vielleicht mit der Erweiterung) spielen mag. Spielerisch ist es zumeist Neuland und vor allem für Vielspieler von Optimierungs- und Mangelspielen einen Blick wert. Eine tolle Kombination von bekannten Spielmechanismen, die ich so noch nie gespielt hatte.

Paper Tales
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Brettspiel für 2 bis 5 Spieler ab 10 Jahren
Masato Uesugi
Pegasus Spiele 2018
EAN: 4250231715785
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 29,95

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