Ordensbuch: Gabrieliten

Jeder der fünf Engelsorden in der Welt von „Engel“ bekam sein eigenes Ordensbuch. Das vorliegende „Ordensbuch: Gabrieliten“ erschien sehr viel früher als das von mir bereits besprochene "Ordensbuch: Ramieliten", es fand aber erst vor kurzer Zeit seinen Weg in meine Hand. Ich glaube immer noch nicht, dass die Entscheidung, zunächst alle Ordensbücher und erst dann weiteres Material (mal abgesehen vom „Traumsaat-Monster“-Buch) zu veröffentlichen, eine Gute war, aber so war es nun mal. Inzwischen liegen alle Ordensbücher vor.

von amel

 

Die „Gabrieliten“ sind als Streiter des Herrn ein kriegerischer Orden. Die schwarzgekleideten Todesengel verursachen bei öffentlichen Auftritten mit ihren Feuerschwertern sogar noch mehr Angst als die anderen Orden. Aus der Angst entsteht Respekt, genau wie es der Orden will. Das Ordensbuch atmet diese Angst und die potentielle Gewalt, die die Engel verströmen und unterscheidet sich damit wesentlich vom Buch über die geheimnisvollen Ramieliten. Man muss also keine Angst haben, dass man den gleichen Kram noch einmal aufgekocht bekommt.

Optisch hat sich nicht viel geändert. Wieder ziert ein schwarz-weißer Engel in dynamischer Pose das Cover, das außer Gold keine weiteren Farben aufweist. Das Layout ist weiterhin großzügig gehalten, das Auge langweilt sich nie und Bleiwüsten werden geschickt vermieden. Tobias Mannewitz hat als Zeichner eine hervorragende Arbeit geleistet. Die große Karte des Himmels von Nürnberg (der gigantische Turm des Ordens) sieht toll aus wie alle diese dreiseitigen Ordensbuch-Karten, auch wenn sich der praktische Nutzen auch hier nur erahnen lässt. Zum Glück kaufen wir Rollenspieler Karten nur selten wegen des Nutzens.

Vom Aufbau gleicht das Buch allen anderen Ordensbüchern. Das erste Kapitel über das Land („Gabrielsland“, das Herrschaftgebiet des gabrielitischen Ordens) beginnt etwas trocken, nimmt aber schnell an Fahrt auf. Die verschiedenen Gebiete von Gabrielsland sind noch nicht sehr spannend, doch kommt der Leser erst bei Nürnberg und dessen Umgebung an, stößt er nach und nach auf immer mehr Informationen, die kleine Geschichten erzählen. Nürnberg ist ein riesiger Moloch von einer Stadt, in dem Abertausende von Flüchtlingen Schutz suchen. Die Gassen sind eng und völlig überfüllt, die Architektur ist gewagt, als würden sich die Häuser gegenseitig stützen müssen, damit sie nicht auseinander brechen. Und in der Tat ist das von der Wahrheit gar nicht so weit entfernt. Der Himmel der Gabrieliten ragt als gigantische Festung bis in die Wolken. Einige besondere Orte der Stadt erzählen dem Leser ihre Geschichten, langweilige Standardinformationen werden dankenswerterweise ausgelassen.

Dem Himmel selbst widmet sich das zweite Kapitel, das bestimmte interessante Bereiche der Festung herausgreift. Auf diese Weise bildet sich im Kopf des Lesers ein recht genaues Bild des dunklen, aberwitzigen Gebäudes. Es strahlt Gewalt aus, wie die Todesengel selbst, beginnend mit der Tatsache, dass der zwei Kilometer durchmessende Platz, auf dem es steht, mit einem Zaun abgesperrt ist und jeder unerwünschte Besucher mit schärfster Verfolgung rechnen muss, und endend mit dem Eindruck, dass das Gebäude vom Himmel zur Erde gewachsen ist und nicht umgekehrt.

Von der Ausbildung und den Lehren der Gabrieliten erfährt man im dritten Kapitel. Die Ausbildung ist erwartungsgemäß hart. Die Lehren treten hauptsächlich in Nebenströmungen des Glaubens zu Tage. Drei Fraktionen werden beschrieben von schweigsamen Fanatikern bis hin zu den „Wächtern“, die die zweite Hälfte ihrer Seele suchen. Fünf Beispielcharaktere mit ganzseitigen Bildern beenden das Kapitel.

Was der Orden tut, steht in Kapitel vier. Ein paar Projekte dienen hier als Beispiele für die Handlungen der Engel und ihre Ziele. Das Kapitel ist relativ kurz und die Projekte selbst für meinen Geschmack nicht sehr gut für ein Spiel geeignet. Mehr kann ich an dieser Stelle leider nicht verraten, ohne von Spielleitern Ärger zu bekommen, die den jeweiligen Handlungsstrang verwenden wollten. Interessant zu lesen ist das Kapitel aber allemal.

Wichtige Charaktere des Ordens schließen wie immer das Buch.

Wieder einmal haben Feder&Schwert bewiesen, dass sie spannende Quellenbücher schreiben können. Lesespaß ist garantiert. Abgesehen von den anfänglichen Beschreibungen der Ländereien von Gabrielsland habe ich nichts gefunden, dass mich nicht auf die eine oder andere Weise gefesselt hätte. Wenn jetzt nur noch die Spielbarkeit die gleiche Qualität erreichen würde …

Leider ist das nicht der Fall. So spannend die Geschichten sind, die sich über das ganze Buch verteilen, so wenig wurde auf Spielbarkeit und -relevanz geachtet. Wenn wir von einem Schacht erfahren, auf dessen Grund sich Zugänge zu den Zuchthöhlen von Traumsaatbienen befinden, die zur Honiggewinnung genutzt werden, ist das sicher sehr interessant, bringt dem Spiel aber außer einem kurzen Eindruck nur wenig. Und wehe der Gruppe, in der ein Spieler Zugang zu der Fraktion der Ferramenser bekommt. Diese schweigsamen und außerordentlich gewissenhaften Engel können jede Gruppe sprengen, verleiten sie die Spieler doch dazu, nichts zu sagen (also zum Spiel nichts beizutragen) und immer ihren eigenen Kopf durchzusetzen. Ein einziger Ferramenser in einer Gruppe, kann eine vernünftige Zusammenarbeit auf immer behindern. Aufgrund ihrer Schweigsamkeit sind die Fraktionsmitglieder noch nicht einmal gut als Nichtspielercharaktere einsetzbar – wer nicht spricht, existiert im Rollenspiel praktisch nicht. Man kann diese Kritik als Pingeligkeit auslegen und mir vorwerfen, ein sehr gelungenes Buch damit schlecht zu machen, doch obwohl mir das „Ordensbuch: Gabrieliten“ insgesamt sehr gefallen hat, soll der Kritikpunkt nicht unerwähnt bleiben. „Engel“ ist ein tolles Spiel – wenn mir doch nur jemand ein paar Tipps geben würde, wie ich es spielen soll.

Fazit: Wer „Engel“ mag, wird um das „Ordensbuch: Gabrieliten“ kaum herumkommen. Die Einsichten in den kriegerischen Orden der Todesengel geben diesem erst die Tiefe, die er verdient. Wenn es den Spielleiter nicht stört, bei der Konstruktion von Abenteuern etwas allein gelassen zu werden, erhält er sonst alles, was er braucht. Bei Stimmung, Informationsdichte, Lesespaß und grafischer Gestaltung bleiben nur wenige Wünsche offen.


Ordensbuch: Gabrieliten
Quellenbuch
Verena Stöcklein
Feder&Schwert 2003
ISBN: 3-935282-70-2
106 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 17,95

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