October Daye 2 – Nebelbann

October Daye ist zurück. Im 2. Roman „Nebelbann“ wird sie wieder gefordert, obwohl der Auftrag einfach klingt: ein kurzer Trip zum Babysitten der Nichte ihres Herren und Bericht erstatten, wie dort die Dinge stehen. Als sich dann aber in Zahmblitz die Leichen zu stapeln beginnen, ist Toby erneut mitten drin in einem Knochenjob, der wieder alles von ihr verlangt. Und dann war da noch die Geschichte mit Alex …

von Lars Jeske

Nach dem Debütroman konnte man gespannt sein, ob und wie Seanan McGuire es schafft, ihre Heldin October „Toby“ Daye im zweiten Fall agieren zu lassen, ohne Langeweile aufkommen zu lassen. In „Winterfluch“ hatte sie sich vor allem dem tollen Weltentwurf und der Charakererstellung gewidmet, da blieb die Story etwas dünn. Nunmehr sind die äußeren Bedingungen geklärt, und die Geschichte kann sogleich beginnen.

Während in ihrem Debütfall als Privatdetektivin der Mörder einer ihrer Freundinnen dingfest gemacht werden musste, klingt die neue Mission hingegen banal. Sylvester Torquill, October Days Lehnsherr, bittet sie bei seiner Nichte January, der Gräfin des unabhängigen Zahmblitz und Chefin der wichtigen Fae-Computerfirma ALH, nach dem Rechten zu schauen. Da nichts Schlimmes vermutet wird und diese Aufgabe eher Babysitten gleichkommt, sollte diese schon nach wenigen Tagen erledigt sein. Für Toby ist somit das Unangenehme, dass sie währenddessen wirklich Babysitter spielen muss. Als Unterstützung für diesen „Auftrag“ bekommt sie den jungen Quentin als Teil seiner Ausbildung zur Seite gestellt. Obwohl es Toby nicht passt, kann sie den Wunsch ihres Lehnsherren nicht abschlagen und begibt sich sogleich auf den Weg. Da sich beide relativ schnell mit einander arrangieren und anfreuden, könnte es zur Abwechslung wirklich einmal ein simpler Auftrag sein.

Es könnte so einfach sein … ist es aber nicht. Dadurch, dass es ein Urban-Fantasy-Setting ist, wird die Sache schon interessanter, selbst wenn alles in Ordnung gewesen wäre. Kurz nach der Ankunft bei ALH Computing gibt es im Mugel eine Leiche zu begutachten – bei Weitem aber nicht die erste und erst recht nicht die letzte. Dieser richtige Fall ist für Toby sogleich viel interessanter, wenngleich auch undurchsichtiger. Vor allem, da sich die überschaubare Anzahl der Mitarbeiter ihr gegenüber sehr unkooperativ verhält und sie somit mit ihren Ermittlungen nur sehr langsam vorankommt. Zudem fühlt sie sich von Alex magisch angezogen, was die Objektivität bezüglich der Verdächtigen beeinträchtigt. Je mehr sie über die Geheimnisse rund um das ALH erfährt, desto schneller gehen ihr die Verdächtigen aus. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass der Mörder unter ihnen sein muss. Das Merkwürdige und überaus Beunruhigende ist zudem, dass Toby das Blut der Toten nicht lesen kann, bei normalen Ermittlungen immer ein großer Vorteil für sie aufgrund ihres Fae-Erbes. Da so etwas noch nie vorgekommen ist, ist sie mit ihrem Latein schnell am Ende und muss den harten Weg gehen. Der erneute Kontakt zur Luidaeg und eine Konfrontation mit den Nachtschatten werden alsbald unausweichlich.

„Nebelbann“ übertrifft an Spannung „Winterfluch“ um Längen. Das Bemerkenswerte wurde jedoch beibehalten, vor allem die Ich-Erzähler-Perspektive samt dem tollen Humor von Toby. Sie ist dadurch eine normal wirkende Person ohne tolle Superkräfte, mit der die Identifikation weiterhin überaus leicht fällt. Die neuen Charaktere sind nicht bis ins Letzte herausgearbeitet, fügen sich aber in die bisher entworfene Welt der Fae ein. Über diese erfährt man in „Nebelbann“ jedoch kaum Weiteres. Dies lässt sich als Kompromiss jedoch verschmerzen, da der Handlungsfluss ansonsten durch Abschweifungen zu oft unterbrochen und die Gesamtatmosphäre empfindlich gestört worden wäre. Im Mittelpunkt steht jetzt eindeutig der spannende Kriminalfall in klaustrophobischer Location und keine Weltbeschreibung. (Anleihen bei Agatha Christies „Ten Little Niggers“ verleiten den Leser dazu, selbst Verdächtigungen vorzunehmen.) Dadurch bin ich etwas zwiegespalten, ob man den ersten Teil vorher gelesen haben muss. Ich tendiere eher zu ‚sollte’, denn obwohl die Handlung verständlich und die Anspielungen an die Vergangenheit sich in Grenzen halten, würde man einen sehr schönen Weltetwurf verschenken. In den kommenden Romanen wird diese gesamte Welt wieder eine gewichtigere Rolle spielen.

Fazit: Wer wie bei „Winterfluch“ erneut viel Weltenbeschreibung erwartet, wird enttäuscht. Dafür gibt es eine interessante und stimmige Vermischung zwischen realer Welt (vor allem des IT-Sektors) und der der Fae, was hier gut funktioniert. Der Charakter von October Daye wird weiter ausgeformt und bekommt neue Facetten. Als guter Sidekick wird ihr Quentin zur Seite gestellt, was Potenzial für die Zukunft hätte. Der angenehme Schreibstil und das konsequente Fortschreiten der Handlung unterbinden Langeweile oder dröge Passagen. Ein Buch, welches man voller Begeisterung viel zu schnell durchgelesen hat.

Anmerkung: Während man sich den Buchtitel „Winterfluch“ noch irgendwie herleiten konnte, ist der Titel „Nebelbann“ einfach ein komischer deutscher Name, welchem ich gar nichts abgewinnen konnte und dessen offentsichtlicher Bezug zur Story fehlt. Das amerikanische Original „A Local Habit“ ist bedeutend treffender, hier wäre eine bessere Wahl möglich gewesen. Da der Inhalt des Romans nehmst Übersetzung jedoch über jeden Zweifel erhaben ist, ist diese Abschweifung lediglich Jammern auf hohem Niveau.


October Daye 2 – Nebelbann
Urban Fantasy-Roman
Seanan McGuire
Egmont-LYX 2010
ISBN: 978-3-8025-8289-9
382 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 12,95

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