Der erste Band der dreiteiligen „Nocturnum“-Kampagne, die ursprünglich von Fantasy Flight Games für das amerikanische „Call of Cthulhu“ entwickelt wurde, trägt den Titel „Lange Schatten“ und enthält zweierlei: Zum einen wird der gesamte Hintergrund der Kampagne vorgestellt. Zum zweiten finden sich hier drei zur Kampagne hinführende Abenteuer, die jedoch auch als Einzelabenteuer spielbar sind. Die Kampagne selbst startet dann in Band 2 („Kalter Wind“) und findet ihr furioses Finale in Band 3 („Letzte Tage“) der Reihe.

Der Hintergrundteil umfasst 28 Seiten – also etwa ein Viertel des 132 Seiten umfassenden, in Schwarz-Weiß gehaltenen Hardcoverbands. In diesem Teil wird einerseits die Kampagne in ihrer Gänze vorgestellt – um dem Spielleiter ein Gefühl dafür zu geben, wohin der Weg führen wird, der in den nachfolgenden Abenteuern nur andeutungsweise erkennbar ist –, andererseits finden sich hier Informationen zu den verschiedenen Gruppierungen, die in dem Abenteuer eine Rolle spielen. Und das sind einige: Mindestens drei verschiedene Gruppierungen werden aus unterschiedlichen Gründen hinter den Charakteren her sein; dazu kommen noch diverse Einzelpersonen, mit denen die Charaktere in Kontakt kommen können. Obwohl die Grundprämisse geradezu pulpartig schlicht ist – und auch nicht ausgesprochen cthuloid –, wird das Abenteuer auf diese Weise zu einem vielschichtigen und komplexen Geflecht der Beziehungen, das vor allem vom Spielleiter einiges an geschicktem Informationsmanagement erfordert.

Die drei nachfolgenden Abenteuer stellen da eher noch Fingerübungen dar, die dafür gedacht sind, die Charaktere in kleinen und mit dem Hauptabenteuer nur sehr marginal verknüpften Episoden Fingerzeige auf die Verschwörung zu liefern, der es dann in Band 2 und 3 der Kampagne nachzugehen gilt.

Das Abenteuer „Winternacht“ verschlägt die Charaktere in einer stürmischen Nacht in den tief verschneiten Rocky Mountains in eine Bergbausiedlung. Kaum dort angekommen, geschehen mehrere grausige Mordfälle. Der Sheriff des Ortes hält die Charaktere für die Hauptverdächtigen, und so kommen diese nicht umhin, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen, um ihre Unschuld zu beweisen. Dabei stellen sie fest, dass mehr als nur eine unheimliche Macht im Snowflake Valley am Werke ist. – „Winternacht“ verbindet geschickt die Elemente einer abgeschiedenen Bergbausiedlung, indianischer Mythologie und bedrückender Eiseskälte, um ein unheimliches Backwood-Horror-Ambiente aufzubauen, dessen Wirkung allerdings nicht in geringem Maße von der Gabe des Spielleiters abhängt.

Die Episode „Königin des Zwielichts“ führt die Charaktere in eine kleine Universitätsstadt Eastfield, die aufgrund einer neuen Straßendroge namens Feenstaub im Chaos versinkt. Dem Hilferuf eines Freundes folgend, reisen sie dorthin und versuchen herauszufinden, was es mit diesem Wunderzeug auf sich hat. Dabei müssen sie feststellen, dass in den Straßen der Stadt nicht nur einiges an Spannung herrscht, hinter den Kulissen wird zudem ein übernatürlicher Kampf um die Seelen der Einwohner von Eastfield ausgefochten. – „Königin des Zwielichts“ ist ein gradliniges Abenteuer, das sich vortrefflich als eine Art Zombie-Actioner umsetzen lässt. Während die Charaktere gegen die Zeit nach dem Herkunftsort des Feenstaubs fahnden, gerät die Situation in Eastfield zunehmend außer Kontrolle und auch die Charaktere selbst sind davor nicht gefeit.

Das Abenteuer „Stille“ werden die Charaktere, die sich bereits einen Ruf als Ermittler in okkulten Dingen erarbeitet haben sollten, von dem Kunstmaler Ken Hito gebeten, nach seiner verschwundenen Tochter Kay zu suchen. Diese Suche führt sie zunächst nach San Francisco und anschließen in das abgelegene Bergdorf Still Mountain, das ein grausiges Geheimnis birgt. – Dieses recht kurze Abenteuer hat die direkteste Verbindung zu der nachfolgenden Kampagne, und selbst wenn sich ein Spielleiter aus Zeitgründen gegen das erste oder zweite Abenteuer entscheiden sollte, ist es ratsam, dieses hier vor dem Beginn der eigentlichen Handlung von „Nocturnum“ zu spielen.

Die Aufmachung des Buches lässt keine Wünsche offen. Das Layout ist sauber und der Inhalt gut gegliedert. Mehrere Illustrationen, deren Qualität von ziemlich schlicht bis sehr gelungen schwankt, lockern zusammen mit kleinen Stimmungstexten die Abenteuer auf und helfen beim Entwickeln der Atmosphäre. Die Handouts sind Pegasus-typisch umfangreich, hervorragend aufgemacht und lassen sich auch überwiegend gut kopieren (manche weisen leider einen eher schwache Kontrast auf).

Fazit: „Nocturnum I: Lange Schatten“ ist ein Einführungsband in die eigentliche „Nocturnum“-Kampagne. Die Kampagnenübersicht zu Beginn ist sehr hilfreich, die drei nachfolgenden Abenteuer dagegen relativ simpel gehaltene Recherche-und-Konfrontations-Plots, die immerhin zunehmend das Gefühl vermitteln, dass da hinter den Kulissen mehr im Gange sein könnte. In „Winternacht“ und „Königin des Zwielichts“ sind diese Verbindungen allerdings noch so vage, dass man sie als Spielergruppe leicht übersehen kann. Etwas deutlichere Hints wären schöner gewesen. Im Prinzip könnte man die „Nocturnum“-Kampagne auch ohne diesen ersten Band spielen. Um die Charaktere (und den Spielleiter) allerdings nicht gänzlich unvorbereitet in die Haupthandlung zu werfen, empfiehlt es sich, mindestens zwei der Abenteuer in diesem Band vorher zu spielen, die jeweils für einen Spielabend gut sein sollten.