Night of the Living Dead – Ein Zombicide-Spiel

Mit dem Horror-Film „Die Nacht der lebenden Toten“ (engl. „Night of the Living Dead“) von George R. Romero fing alles an. 1968 gedreht, entwickelte sich dieser Meilenstein des Genres im Laufe der Jahre zum Kultfilm, denn er holte den Zombie aus der Voodoo-Ecke und definierte ihn als Massenschreckgespenst der modernen Zeit neu, dessen Popularität bis heute ungebrochen ist. Auch die ganze „Zombicide“-Brettspielreihe basiert letztlich darauf. So war es eigentlich naheliegend, irgendwann als speziellen Ableger „Night of the Living Dead“ für den Spieltisch umzusetzen.

von Frank Stein

Und wieder ein Kickstarter-Projekt. Im Dezember 2019 startete CMON seine Kampagne, die allerdings nur 8 Tage lief und nur sehr wenig exklusive Promos enthielt, sodass sich die Trauer derjenigen, die das Spiel nur im Handel erwerben, in Grenzen halten darf. Ungewöhnlich – aber natürlich der Filmlizenz geschuldet – ist auch, dass das Spiel lediglich ein einzelnes Produkt ist, statt durch zahlreiche Erweiterungen flankiert zu werden. Man könnte es daher als eine Art Sonderausgabe innerhalb des „Zombicide“-Franchises betrachten, die ein wenig für sich steht und vor allem Film-Fans ansprechen (und damit neue Käuferschichten erschließen?) soll.

Dass das das Ziel war, merkt man schon an der Optik. „Zombicide“ zeichnet sich für gewöhnlich ja durch eine eher überdrehte Herangehensweise aus: bunt, schwarzhumorig, ein schrilles Schlachtfest mit taktischem Anspruch. Hier erinnern sowohl die Illustrationen als auch die Kartenteile eher an düstere Koop-Miniaturenspiele wie „Cthulhu: Death May Die“, und auch der neue Romero-Modus der Überlebenden, der diese deutlich schwächer als in ihrer Zombicide-Version präsentiert, zollt der Hoffnungslosigkeit des Kinofilms Tribut. Dennoch ist das Spiel im Herzen nach wie vor „Zombicide“, das heißt 1 bis 6 Spieler ziehen in 10 Missionen umher, töten Zombies (hier Ghule genannt) und müssen dabei am Leben bleiben, denn stirbt auch nur einer in diesem kooperativen Spiel, ist die Partie verloren.

Die Szenarios – hier Szenen genannt – lassen sich dabei als durchgehende Erzählung spielen, sind aber keine Kampagne, weil man jede Partie wieder bei null beginnt und keine Errungenschaften vorheriger mitnehmen kann. Die Geschichte folgt zu Beginn dem Kinofilm (eine Gruppe Überlebende trifft in einem Farmhaus aufeinander und wird dort von Zombies bedrängt), bekommt dann aber bald ihren eigenen Dreh, weil die Figuren hier eben zusammenarbeiten, statt sich – zusätzlich zur Untotenplage – gegenseitig das Leben schwer zu machen.



Das Spiel kommt in einer großformatigen Box daher, die sehr atmosphärisch das schwarz-weiße Konterfei des verwandelten Mädchens Karen Cooper auf dem Cover zeigt. Beim Unboxing erwarten einen – im durchaus positiven Sinne – keine Überraschungen. Das Spielmaterial wirkt wie immer hochwertig. Praktische Plastiktableaus unterstützen die Charakterverwaltung, wobei die farbigen Markierungsstifte hier stilecht abgebrochene Tischbeine sind. Ausrüstungskarten mit einem sehr zurückgenommenen Arsenal an Alltagswaffen werten die Helden auf und die Spielmarker bestehen aus fester Pappe. Die 6 doppelseitigen Kartenteile zeigen einfache Gebäude im ländlichen Raum und nächtliche Wiesen und Felder. Das alles sorgt für eine im Zusammenhang mit „Zombicide“ ungewohnt unheimliche Stimmung am Spieltisch!

Dazu passen die Miniaturen, die das Kernstück des Spiels sind. Die 6 Helden – Ben, Barbra, Harry, Helen, Judy und Tom – sind alle dem Film entnommen und werden im Romero-Modus passend in grau präsentiert, sowohl als Miniaturen als auch bei den Charaktertableaus. Anders als im Film – siehe oben – raufen sich die Charaktere aber sehr schnell zusammen. Als vertrauensbildende Maßnahme wird hier eine Winchester 94 reihum gereicht und wer sie aus der Hand gibt, darf in den optimistischeren Zombicide-Modus wechseln, in dem er dann auch die meiste Zeit bleiben wird. Das bringt mehr Fähigkeiten und gestattet erst, richtige Waffen – wie Machete oder Schrotflinte – zu suchen. Denn nur wer wirklich den Kampf aufnehmen will, greift zu den Waffen. Als netten Gag gibt es für jeden Überlebenden also noch eine zweite Miniatur, die ihn in Kampfpose zeigt. „Was wäre wenn“, will uns das Spiel hier sagen. Anders als in der Filmvorlage, der sehr deprimierend verläuft, hat man hier eine Chance, gegen die Ghule zu bestehen.

Von diesen gibt es in „Night of the Living Dead“ vier Typen. Klassisch sind die lahmen Schlurfer, die 1 Schaden anrichten und 1 Lebenspunkt haben. Ebenso kennen „Zombicide“-Veteranen die Fettbrocken, die 2 Schaden verursachen und 2 Lebenspunkte haben. Neu sind die Zertrümmerer (1/1), die geschlossene Barrikaden und Türen zerschmettern und so ihren dummen Kollegen den Weg zu den Überlebenden bahnen, die sich ganz gern in diesem Spiel hinter zugenagelten Fenstern verschanzen. (Das gezielte Töten von Zertrümmerern ist übrigens eine Standard-Taktik in diesem Spiel.) Zuletzt – und natürlich dem Filmgeschehen geschuldet – können zombifizierte Verwandte (1/1) ins Spiel kommen, die die Moral der Überlebenden senken und diese zeitweise in den Romero-Modus zurückwerfen. Erst ihr Tod weckt wieder den Kampfgeist unserer Helden.



Am Spielkonzept hat sich auch in dieser Inkarnation von „Zombicide“ nichts geändert. Vor dem Spiel wählt man sich eine Szene aus, die den Aufbau des Spielfelds bestimmt und die Siegbedingungen festlegt. Gespielt wird stets mit allen Überlebenden, egal ob 1 Spieler oder 6 am Tisch sitzen. Die Mühe, verschiedene Spielerzahlen auszugleichen, haben sich die Designer nicht gemacht. Die Figuren werden durch farbliche Ringe identifiziert, die zu gleichfarbigen Markierungsstiften auf den Plastiktableaus passen. Anschließend werden noch 6 Waffen – 3 Tischbeine, 1 Hammer, 1 Radschlüssel, 1 Brecheisen und die Winchester 94 – verteilt, dann kann es losgehen.

Gespielt wird – wie seit dem ersten „Zombicide“ – in Runden, die in 3 Phasen aufgeteilt sind: eine Spielerphase, eine Ghulphase und eine Endphase. In der Spielerphase darf jeder Spieler (im Uhrzeigersinn vom Startspieler ausgehend) all seine Überlebenden (in beliebiger Reihenfolge) 3 Aktionen ausführen lassen. Dazu zählen die typischen Dinge, die es in jedem Dungeon-Crawler gibt: Bewegen, Angreifen, Raum durchsuchen, Ausrüstung tauschen usw. Hier sehr wichtig ist zusätzlich das Bauen von Barrikaden. Später kann man auch ein Auto besteigen und damit Ghule über den Haufen fahren. (So weit kamen die Überlebendem im Film nie.)

Die Angriffswerte werden dabei durch die getragenen Waffen bestimmt. Mit einer vorgegebenen Anzahl Würfel muss man einen festgelegten Zielwert erreichen; jeder Erfolg ist ein Treffer, der (meist) einen Ghul tötet. Ein netter Gag ist hier, dass man aus zusammengesuchter Ausrüstung „verbesserte Ausrüstung“ bauen kann. So wird aus einem Einmachglas und brennbarer Flüssigkeit ein Molotowcocktail, eine Winchester 94 und ein Zielfernrohr ergeben folgerichtig eine Winchester mit Zielfernrohr. Dennoch: Bei den grundsätzlich schwachen Waffen sollte man tunlichst davon absehen, sich mitten in ein Getümmel zu stürzen. Mehr als andere „Zombicide“-Editionen setzt „Night of the Living Dead“ auf das Vermeiden von Kämpfen. Schnelligkeit und die gute Zusammenarbeit der Figuren sind wichtiger, um gegen die wankenden Ghulhorden zu bestehen.



Apropos wankende Ghulhorden: In der Ghulphase steuert das Spiel die Gegner. Jeder Ghul auf dem Spielplan wird einmal aktiviert und darf angreifen, wenn er sich in einer Zone mit einem Überlebenden befindet, Zertrümmerer können Barrikaden und Türen einschlagen und alle anderen bewegen sich eine Zone auf die nächstbesten Überlebenden zu. In den ersten (einfachen) Szenen ist diese Bedrohung noch gut beherrschbar, aber im Verlauf der Kampagne wird das Ganze schon heikler. Nicht zuletzt, weil nach der Aktivierung die Brut erfolgt, das heißt auf jedem der 3 bis 4 auf dem Spielplan verteilten Brutplättchen Ghule auftauchen – und das meist nicht zu knapp. Was genau erscheint, entscheidet eine gezogene Ghulkarte und die Stufe der Überlebenden. Denn diese erhalten Erfahrungspunkte für jeden Abschuss – und für das Sammeln von Brettern! – und steigen damit bis zu dreimal auf (von Stufe blau über gelb und orange bis rot – wobei rot praktisch nie vorkommt). So erhalten die Überlebenden zwar neue Fähigkeiten, aber gleichzeitig werden auch die Gegner immer zahlreicher und lästiger.

In der Endphase wandert bloß der Startspielermarker einen Spieler nach links. Das wird so lang fortgesetzt, bis entweder die Siegbedingungen für die Szene erfüllt sind – oder die für eine Niederlage eintreten.

„Night of the Living Dead“ schafft gelungen den Spagat, regelmechanisch nicht zu komplex zu sein und trotzdem eine taktische Herausforderung zu bieten. Wer die Aktionen der Überlebenden gut abspricht, wer Deckung hinter Barrikaden oder in Maisfeldern einnimmt und wer die Stufe aller Überlebenden möglichst nah beisammen hält, der hat deutlich bessere Chancen auf Sieg, als derjenige, der blind drauflosstürmt und mit der Machete unter der Ghulhorde wüten will. Der Wechsel von Romero- zu Zombicide-Modus ist ebenfalls ein nettes Taktik-Element, das einen vom Spiel her immer wieder kurzzeitig extra in Bedrängnis bringt. Das passt absolut zur Vorlage. Überhaupt wurde die Filmstimmung durch die Szenen und die Charaktere gut eingefangen. Das völlige Fehlen verspielter, popkultureller Verweise, die sonst typisch für die „Zombicide“-Editionen von CMON sind, kommt dem Ganzen in diesem Fall ebenfalls zugute.



Und auch diesmal noch eine Anmerkung zur Spielerzahl: „Night of the Living Dead“ ist für 1 bis 6 Spieler gedacht. Allerdings muss man je nach Spielerzahl ein paar taktische Nachteile in Kauf nehmen. Wie oben geschrieben, aktiviert jeder Spieler all seine Überlebenden in beliebiger Reihenfolge, bevor der Spieler zu seiner Linken dran ist. Das heißt, wenn man allein spielt, kann man alle 6 Überlebenden völlig frei agieren lassen (was gerade in brenzligen Lagen extrem wichtig ist). Spielt man zu zweit, muss zunächst einer 3 Überlebende, dann der nächste 3 Überlebende aktivieren. Noch schlimmer wird es zu dritt. Da existieren 3 Aktivierungsblöcke zu je 2 Überlebenden. Bei 6 Spielern wird es dann maximal unflexibel, weil die Aktivierungsreihenfolge der Charaktere von der Sitzreihenfolge am Tisch festgelegt wird. Das erhöht den Schwierigkeitsgrad merklich. (Um hier für Fairness zu sorgen, empfehle ich die Hausregel, dass alle Spieler nach dem Startspieler einer Runde in beliebiger Reihenfolge dran sind, bis jeder seine Überlebenden aktiviert hat.)

Fazit:
„Night of the Living Dead“ ist ein Ableger des „Zombicide“-Franchises, der sich meines Erachtens vor allem an solche Spieler wendet, die „Zombicide“ noch nicht kennen (und mögen) und zugleich vielleicht Fans des alten Romero-Films sind. Die Atmosphäre ist etwas düsterer und der taktische Überlebenskampf fühlt sich erbitterter an – auch wenn das Spiel objektiv betrachtet nicht schwerer als die anderen Editionen ist, zu Beginn scheint es mir ganz im Gegenteil sogar einfacher. Es ist eine Rückkehr zu den Anfängen, als Zombies (oder Ghule) noch unheimliche Gegner waren und keine Popkultur-Parodien ihrer selbst. Trotzdem: Im Kern bleibt auch „Night of the Living Dead“ natürlich im Herzen „Zombicide“: ein missionsbasiertes, taktisches Miniaturenspiel, das trotz Würfeleinsatz erfreulich wenig auf reines Glück setzt. Wer es gerne bunt und knallig hat, der sollte auf die zweite Edition von „Zombicide“ warten. Freunde eines geerdeten, klassischen Grauens werden hiermit allerdings perfekt bedient.

Night of the Living Dead – Ein Zombicide-Spiel
Brettspiel für 1 bis 6 Spieler ab 14 Jahren
Raphaël Guiton, Jean-Baptiste Lullien, Nicolas Raoult, Davit Preti
CMON/Asmodee 2020
EAN: 4015566601758
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 89,95

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