Niemandsland: Grabenkrieg & Heimatfront

Mit dem Wälzer „Niemandsland“ bringt die deutsche „Cthulhu“-Schmiede Pegasus die nächste Eigenproduktion in altbekannter Qualität heraus, die sich den und dem Schrecken des 1. Weltkrieges widmet und den Leser sowohl tief in Grabenkriege und Kreuzfeuer als auch das Geschehen an der Heimatfront ziehen.

von Ansgar Imme

 

Auf 256 Seiten bietet Pegasus Spiele dem Leser sowohl Hintergründe als auch einen großen Abenteuerteil über den Ersten Weltkrieg. Wie fast schon üblich handelt es sich bei dem Band um eine rein deutsche Produktion und keine Übersetzung. Unter Redaktion von Heiko Gill und „Cthulhu“-Chefredakteur Frank Heller haben sich mehr als zehn Autoren zusammengefunden, um für Spieler und Leser die historischen Hintergründe spielbar zu machen und damit auch die Vorgeschichte der klassischen „Cthulhu“-Ära der 1920er aufzubereiten. Neben dem Quellenteil sind zusätzlich drei umfangreiche Abenteuer enthalten, um neben all dem Hintergrundmaterial schnell Spielbares zu bieten.

Was geboten wird

In klassischem Pegasus-Standard finden sich die vielen Informationen in einem schönen Hardcover-Band. Neben den schon drei erwähnten Abenteuer und dem Hintergrundteil glänzt auch diese Spielhilfe wieder mit vielen zeitgenössischen Bildern und Fotos, die Abenteuer erhalten alle ausführliche Anhänge mit Personenbeschreibungen, Zeichnungen, Schriften und alten Ortsplänen. Zudem finden sich längere Beschreibungen berühmter Persönlichkeiten dieser Epoche wie zum Beispiel Erich Maria Remarque, Mata Hari oder Paul von Hindenburg. Dazu wurde der Charakterbogen leicht angepasst und ist zum Kopieren vorhanden. Wenn man das edle Buch nicht auf den Kopierer legen will, kann man die Vorlage auch auf den Seiten des Verlages unter www.pegasus.de im „Cthulhu“-Bereich herunterladen.

Das erste Kapitel widmet sich auf mehr als 50 Seiten dem historischen Hintergrund. Neben der Vorgeschichte, die zum 1. Weltkrieg führte, findet man eine Aufteilung in Luft-, See- und Grabenkrieg sowie die Kriegsverläufe an den verschiedenen Fronten inklusive der Geschehen im Heimatland. Es schließt mit einem längeren Abschnitt über die Folgen des Krieges sowohl für die Länder Europas hinsichtlich Politik, Wirtschaft und Kultur als auch für die Menschen und Spielercharaktere.

Das zweite (Hintergrund)Kapitel geht auf 60 Seiten auf „Charaktere im Krieg“ ein. Die Charaktererschaffung wird an die geänderten Umstände des Krieges leicht angepasst beziehungsweise erweitert und durch Informationen rund um das Leben der Menschen zu Kriegszeiten ergänzt. Die nächsten Unterkapitel beschäftigen sich mit den verschiedenen Diensträngen auf beiden Kriegsseiten, dem Kriegsalltag und der Feldpost. Auch wird ausführlich auf die Ausrüstung eines Soldaten, mit Schwerpunkt auf den verschiedenen Waffen, eingegangen, und in einem kleineren Part gibt es Informationen über Fortbewegungsmittel zu Land und Luft. Auf etwa 16 Seiten folgt der regeltechnische Teil für verschiedene Kriegsszenarien und Situationen. Nach der Beschreibung einiger fiktiver Nichtspielercharaktere folgt zum Abschluss die Umsetzung der Kriegsängste und des Grauens am Spieltisch.

Im zweiten Teil des Bandes widmen sich die drei folgenden Kapitel jeweils schwerpunktmäßig einem Abenteuerschauplatz: Sebastian Weitkamp lässt die Charaktere in Afrika schwitzen, Oliver Adam & Uwe Weingärtner schicken ein paar junge Offiziere an die Somme direkt in den deutsch-französischen Grabenkrieg, und Ralf Sandfuchs verwickelt Daheimgebliebene in die Geschehnisse um ein Luftschiff in Hamburg.

In „Schwarzer Sand“ werden die Charaktere in Bremen zur Hochzeit der Schwester eines Charakters eingeladen. Der kommende Ehemann, jüngst aus Afrika von der kaiserlichen Schutztruppe zurückgekehrt, bricht jedoch bei der Hochzeit zusammen und fällt ins Fieber. Die Nachforschungen in Bremen ergeben, dass die Krankheit irgendwie mit seinem Aufenthalt in Deutsch-Südwestafrika zusammenhängen muss, worauf sich die Charaktere mit dem Ehemann zusammen per Schiff gen deutscher Kolonie begeben. Während der Fahrt erreicht die Reisenden die Nachricht, dass Deutschland mit Russen, Franzosen und Briten im Krieg liege, was natürlich die Reise als auch die Nachforschungen in Afrika erschwert. Zudem wird noch ein dubioser Archäologe in die Geschehnisse verwickelt, und die Geschichte entlädt sich auf einer kleinen Farm und in einem alten Bergwerk.

„Ein Sommenachtsalptraum“ (kein Schreibfehler, ein Wortspiel der Autoren :-) ) bedeuten die Ereignisse für mehrere junge Offiziere an der Westfront im Somme-Gebiet. Auf Befehl der Armeeführung sollen diese die extreme Häufung von Desertationen, psychischen Zusammenbrüchen und Selbstmorden an einem bestimmten Frontabschnitt untersuchen. Dabei geraten die Charaktere sowohl mit rücksichtslosen Kommandanten, desillusionierten Soldaten, französischen Kriegsgefangenen, feindlichem Beschuss, dem Wissenschaftler Prof. Fritz Haber und einem Geheimbund mit deutschnationalen Absichten zusammen. Durch Nachforschungen ergeben sich Informationen, die die Charaktere mitten ins Kriegsgebiet in die feindlichen Linien werfen, um ein kleines, altes franzsösiches Kloster zu finden...

„Wir fahren gen Engeland“ führt die Charaktere in Hamburg während des 1. Weltkriegs zusammen. Auf dem ehemaligen Luftschiff-Hafen der Stadt, Fuhlsbüttel, wird gerade ein neues Starrluftschiff fertiggestellt und soll nun erprobt und bald im Krieg gegen England und Frankreich eingesetzt werden, um die Wende zu bringen. Doch es scheint ein Fluch auf dem Projekt zu liegen, denn schon während der Bauzeit verschwinden immer wieder Arbeiter und andere Menschen, und ein Saboteur macht sich an einem bestimmten Gebäude zu schaffen. Als das Luftschiff zu einem ersten Testflug nach England aufbricht und bei einem feindlichen Angriff zwei Jagdmaschinen auf mysteriöse Weise ausschaltet, sind Charaktere gefragt, dieses Rätsel zu lösen.

Bewertung

Der Umfang, die Fotos und Illustrationen sowie die ausführlichen Anhänge wissen, wie üblich bei Pegasus, zu begeistern und sind sehr positiv hervorzuheben. Der Hintergrundteil um die historischen Fakten und Daten ist inhaltlich gut zusammengefasst und gegliedert und in der Hinsicht gelungen. Sicherlich mag man sich darüber streiten, ob der historische Part mit mehr als 50 Seiten so ausführlich sein muss oder ob der Leser nicht unter Umständen wichtige geschichtliche Passagen selbst nachschlagen könnte. Andererseits mischt sich an einzelnen Stellen der historische Abriss mit Informationen zum Hintergrund (Beispiel Afrika: Aufbau der Verwaltung der Kolonien), was schon wieder interessanter ist.

Das zweite Kapitel lässt mich zwiegespalten zurück. Während der Hintergrundpart exzellent ist und viele wichtige Informationen für den Spieler liefert („Kriegsalltag“ hätte gerne noch ausführlicher sein können), finde ich den Regelteil übertrieben. Ob es notwendig ist, Sturmangriffe einzelner Soldatengruppen, den Panzerkampf oder Kavallerieangriffe so detailliert und explizit mit Regeln zu hinterlegen, halte ich für fraglich – gerade bei „Cthulhu“, wo das ROLLENspiel noch viel mehr als bei anderen Systemen im Vordergrund steht. Interessant und ein Lichtblick sind wieder dagegen die Tipps für das Grauen am Spieltisch – und hier ist das Grauen des Krieges gemeint.

Was mir generell an Hintergrund ein wenig fehlt, sind einzelne zusätzliche Szenariovorschläge, Hinweise auf Geheimnisse oder seltsame Orte oder Menschen, die ein Spielleiter leicht verwerten und ins Spiel einbauen kann. Auch Orte im Krieg, vor allem an den Fronten, wären es aus meiner Sicht wert gewesen, genauer beschrieben zu werden und Ideen für weitere Abenteuer zu liefern. Dafür hätte man gerne den Regelteil etwas kürzen können.

Die drei Abenteuer bieten eine gute Mischung sowohl hinsichtlich der zeitlichen als auch der räumlichen Einordnung. Am besten passt auf diesen Band aus meiner Sicht das zweite Abenteuer an der Somme, wo die Grabenkriege, die man wohl am ehesten mit dem 1. Weltkrieg verbindet, thematisiert werden und gleichzeitig das klassische Grauen eines „Cthulhu“-Abenteuers hervorkommt. Ein sehr schönes Abenteuer! Die beiden anderen fallen etwas zurück, zudem zeigt vor allem das erste Abenteuer auch noch die Schwäche, zu einer anderen beliebigen Zeit irgendwann Anfang des 20. Jahrhunderts ohne Weltkrieg spielbar zu sein, dann hätte es aber nicht in diesen Band gemusst.

Fazit: „Niemandsland“ ist auf jeden Fall empfehlenswert, wenn man eine weitere „Cthulhu“-Epoche erschließen oder seinen Charakteren einen sehr tiefen Hintergrund und damit die ersten Abenteuer zulegen möchte. Im Hintergrundbereich („Mythen & Mythos“) hätte man aber noch ein wenig mehr herausholen können. Die Qualität hinsichtlich Informationen, Daten, Fakten und Spielverwertbarem ist wie immer immens und das Preis-Leistungs-Verhältnis auf jeden Fall angemessen.


Niemandsland: Grabenkrieg & Heimatfront
Quellen- und Abenteuerband
Heiko Gill (Hrsg.)
Pegasus 2007
ISBN: 3939794031
256 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 29,95

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