New Angeles

New Angeles, die Perle des Sonnensystems, ist nicht nur wirtschaftliches Zentrum der künftigen Erde, sondern auch Anfangspunkt des Raumaufzugs am Äquator. Die Metropole ist Tummelplatz der Megakonzerne, die um Macht, Geld und Einfluss ringen. In diesem Brettspiel des „Android“-Universums streiten bis zu sechs Spieler mit Verhandlungsgeschick, Verrat und Manipulation um die Vorherrschaft. Doch Vorsicht: Wer zu egoistisch agiert, läuft Gefahr, die Kontrolle über die Stadt zu verlieren, und dann haben schlimmstenfalls alle das Nachsehen.

von Michael Wilhelm

Das inzwischen eingestellte Living Card Game „Android Netrunner“, ebenfalls auf Deutsch beim Heidelberger Spieleverlag/Asmodee erschienen, erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit und gilt nach wie vor als eines der besten asymmetrischen Zweispieler-Spiele. Ganz anders kommt das semikooperative „New Angeles“ daher: Die prallgefüllte Schachtel (im quadratischen Standardformat) offenbart einen großformatigen Pappspielplan mit zehn Orten der Stadt New Angeles, auf dem sich vier bis sechs Spieler mehrere Stunden semikooperativ tummeln können.

Ziel des Spiels ist es, gemeinsam mit den anderen Spielern die Stadt New Angeles am Laufen zu halten, Bedrohungen wie Streiks und Krankheitsausbrüche einzudämmen und ausreichend Waren und Dienstleistungen zu produzieren, um den Bedarf der Bevölkerung zu sichern. Um an dieses Ziel zu kommen, müssen die Spieler ihre Kontrahenten überreden, überzeugen, bestechen und manipulieren, ohne das gemeinsame Ziel, nämlich den Erhalt der Stadt, aus dem Auge zu verlieren.

Zu Beginn des Spiels bekommt jeder Spieler neben seiner Rolle als Leiter eines Mega-Konzerns eine Rivalen-Karte zugelost. Gewonnen hat am Ende, wer es schafft, mehr Kapital als der Rivale erlangt zu haben. Beim Losen kann es auch passieren, dass man die Rivalen-Karte des eigenen Konzerns bekommt. Dann muss man bei einer Partie zu fünft oder sechst zu Spielende mehr Kapital angehäuft haben als drei Mitspieler (oder in einer 4-Spieler-Runde mehr als zwei). Einen zusätzlich Kick gibt die Föderalist-Rivalen-Karte. Der Föderalist muss keinen anderen Spieler übertrumpfen, sondern gewinnt, falls der Bedrohungsmarker die Marke 25 erreicht, die Spieler also sozusagen die Kontrolle über die Stadt verloren haben und die Regierung eingreifen muss. Eine Rivalen-Karte bleibt übrig und kommt verdeckt zurück in die Schachtel, somit bleiben die Konkurrenz-Verhältnisse immer etwas im Dunkeln, wenn auch durch genaues Beobachten manche Beziehung, besonders in den letzten Zügen, offenbart werden kann.



Nach ausgiebiger Sortier- und Ausprickel-Arbeit des umfangreichen Spielmaterials (mit 24 detaillierten Einheiten-Miniaturen, fast 200 Karten und etwa 80 Pappmarkern) werden auf die zehn Stadtteile von New Angeles je nach gewählter Vorbereitungskarte eine Zahl von Krankheits-, Androiden-, Unruhe- und Ausfall-Markern sowie Einheiten platziert. „Organisiertes Verbrechen“-Einheiten verhindern die Produktion von Primärressourcen, „Menschen zuerst“-Einheiten erhöhen die Unruhe und können so zum Ausfall der gesamten Produktion eines Stadtteils führen, während Prisec-Einheiten die anderen beiden Einheiten vertreiben, sozusagen für Ordnung sorgen. Vertrieben Einheiten verschwinden nicht einfach, sondern wandern in den nächsten Stadtteil. Wenn sie im letzten Stadtteil, der Wurzel des Beanstalk, ankommen, erhöht sich die Bedrohung um 2 Punkte. Bestenfalls sollten die also ganz entfernt werden, da sonst irgendwann alle Spieler (bis auf den Föderalisten) das Nachsehen haben werden.

Wenn die Stadt und alle Kartendecks vorbereitet sind, beginnt jede Standard-Runde mit einer Aktionsphase. Davon finden drei bis fünf statt, je nachdem wie viele Vorteilskarten an der Rundenanzeige am Spielplan ausgelegt wurden. Die Zahl der Vorteilskarten ist abhängig von der benutzten Vorbereitungskarte oder in späteren Runden der vorherigen Ereigniskarte.

Der aktive Spieler zieht drei Aktionskarten (aus den Kategorien Sicherheit, Biotech, Bau, Medien und Arbeitskräfte), dann wird als sogenannte Absprache ein Deal ausgehandelt. Dazu deckt man die an der Rundenanzeige zuvorderst ausliegende Vorteilskarte auf und der aktive Spieler legt als Hauptvorschlag eine Aktionskarte aus, die er oder sie abhandeln möchte, um danach die Vorteilskarte zu beanspruchen. Reihum haben dann die Mitspieler die Möglichkeit, Gegenvorschläge mit eigenen Aktionskarten zu machen. Und jetzt wird es spannend.



Denn das Aushandeln der Vorschläge macht die Seele des Spiels aus. Hier kann bestochen, gedroht und versprochen werden, bis die Schwarte kracht. Es gilt, die Mitspieler zu überzeugen, dass der eigene Vorschlag der beste für die Stadt ist. Da man an der Rückseite der nächsten bereitliegenden Ereigniskarte schon sehen kann, welche Bedrohung die dringlichste ist, sollte den Spielern bekannt sein, worum es geht. Zeigt etwa die Ereigniskarte eine Organisiertes Verbrechen-Einheit, so ist zu erwarten, dass für jede dieser Einheiten in der Stadt der Bedrohungsmarker vorrücken könnte. Und wenn die Aktionskarte des eigenen Vorschlags solche Einheiten entfernt, sollte es doch gelingen, die Mitspieler zu überzeugen, den Vorschlag zu unterstützen. Vorausgesetzt, man kann den Mitspielern ausreichend Bakschisch (Karten, Kapital, spätere Unterstützung oder anderes) bieten. Es sei denn, das erfolgreiche Abhandeln des Vorschlags, das Ausführen der Aktionskarte und das Einsacken der Vorteilskarte geht den Mitspielern aus anderen Gründen gegen den Strich (weil sie beispielsweise der Rivale des aktiven Spielers oder gar der Föderalist sind und lieber die ganze Stadt den Bach runtergehen sehen). An den Handel ist man prinzipiell gebunden, zumindest an den Teil, der sofort erfüllbar wäre. Hat man also Kapital oder eine Karte versprochen, muss man die auch abgeben. Hat man aber spätere Unterstützung versprochen, ist Verrat ausdrücklich erlaubt.

Wer es nun also schafft, für seinen Vorschlag mehr Unterstützung einzuholen (abgestimmt wird durch Ablegen von Aktionskarten), beansprucht die ausliegende Vorteilskarte, die meist von großen Wert für das eigene Vorankommen im Spiel ist. Damit kann beispielsweise Kapital oder Aktionskarten von anderen Spielern gestohlen werden, Absprachen können leichter gewonnen werden oder andere, teils einmalige, teils dauerhafte Effekte können genutzt werden.

Nachdem drei bis fünf Aktionsphasen und die zugehörigen Absprachen abgehandelt wurden, kommt die Produktionsphase, wo jeder Stadtteil mit Androidenmarker die entsprechenden Ressourcen generiert, gleichzeitig wird auch (durch die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die unmenschlichen Arbeitssklaven) die Unruhe im Stadtteil erhöht. Anschließend folgt die Ereignisphase, in der je nach Status der Stadt die Bedrohungsanzeige vorrückt und neue Marker oder Einheiten in die Stadt gelegt werden.



Nach der zweiten, vierten und sechsten Standard-Runde folgen jeweils Nachfrage-Runden. Dabei werden zunächst die Investitionskarten der Spieler abgehandelt, über die, je nachdem ob die Anforderungen erfüllt wurden, Kapital gewonnen werden kann. Wenn man es also geschafft hat, den Status der Stadt entsprechend zu beeinflussen, kann man ordentlich absahnen. Dabei können auch eigentlich nachteilige Zustände (Unruhe- oder Streik-Marker) zu Gewinn führen.

Anschließend muss die Nachfrage der Bevölkerung nach Ressourcen befriedigt werden. Falls es jetzt den Spielern nicht gelungen ist, die entsprechenden Ressourcen zu generieren, rückt der Bedrohungsmarker vor, gerne auch mal um 5 oder 7 Punkte, und bringt die Stadt näher ans Chaos. Alles läuft also darauf hinaus, die Bedrohung gering zu halten, indem die geforderten Ressourcen generiert werden und die durch Ereignisse drohenden Strafen vermieden werden. Gleichzeitig verfolgt jeder Spieler eine eigene Agenda. Entweder versucht man, den (oder die) Rivalen zu übertreffen, oder als Föderalist diskret die ganze Stadt den Bach runtergehen zu lassen.

„New Angeles“ hat als semikooperatives Spiele eine perfekte Balance zwischen dem Erstreben der eigenen Agenda und dem gemeinsamen Ziel, die Stadt am Laufen zu halten. Der zentrale Mechanismus der Absprachen sorgt dabei für jede Menge Emotionen. Das Spiel lebt von Handel, Verrat und Betrug, ähnlich wie der Klassiker „Diplomacy“, der so manche Freundschaft ernsthaft gefährdete. Dabei ist der Ablauf und auch die Dauer des Spiels natürlich abhängig von der Bereitschaft der Spieler, zu handeln, Versprechungen zu machen und auch wieder zu brechen. Wenn jeder nur so vor sich hinspielt, ist das Spiel schneller vorbei, entfaltet aber auch nicht seinen über die Mechanismen hinausgehenden Reiz. Natürlich passiert dabei in einer Sechser-Runde mehr als zu viert, und auch wechselnde Allianzen formieren sich in großer Runde eher. Gerade, wenn einer der Spieler einen Vorsprung erlangen sollte, formieren sich wieder neue Konstellationen.



Fazit: Mit der passenden Spielerrunde ist „New Angeles“ ein echter Hammer, vorausgesetzt man ist bereit, sich für mehrere Stunden auf das Schwergewicht einzulassen. Dank hervorragender Anleitung und umfangreichem Regel-Kompendium, sagenhaft gutem Spielmaterial und perfekt mit dem Spielmechanismus harmonierendem Setting gibt es nichts zu meckern. Abschließend kann ich in Anlehnung an den Spruch über Las Vegas nur sagen: Was in „New Angeles“ passiert, sollte auch in New Angeles bleiben.

New Angeles

Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 14 Jahren
James Kniffen
Heidelberger Spieleverlag 2017
EAN: 4015566024915
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 57,99

bei amazon.de bestellen