Necronomicon - Geheimnisse des Mythos

Auch nach über 20 Jahren zählt das „Call of Cthulhu“-Rollenspiel nach wie vor zu den ganz großen Klassikern. Im vorliegenden Band, der sich mit dem Schrifttum und den Artefakten des Mythos befasst, setzt Pegasus die herausragende Arbeit fort, die inzwischen sogar schon wegweisend auch für die amerikanische Ausgabe bei Chaosium ist.

von Michael Wilhelm

 

Zunächst fällt die wundervolle Aufmachung des Hardcover-Bandes auf. Schriftbild und Layout sind nahezu makellos, die Abbildungen, die auch sehr zur atmosphärischen Intensität des Buches beitragen, von durchgehend hoher Qualität, ebenso die Auszüge aus Mythosbüchern. Überhaupt erwecken die Abbildungen ein starkes Gefühl von Authentizität, da wie spätestens seit dem „Malleus Monstrorum“ üblich, vorwiegend zeitgenössische oder auf zeitgenössisch geprägte Faksimile als Fotografien und Zeichnungen im Bildmaterial Verwendung finden. Doch der Inhalt ist von ähnlich hohem Niveau. Sogar dergestalt, dass Chaosim inzwischen dazu übergeht, das unter Absprache bei Pegasus erschienene Material als Grundlage für eigene Neuauflagen und Neuerscheinungen zu verwenden.

Dieser Band, der sich mit dem Schrifttum und den Artefakten des Mythos beschäftigt, bietet dem Spielleiter weit mehr als ein paar bloße Zahlenwerte. Jedes einzelne Buch, jeder Gegenstand wird mit ausführlicher Beschreibung und der individuellen Geschichte versehen abgehandelt. Die oftmals fast lebendig erscheinende Macht und Bosheit eines Mythosbuches erlangt hier sozusagen Gesicht und Charakter. Aufgrund der bedeutenden Rolle, die Bücher in einer Cthulhu-Kampagne spielen, war es also höchste Zeit für dieses Werk. So befasst sich auch der Hauptanteil des 260-Seiten-Bandes mit dem geschriebenen Wort (und Symbol).

Im Kapitel „Von fauligen Folianten“ werden nicht nur eine kurze Geschichte des geschriebenen Wortes von den ersten Symbolen der Jungsteinzeit bis zur Zeit nach der Erfindung des Buchdrucks sowie eine Abhandlung über Mythoswissen geboten, das außerhalb von Büchern in Keramik, Wandgemälden und Stein geschrieben wurde, sondern auch der Umgang mit okkulten und verbotenen Büchern erläutert. Das „Necronomicon“ ist eben nicht das einzige Werk, in dem der Mythos erwähnt ist. Genausowenig kann es im Buchclub um die Ecke erstanden werden. Aber vielleicht haben die alten Römersteine im Stadtpark ein Geheimnis preiszugeben?

Der Hauptteil des Kapitels, und des ganzen Buches, befasst sich dann mit den einzelnen Mythoswerken selbst. Besonderes Augenmerk erhalten die Werke, deren Lektüre acht oder mehr Prozentpunkte in der Fertigkeit „Cthulhu-Mythos“ geben, wie das „Buch des Eibon“, das „Von Unaussprechlichen Kulten“ des von Junzt, die „G`harne Fragmente“, die „Revelations of Glaaki“ oder „Monstres and theyr Kind“ und ganz besonders natürlich das „Necronomicon“ des wahnsinnigen Arabers Abd Al-Azrad.

Eine stimmungsvolle Einleitung in Form eines Briefes oder Tagebucheintrags, die auch gleich schon Eindrücke über die spezifische Auswirkung der Lektüre des jeweiligen Bandes vermittelt, geht jedem Eintrag voran. Dann werden kurz Geschichte, Autor und Herkunft des Buches, soweit bekannt, abgehandelt sowie die Statistiken der einzelnen Übersetzungen und deren Urheber und Besonderheiten genannt. Zu jeder Ausgabe werden darin enthaltene Zauber vorgeschlagen. Abschließend werden noch Besonderheiten des Bandes in Bezug auf Aussehen oder Verfügbarkeit erwähnt und die Auswirkungen beim Lesen oder Überfliegen des Textes beschrieben. Manche Einträge werden dann noch durch Szenariovorschläge oder biographische Notizen zu Autor oder Übersetzer ergänzt.

Die Einträge zu den kleineren Werken des Mythos fallen dann schon deutlich kürzer aus, wobei diese allein schon von der Natur her weniger magisch sind und es nicht so viele wesentliche Informationen dazu gibt. Allein schon aufgrund der großen Zahl der Werke, die aus Literatur, amerikanischen und deutschen Quellenbüchern und Szenarien zusammengetragen wurden, ist diese Auflistung dennoch sehr umfangreich. Es folgt eine Auflistung okkulter Werke, die teilweise gar nicht oder nur am Rande den Mythos berühren, aber im Laufe von Abenteuern dennoch von Interesse sein können. Abgerundet wird das Kapitel durch kurze Artikel zu den grundlegenden Unterschieden zwischen Mythosbüchern und normalen Büchern, zu Schriftbild und Druckkunst, und dem Verfassen und Lösen von Codes und Geheimschriften. All dies soll dem Spielleiter helfen, selbst ‚echte‘ Mythostexte zu verfassen, und diese dann stimmungsvoll im Spiel einzusetzen.

Das Kapitel „Arkane Raritäten“ beschreibt ausführlich verschiedenste, mit dem Mythos assoziierte Schätze und Artefakte, wie den Diskus von R`lyeh oder das leuchtende Trapezoeder, den Silberschlüssel Randolph Carters oder den Ring des Eibon. Nicht nur werden relevante Spielwerte gegeben, sondern es finden sich auch Hintergrundinformationen und Abbildungen zu den obskuren Objekten.

Schließlich werden im Kapitel „Fremdartige Artefakte“ technische und magische Gerätschaften und Waffen von Mythoswesen, wie der Shoggothen-Treiber der Älteren Wesen, die Elektrogewehre der Mi-Go und die Zeitmanipulatoren der Großen Rasse von Yith erläutert.

Das letzte Kapitel „In Azathoths Sphären“ stellt eine kurze Geschichte anhand von Mythos-Textauszügen vor und gibt so ein Beispiel, wie Mythostexte zum zentralen Aspekt eines Szenarios werden können.

In einem abschließenden Anhang finden sich Beschreibungen neuer Zauber sowie tabellarische Übersichten aller bisher erwähnten Mythoswerke, okkulter Bücher und Zaubersprüche.

Der vorliegende Band liest sich von Anfang bis Ende spannend durch und ist voller Informationen, geradezu reichhaltig gespickt mit Anregungen für zahllose Szenarien. Manchmal scheint die Informationsfülle schier erschlagend, aber durch die übersichtliche Aufmachung wird das locker ausgeglichen. Und auch das wunderschöne Bildmaterial und Schriftbild weiß vollkommen zufriedenzustellen. Aufgrund der durch Illustrationen, Textauszüge und das Einfließen von Zitaten und historischen Fakten vermittelten scheinbaren Authentizität weiß man manchmal fast gar nicht mehr, inwieweit es sich bei einer Passage um Fakten oder Fiktion handelt. Auch wenn die Autoren Wert darauf legen zu betonen, dass der Mythos nicht existiert und alles nur erfunden sei, können wir da wirklich sicher sein?

Fazit: „Necronomicon - Geheimnisse des Mythos“ ist mit Sicherheit eines der solidesten und informativsten Quellenbücher auf dem Markt. Die hervorragend recherchierten und zusammengestellten Artikel, die wundervollen Illustrationen und die hohe Dichte an spielrelevanten Informationen sollten das Herz eines jeden cthulhoiden Spielleiters (und indirekt damit auch Spielers) höher schlagen lassen. Mit besten Wissen und Gewissen kann für diesen Band eine absolute und unbedingte Empfehlung ausgesprochen werden.


Necronomicon - Geheimnisse des Mythos
Quellenbuch
Frank Heller (Hrsg.)
Pegasus Spiele 2004
ISBN: 3937826149
260 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 34,95

bei pegasus.de bestellen
bei amazon.de bestellen