von Oli Clemens
„Mythwind“ ist ein kooperatives Abenteuer-Spiel für bis zu 4 Personen. Dabei entdeckt man gemeinsam eine neue Landschaft, baut ein Dorf auf, kümmert sich um Ressourcen und entwickelt die eigenen Charaktere.
Diese üben alle unterschiedliche Berufe aus. Der Farmer sorgt für frisches Gemüse, die Handwerkerin bastelt in ihrer Werkstatt nützliche Gegenstände, die Händlerin sorgt für Konjunktur auf dem Warenmarkt und der Waldhüter streift auf der Suche nach neuen Ressourcen durch die Gegend und entdeckt die umliegende Landschaft. Jede Rolle ist in ihrem Gameplay und den Regeln völlig unterschiedlich. So puzzelt sich der Farmer beispielsweise einen Nutzgarten zusammen und kümmert sich um seine Tiere, während die Handwerkerin Materialien aufwerten muss und damit Aufträge erfüllt. Für die Spielvorbereitung bedeutet das aber auch, dass alle sich erst einmal mit den eigenen Regeln ihres Charakters auseinandersetzen müssen. Dafür gibt es neben der Hauptanleitung noch zusätzliche schlanke Büchlein mit allem Wissenswerten.
Der Aufbau kostet wegen des hilfreichen Inlays und der smarten Aufbewahrungsidee fast keine Zeit. Der größte Teil des Spielmaterials liegt in Trays bereit, die einfach auf den Tisch gestellt werden, so auch der Spielplan und die Charaktere. Wie nützlich das ist, spürt ihr vor allem, wenn ihr mal eine Spielpause machen werdet.
Der Ablauf von „Mythwind“ ist in Jahreszeiten gegliedert und jede Jahreszeit in mehrere Runden, die jeweils Tage repräsentieren. An jedem Tag haben wir drei Phasen, nämlich Morgen, Mittag und Abend. In jeder Phase tun wir Dinge, die sich auf unterschiedliche Weise auf unser Dorf auswirken. In jeder Tageszeit können die Spielenden die Züge gleichzeitig ausführen. Das sorgt für keine nennenswerten Wartezeiten. Klar ist aber, dass man sich untereinander absprechen sollte, denn euer Dorf wächst und gedeiht natürlich nur, wenn ihr am gleichen Strang zieht.
In der Morgenphase checkt man erst mal das Wetter. Ja, auch in „Mythwind“ ist der Blick aus dem Fenster am Morgen Teil des Alltags. Dazu zieht man von einem vorbereiteten Deck die oberste Karte. Die aktuelle Wetterlage löst möglicherweise Ereignisse in eurem Tal aus. Ereignisse sind wie die oft zitierte Schachtel Pralinen. Du weißt nicht, was sie genau für dich und ein Dorf bedeuten. Vielleicht erklimmt man gemeinsam einen Berg, sucht Rat bei einem Fremden oder leidet unter den Auswirkungen einer Explosion. In dieser Phase zieht man von einem vorbereiteten Ereignisstapel und führt die Anweisungen auf der Karte aus. In der Regel hat das Ereignis einen direkten Einfluss auf eure aktuellen Ressourcen. Manchmal hat man auch die Qual der Wahl beim Ausgang des Ereignis. Denkt daran: „Mythwind“ ist ein kooperatives Spiel, also hört euch die Meinung aller Personen an, bevor ihr euch entscheidet. Das Wetter ist zudem auch für die Produktivität des Farmers von Bedeutung, weil es bei ihm Zusatzaktionen auslösen kann. Scheint im Frühling die Sonne, kann er zusätzlich pflanzen. Regnet es im Sommer, spart er sich das Gießen. Das ist schon recht thematisch und nachvollziehbar.
Am Mittag wird sich intensiv ums Dorf gekümmert. Zuerst wartet auf alle genau eine Dorfaktion. Das ist die Worker-Placement-Phase von „Mythwind“, in der man seine Miniatur auf eins der verfügbaren Dorfaktionsfelder stellt und entsprechend die Aktion ausführt. Für das Wohl eures Dorfes kannst du dann zum Beispiel auf Abenteuerreise gehen und hoffentlich mit nützlichen Dingen im Rucksack heimkehren. Oder du schaffst Bauplatz für Gebäude, die natürlich erst errichtet werden müssen. Selbstverständlich kannst du auch den Bau neuer Gebäude in dieser Phase anstoßen, das frisst dann aber große Löcher in eure Ressourcen. Sind Gebäude dann im weiteren Verlauf des Spiels fertig, werden auch diese zu Aktionsfeldern. Ihr merkt, um eine Synergie unter den Aktionen herzustellen, gilt es auch hier, sich abzusprechen, bevor man die eigene Aktion ausführt.
Egal wie du dich entscheidest, gehst du durch deine Wahl für diese Runde ein Bündnis ein, nämlich entweder mit den Dorfleuten oder den Waldgeistern. Wie du dich entscheidest, ist dir grundsätzlich freigestellt, wird sich aber gleich massiv auf deine Charakteraktionen auswirken, die im Anschluss an diese Phase folgen. Dann gilt es nämlich entsprechend deines Bündnisses eine der möglichen Charakter-Aktionen auszuwählen. 2 sind immer den Waldgeistern zugeordnet, 2 immer deiner Allianz mit den Menschen. Eine hat einen Joker-Charakter und kann ausgewählt werden, egal wem du dich in dieser Runde verpflichtet hast.
Unabhängig von der Wahl deiner Rolle, kannst du nun wieder nur eine Aktion ausführen. Besonders im Solo-Spiel fühlt es sich am Anfang nach einer Ewigkeit an, bis man so richtig in die Pötte kommt. Zum Glück kannst du dir Hilfsaktionen leisten, aber nur, wenn du dir vorher in der Dorfphase Würfel organisiert hast. Selbst diese kannst du jedoch nicht frei nach Belieben irgendwo einsetzen, denn auch sie sind an die potenziellen Bündnisse mit den Menschen und Waldgeistern gebunden. Vielleicht gelingt es dir im Verlauf des Spiels auch, Fähigkeiten zu entwickeln, die dann auch in dieser Phase des Spiels eingesetzt werden können. Alles, was deinen Charakter produktiver macht, hilft eurem Spielerfolg. Doch bis dahin kann es ein langer und Ressourcen zehrender Weg sein, wenn du auf deinen Beitrag im kooperativen Spiel wert legst. Denn aus meinem Spielerlebnis heraus ist es doch wichtiger, erst einmal die Umgebung zu erkunden, nutzbar zu machen und das das Dorf zur Blüte zu bringen, als auf die eigene Charakterentwicklung zu setzen.
Abgeschlossen wird ein Tag natürlich vom Abend. In dieser Phase wird ab- und aufgeräumt, damit am nächsten Tag weitergespielt werden kann. Neudeutsch ist das die Upkeep-Phase, die aber tatsächlich auf dem Hauptspielplan nur wenige Augenblicke dauert. Sorgt zudem auch dafür, dass alle Charaktere in ihrem Spielbereich den nächsten Tag entsprechend vorbereiten.
Könnt ihr noch Wetterkarten ziehen, kommt der nächste Morgen, und es geht in der gleichen Jahreszeit weiter mit der Entwicklung eures Dorfs. Sind die Wetterkarten aufgebraucht, endet die Jahreszeit und ihr könnt schon ein bisschen die Ernte eures bisherigen Spielerlebnisses einfahren. Beispielsweise sorgen einige Gebäude in eurem Tal für Bonus-Ressourcen. Außerdem könnt ihr überprüfen, ob es euch zusammen gelungen ist, ein Ziel zu erreichen, das seit Anfang des Spiels offen ausliegt, wie etwa eine bestimmte Menge an Vorräten erspielt oder eine Menge an Münzen verdient zu haben. Denn wenngleich sich alles bisher nach einem luftigen Erlebnis anhört, so steckt hinter allen Anstrengungen in eurem Tal der harte Kampf um Münzen. Du brauchst beispielsweise Geld, um Ressourcen zu kaufen oder Land zu erschließen. Und vor allem die Rollen-Aktionen sind kostspielig. Also müsst ihr euch jede Münze hart verdienen. Der Farmer macht das durch die Ernte, die Handwerkerin durch das Erledigen von Aufträgen, die Händlerin durch den gezielten Kauf und Verkauf von Gütern. Macht reichlich Umsatz, denn gute Gründe Münzen auszugeben hast du in „Mythwind“ immer.
Das Spielerlebnis im unerforschten Tal kann euch fesseln. Da verfliegen gerne mal zwei oder drei Stunden Spielzeit bei einer Sitzung. Sollte euch mal die Zeit oder Konzentration ausgehen, um weiterspielen zu können, überrascht „Mythwind“ mit einem sehr ausgeklügelten und einfachen Speichermechanismus. Da fast das komplette Material in Sortierkästen ausliegt, kann man einfach wie bei einem guten Picknick alles einsammeln und wieder in der Box verstauen. Das passt alles ineinander und hat genau seinen Platz. Und das Wiederherstellen der aktuellen Spielsituation an einem anderen Tag ist ebenso leicht. Das möchte ich besonders hervorheben, denn im Vergleich zu anderen Brettspielen ist bei „Mythwind“ ein finales Spielende gar nicht vorgesehen.
Zwar lässt sich eine Geschichte von Anfang bis Ende durchspielen, aber das bedeutet nicht, dass man dann aufhören muss. Das Konzept kennt ihr doch sicher von digitalen Abenteuer-Spielen. Nun ist es auch in einem Brettspiel umgesetzt. Dass man nicht auf Sieg oder Niederlage spielt, ist anfänglich schon befremdlich, stellt sich aber schon bald als tiefenentspannendes Erlebnis ein. Der Weg durchs Tal ist das Ziel, so scheint es. Und dann gibt es auch noch verschlossene Umschläge in der Schachtel. Wer würde denn nicht wissen wollen, was uns da bisher an geheimen Spielmomenten noch verborgen geblieben ist.
Die Haupt-Spielregeln helfen euch schnell, das Konzept von „Mythwind“ zu verstehen. Der Ablauf ist durch die Phasen klar gegliedert, und reichlich Illustrationen sorgen dafür, dass man schnell vertraut wird. Und dennoch hat man vor dem Spielerlebnis erst einmal eine Hausaufgabe zu erledigen. Denn alle, die mitspielen werden, müssen sich mit ihrem Charakter vertraut machen und dessen Regeln lernen. Und da alle vier asymmetrisch sind, kann man nicht von dem Farmer auf den Waldhüter schließen. Zudem haben sie auch unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, was ihr bei der Wahl des Charakters auch nicht außer acht lassen solltet. Der Waldhüter spielt sich wirklich viel komplexer als der Farmer. Da spricht eigentlich auch gar nichts dagegen, dass man die einzelnen Charaktere auch im Solo-Spiel kennenlernt, um dann den anderen ein bisschen beim Regellernen unter die Arme zu greifen.
Fazit: „Mythwind“ ist anders in seinem Spielkonzept. Die Idee eines nicht endenden Spielerlebnisses ist ebenso kreativ wie verwunderlich. Gewinnen oder Verlieren gibt es einfach nicht. Das Erlebnis und die Abenteuer stehen bei diesem kooperativen Spiel einfach im Vordergrund. Das sollte auf jeden Fall Menschen ansprechen, die sich als neugierig einschätzen. denn da gibt es einiges zu entdecken. Vom Anspruch her ist es je nach Charakter zwischen einem Familienspiel und einem Kennerspiel einzustufen.
Mythwind
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
Nathan Lige, Brendan McCaskell
Board Game Circus 2024
EAN: 4262360070130
Sprache: Deutsch
Preis: 99,00 EUR
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