München Noir (4.01D)

Jo mei, wer sann’s dann Sie? Was? Runner sann’s? Noh Münch’n wolln’s? Herrschaftszeiten, do hoff i amol, dass Sie wiss’n, worauf Sie sich einlass’n tun. Des Herz Bayerns is im Joar 2070 a rechtschaffen vielschicht’ge Mischung g’wordn, verstehn’s? Tradition herrscht zwoar nach wie vor, dafür sann mir Bajuwaren jo bekannt. Allerdings bleibt’s net dobei. Mir sann längst net nur Oktoberfest und Trachtenumzug, naa! Die Schickeria, die Konzerne und die Politiker, die hob‘n die Stadt fest im Griff – Münch’n wirft heutzutoag a langen Schatten... wenn’s versteh’n, woas i mein.

von Christian Humberg

 

Von Weißwurst und Wetware

Das erste eigene Quellenbuch zur 4.01er-Version von „Shadowrun“ stammt aus Deutschland und thematisiert mit der bayerischen Metropole einen Ort, dem man vor der Lektüre dieser Publikation gar nicht so viel narratives Potenzial zugetraut hätte. München präsentiert sich im „Shadowrun“-Universum als faszinierende, schillernde Stadt der Gegensätze, deren ständiger Balanceakt zwischen Tradition und Zukunft, Postkarten-Gemütlichkeit und intriganter Medienwelt den Spieler schnell in seinen Bann schlägt.

Die Autoren um Herausgeber Jens Ullrich haben den Neustart des „Shadowrund“-Systems genutzt und auch den Aufbau der Quellenbände behutsam aber gekonnt an neue Gegebenheiten angeglichen. Wer in „München Noir“ Detailinformationen wie eine Preisliste des Hofbräuhauses oder den Wasserstand der Isar erwartet, wird enttäuscht. Wer aber harte Fakten sucht, die einem Runner das Leben erleichtern und ihm knapp und klar darlegen, wer hier wie und warum das Sagen hat, ist genau richtig. Das Buch widmet sich auf seinen ersten Seiten einer genaueren Vorstellung der lokalen Begebenheiten in Bayerns Hauptstadt. München 2070 ist eine Medienstadt, eine Metropole der Kommunikation und des Jetsets, der Prominenz. Wie hieß das damals noch bei der Spider Murphy Gang? „Do lassen’s solche Leut wie di und mi erst goar net nei, in die Schickeria.“ Naja, das hat sich 2070 nicht geändert, doch ein guter Runner findet immer einen Weg, erst Recht wenn er die richtigen Leute kennt – aus „München Noir“.

„Das kranke Herz Bayerns“, wie der Band die Stadt umschreibt, schlägt immer noch stark und gleichmäßig. Der FC kickt immer noch im Franz-Beckenbauer-Stadion das runde Leder über den Rasen und sch...t auf neumodischere Sportarten. Die Paulaner-Brauerei ist aktiv wie eh und je und der Dallmayr-Konzern gehört zu den Wirtschaftsgrößen der Region – ein weiter Weg von der doch so harmonisch und überschaubar angehauchten Scheinwirklichkeit aktueller Firmenspots. Heile Welt war gestern? Nein, vorgestern.

Perverse Spiele der Schickimicki-Gesellschaft

Neben den geographischen, infrastrukturellen und touristischen Aspekten des 2070er Münchens, legt das Quellenbuch besonderen Wert auf die Wirtschaft des Plexes. Konzerne, wichtige Kon-Leute, Firmengeschichten... dies und mehr listet „München Noir“ lebendig und aufschlussreich auf und legt dabei Grundsteine für zahlreiche Spielmöglichkeiten. Diese Stadt der „Shadowrun“-Zukunft wird vom Filz, vom Klüngel zusammengehalten. Ein erfolgreicher Runner sollte wissen, wer hier wen schmiert und wer wem noch Gefallen schuldig ist.

Die zweite Hälfte der Publikation gehört einer Kampagne und erlaubt dem Leser somit, die Stadt auf die ohnehin bestmögliche Weise kennenzulernen: unmittelbar, im Spielverlauf. Sechs zusammengehörige Abenteuer bilden „München Noir – Das Spiel“ und schildern den Wettstreit zwischen dem Medienterroristen Leon Durruti und dem Medienmanager Jörg Bruckstädt, einem hohen Tier der Bavaria, der in Leons Gräueltaten das perfekte Material für eine multimediale Auswertung erkannt haben will. Nein, dieses München ist kein netter Ort!

Eine weitere Möglichkeit, in das pralle und facettenreiche Leben der bayerischen Hauptstadt einzutauchen, stellt übrigens Boris Kochs grandioser „Shadowrun“-Roman „Der Schattenlehrling“ dar, der ebenfalls auf dem 4.01er System basiert, nach wie vor lieferbar ist und eine ideale Begleitlektüre für Rollenspieler darstellt (und auch als eigenständiger Roman hervorragend funktioniert).

Fazit:
Quo vadis, „Shadowrun“? Wie zumindest ein Bayer sagen würde: Schau’n mer mal. Die aktuellen Entwicklungen nicht nur in der deutschen Rollenspiel-Verlagsszene geben Anlass zur Konfusion und Sorge, steht die Zukunft der mit „München Noir“ begonnenen Publikationsform von deutschen Quellenbänden zum 4.01er System doch noch immer in den Sternen. Doch wird es sicherlich weitergehen, denn Potenzial und Kreativität lassen sich selten von rechtlichen Fragen ausbremsen. Bis dahin bietet dieses Buch als Mischung aus Faktensammlung und erlebter Stadt den Spielern und ihren Leitern Material für viele abenteuerliche und ... ähem ... zünftige Sitzungen. Aufi, pack‘ mer’s!


München Noir
Quellenbuch
Jens Ullrich (Hrsg.)
Fantasy Productions 2006
ISBN: 3-89064-772-3
128 Seiten, Softcover, deutsch
Preis: EUR 23,00

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