Mit wehenden Bannern

Die Wildermark ist seit Jahren von Krieg, Chaos und Leiden gezeichnet. Zwischen Kriegsfürsten wogt der Kampf um die Vorherrschaft hin und her, während die Bevölkerung leidet und auf eine Rückkehr zum Frieden und Ordnung unter einer Obrigkeit hofft. Als sich eine neue Bedrohung in der Mark offenbart, werden die Karten im Kampf um die Herrschaft neu verteilt. Und nur die Helden können dem Land den dringend benötigten Frieden zurückgeben.

von Ansgar Imme

Der Vorgänger dieser Bandes – „Von eigenen Gnaden“ – ist und war einer der beliebtesten Kampagnen- und Abenteuerbände des Rollenspiels „Das Schwarze Auge“. Schon früh war klar, dass aufgrund des Erfolgs und der offenen Fäden eine Nachfolgeband veröffentlicht werden sollte. Nachdem jedoch der unter Spielern beliebte Autor Uli Lindner im Zuge der Umstrukturierung der „DAS“-Redaktion aus ebendieser ausgeschieden war, wurde auch das Projekt neu vergeben. Als neuer Verantwortlicher wurde die „Allzweckwaffe“ Michael Masberg eingesetzt, der schon die beiden großen und wichtigen Abenteuer der Rollenspiellinie „Der Mondenkaiser“ und vor allem das erst jüngst erschienene „Bahamuths Ruf“ verantwortete. Passenderweise war auch Letzterem ein unter Spielern sehr beliebter Kampagnenband („Blutige See“) und mit Anton Weste von einem ebenso beliebten und geschätzten Autor wie Uli Lindner vorausgegangen. Also stand Michael Masberg auch hier vor der Herausforderung, einen sehr guten Vorgänger mit einem ebenso guten Nachfolgeband zu versorgen. Er übernahm dabei die Redaktion und schrieb selbst einen Teil des Bandes und wurde zudem von anderen Autoren unterstützt. Zum Autor Michael Masberg selbst verweist der Rezensent auf die Rezension zu „Bahamuths Ruf“.

Handlungsüberblick

In letzter Zeit scheint es zur Tradition bei „Das Schwarze Auge“ zu werden, weniger sehr eng geführte Abenteuer und Kampagnen, sondern mehr frei und offene Bände und Handlungen zu veröffentlichen. Nach dem Vorgänger „Von eigenen Gnaden“ wäre eine zu gegängelte Handlung allerdings auch überraschend gewesen. So bietet der Kampagnenband zwar einen roten Faden, der vor allem zeitlich eine gewisse Gliederung bietet, die einzelnen Kapitel bieten jedoch viele Freiheiten und können zum Teil auch zeitlich versetzt gespielt oder sogar weggelassen werden.

Eine kurze Einleitung liefert neben der obligatorischen Zusammenfassung auch Informationen zum Zustand des Mittelreichs, der Dynamik der Kampagne und möglichen Helden. Wie schon in seinem anderen großen Kampagnenband „Bahamuths Ruf“ stellt Masberg der eigentlichen Kampagne wieder das Verzeichnis der wichtigsten Meisterpersonen voran, die hier die Kriegsfürsten sind, die die Wildermark beherrschen oder tyrannisieren. Auch an dieser Stelle ist die Zusammenfassung sehr lobenswert und beinhaltet Ressourcen, Wappen, Feinde, Verbündete und Strategien.

Fünf Kapitel bilden den Rahmen der Kampagnenhandlung. Im ersten Kapitel „Herbst der Diplomatie“ beginnt es für die Helden und Spieler gleich mit einer Niederlage, als sie schnell oder nach langer Belagerung das einst eroberte Zweimühlen aufgeben müssen und eine alte Feindin des Kaiserreichs ihr Visier hochklappt und sich zeigt. Sie können über die Monate jedoch zurückschlagen und mit Glück die Stadt wieder für sich gewinnen. Zeitgleich oder danach müssen sie mit Verbündeten das Vorgehen gegen die Feindin besprechen und werden in die Natterndorner Fehde um die Grafenwürde hereingezogen, in dessen Zuge sie auch einen der mythischen Tierkönige kennenlernen. Je nachdem wer die Grafenkrone erringt, gewinnen die Helden einen Verbündeten oder schaffen einen gefährlichen Gegner.

Der zweite Abschnitt „Das Nahen des Winters“ zieht die Helden in die Belange der Familie Rabenmund herein, denn die verstorbene Fürstin Irmegunde hat angeblich ein Testament hinterlassen, wer künftig in Darpatien herrschen solle. Davor oder danach gilt es, an der Grenze zu Weiden das Eindringen einer weiteren Macht in die Wildermark zu verhindern, die sonst ganz das Blatt gegen die Kaiserlichen wenden könnte. Der Herbst endet mit der Suche und Bündnisverhandlungen mit einem legendären Söldnerführer und ehemaligem kaiserlichen Marschall und einem Götterduell um die Stadt Wehrheim.

Das dritte Kapitel „Klingen im Frost“ lässt die Helden mit der jungen Erbin Darpatiens zusammentreffen und einen Unsicherheitsfaktor aus ihrer eigenen Familie ausschalten. Anschließend gilt es, einen Mörder dingfest zu machen, der Jagd auf Anwesende der Familie Rabenmund macht und diese tötet. Im vierten Kapitel „Kampf um die Mark“, als der Winter zu Ende geht und das Wetter sich bessert, werden entscheidende Feldzüge geführt. Die Kaiserin persönlich braucht Rat und Tat der Helden, eine legendäre Waffe kann gefunden werden und das Kriegsglück beeinflussen und eine alte Rondrageweihte unterstützt werden. Es kulminiert schließlich im abschließenden „Frühling der Hoffnung“, wenn es gilt, den Golem von Gallys auszuschalten und die entscheidende Schlacht gegen die alte mächtige Feindin zu schlagen, ehe wieder Frieden im Rommilyser Land einkehrt.

Ein weiteres Kapitel beschreibt den Zustand der Wildermark in den Folgejahren als Rommilyer Mark mit Land und Leuten, der Herrschaft der Markgräfin, Persönlichkeiten in den Landen sowie Geheimnissen und Bedrohungen. Im umfangreichen Anhang von fast 40 Seiten folgen Kurzregeln für Scharmützel, die Spielwerte der Kriegsfürsten, Landsknechte und Kreaturen, eine Zufallstabelle für weitere Abenteuer oder Gefahren, ein ausführlicher Personenindex, eine Übersicht der Verbindungen und Feindschaften der wichtigsten Personen (diese beiden hat Masberg bereits genauso in „Bahamuths Ruf“ verwandt) sowie etliche Karten, Bilder und Pläne als Handouts.

Kritik: Aufmachung, Layout, Inhalt

Am Stil, Layout und der generellen Aufmachung des Kampagnenbandes hat sich im Vergleich zu vorhergehenden Bänden nichts geändert: Das sehr gute Niveau und die hohe Qualität wurden gehalten. Das Cover ähnelt „Von eigenen Gnaden“ (absichtlich) sehr stark, jedoch ist hier natürlich alles heller und positiver gestimmt. Die Illustrationen im Band sind eher spärlich, zum Teil auch mit dem einen oder anderen Aussetzer, aber ansonsten von recht guter Qualität. Und wie für „Bahamuths Ruf“ scheint Michael Masberg hier eine sehr ähnliche Strukturierung gewählt zu haben: Zu Beginn ein umfassendes Personenverzeichnis der wichtigsten Protagonisten, in jedem Kapitel die Konsequenz aus Erfolg oder Misserfolg der Bemühungen der Helden, eine Zusammenfassung von Gerüchten, Geheimnissen und Hintergründen zur „Rommilyser Mark“ (um auch nach dem Abenteuer weiterspielen zu können), Gebäudepläne, Stadtkarten, ein Personenverzeichnis mit Zuordnung von Feindschaften, Bündnissen und Konkurrenzen sowie neue Kreaturen. All dies gibt dem Spielleiter eine große Unterstützung, wobei trotzdem noch genügend Arbeit bleibt, was den Kampagnenband nicht zu einer Empfehlung für Anfänger unter Spielleitern macht.

Während die beiden Kampagnenbände zur „Splitterdämmerung“ recht offen gehalten waren, was den Ablauf betraf, gibt es hier – bedingt auch durch die Jahreszeiten – eine klarere Strukturierung und einen deutlichen roten Faden. Das heißt allerdings nicht, dass der Spielleiter und seine Spieler nicht genügend Freiheiten hätten. Ganz im Gegenteil bieten sich so viele Möglichkeiten des freien Spiels und zum Teil nur kurz angeschnittener Ideen oder Szenarios, die der Spielleiter weiter ausbauen kann, dass sich keiner beschwerden kann. Der Spielleiter kann dazu über viele Nichtspielercharaktere sehr frei verfügen und mit diesen meist frei verfahren, da diese nach der Kampagne nicht mehr in offiziellen Abenteuern verwendet werden. Der rote Faden gibt aber eine bewusste Richtung vor, die mit der Befriedung der „Wildermark“ enden sollte. Wer hier ein komplett offenes Ende erwartet hat, ist falsch aufgehoben.

Dies liegt aber auch in der Natur von „Das Schwarze Auge“, bei dem durch den sogenannten Metaplot Ereignisse vorgegeben sind. Doch innerhalb der Kampagne haben die Spieler hohe Freiheiten, um Ereignisse in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen. Das Autorenteam um Michael Masberg hat es dabei geschickt gelöst, indem immer wieder die Ideallösung vorgegeben wird, aber genauso thematisiert wird, was bei einem Misserfolgs passiert und wie sich dies auf die weitere Kampagne auswirkt. So können die Spieler durchaus einen anderen Weg einschlagen, um später wieder auf den richtigen Pfad zurückgeführt zu werden. Dies erhöht aber auch den Aufwand für den Spielleiter, der die einzelnen Abenteuer genau vorbereiten und die Enden genau notieren muss, um eine schlüssige Handlung zu präsentieren. Eine sehr hohe Herausforderung an den Spielleiter, die aber sicherlich ihm und den Spielern viele spannende Spielabende verschaffen werden.

Im Gegensatz zum High-Fantasy-geprägten „Bahamuths Ruf“ ist diese Kampagne aber eher bodenständig und bedient vor allem das Thema Scharmützel und Feldzüge, wobei auch phantastische Elemente nicht ganz vernachlässigt werden, allerdings auf einem normalen bis niedrigen Niveau. Dazu kommen auch politische Elemente und öfter Verhandlungen mit Freunden oder Feinden. Der Bereich des Krieges und der Feldzüge kommt an manchen Stellen fast zu kurz und hätte auch noch etwas mehr unterstützt werden können. Spieler und Spielleiter, die hier also eine Kriegskampagne erwartet haben, sind eindeutig am falschen Platz, denn die Befriedigung der Wildermark mit seinen Kämpfen und Auseinandersetzungen stellt eher den Rahmen dar für politische Gefechte, mythische Suchen und Geheimnisse und Erlebnisse der beherrschenden Familien des Landstrichs, vor allem der Rabenmunds. Das bedeutet aber nicht, dass hier nur geredet und diskutiert wird. Spieler, die sich an Kämpfen und „Action“ erfreuen, kommen hier keineswegs zu kurz, da gerade die Auseinandersetzungen oft durch mehrere Wege und damit auch einen Kampf gelöst werden können. Zudem stehen den Spielern und Helden auch durchaus adäquate und kampfkräftige Gegner gegenüber, die eine hohe Herausforderung darstellen.

Fazit: Michael Masberg hat eine tolle Fortsetzung zu „Von eigenen Ganden“ vorgelegt, die sich nicht zu verstecken braucht. Die Handlung ist schlüssig, spannend und bietet genügend Freiräume für Spieler und Spielleiter, um für jede Spielrunde einen ganz eigenen Ablauf zu erschaffen. Das Material und der Umfang rechtfertigen die 30 Euro vollends – eine lohnenswerte Anschaffung!


Mit wehenden Bannern (DSA-Abenteuer Nr. 191)
Abenteuerband
Michael Masberg
Ulisses Spiele 2012
ISBN: 3868890688
207 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 30,00

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