Marvel Zombies – Ein Zombicide-Spiel

Die „Walking Dead“ sind nicht totzukriegen. Wir haben sie in Gestalt urbaner Zombies in „Zombicide“ bekämpft, als Ork-Zombies in „Zombicide – Green Horde“, als Alien-Zombies in „Zombicide: Invader“ und als leichenhafte Cowboys zuletzt in „Zombicide: Undead or Alive“. Doch jetzt kommt es noch dicker: Die halb verrotteten Superhelden sind los! Und in einem unerwarteten Twist, sind sie diesmal nicht die Gegner, sondern wir selbst übernehmen sie! Willkommen zur pädagogisch absolut nicht wertvollen Jagd auf S.H.I.E.L.D.-Agenten, Zivilisten und Cape-Träger.

von Frank Stein

Dass es im Rahmen einer Zombie-Seuche irgendwann auch mal einen Superhelden treffen könnte, überrascht sicher niemanden. Einen entsprechenden Comic-Fünfteiler, der dieses Szenario durchspielt, kam bereits zwischen Dezember 2005 bis April 2006 bei Marvel heraus, geschrieben übrigens von Robert Kirkman, der für seine „The Walking Dead“-Zombie-Comics berühmt geworden ist. Der Fünfteiler – der über die Jahre zahlreiche Fortsetzungen nach sich zog – ist in mehrerer Hinsicht das Vorbild für diese neuste Inkarnation des Brettspiels „Zombicide“ gewesen. „Marvel Zombies“ erblickte im Januar 2022 in einem gigantisch erfolgreichen Kickstarter-Projekt (fast 29.000 Unterstützer investierten gut 9 Millionen Dollar – Pledge-Manager-Einnahmen noch nicht eingerechnet) das Licht der Welt, und zum einen wurde beim gleichnamigen Comic eindeutig die Optik übernommen (bis hin zum Schriftzug), zum anderen ist auch das Konzept der Superhelden-Zombies hier wie da gleich. So verwandeln sich die zombifizierten Superhelden beispielsweise nicht in geistlose Untote, sondern behalten im Wesentlichen ihren Charakter, ihre Intelligenz und ihre Kräfte, allerdings werden sie unablässig vom „Hunger“ getrieben, der sie zwingt, immer wieder Menschen zu „verschlingen“. Dieser Hunger ist ein wichtiges und nicht zu unterschätzendes Spiel-Element, aber darauf komme ich gleich nochmal zurück.

Ungewöhnlich für ein „Zombicide“-Spiel war die Entscheidung der Macher, die Spieler diesmal in die Rollen der Zombies schlüpfen zu lassen. Sind wir denn – Frankensteins Monster ähnlich – nur verkannte Seelen, eigentlich gut, aber doch zum Bösen gezwungen? Sind die uns jagenden Fußsoldaten, Spezialisten und Wachen der Superhelden-Regierungsbehörde S.H.I.E.L.D. in Wahrheit der Mob, der uns aus falschem Fanatismus das Leben schwer macht? Nun ja, „Zombicide“ ist nicht eben für seine philosophischen Fragestellungen bekannt, sondern eher für flotte Miniaturen-Action, also denken wir nicht länger darüber nach, ob es nun tragisch oder finster ist, dass wir zwischenzeitlich notgedrungen Tante May und Pepper Potts auffressen, sondern widmen uns den Spielmechaniken.

Grundsätzlich gilt auch hier, was für alle „Zombicide“-Versionen gilt: „Marvel Zombies“ ist ein kooperatives, taktisches Hack-&-Slay-Brettspiel für 1 bis 4 (optional auch 5 oder 6) Spieler, das in einem urbanen (hier Superhelden-)Setting angesiedelt ist, über das eine Zombie-Apokalypse hinweggegangen ist. Die Spieler schlüpfen in die Rollen von Zombie-Hulk, Zombie-Deadpool und Co, die in 10 einzelnen Missionen – es gibt keinen Kampagnenmodus – gewisse Aufgaben erledigen und unterwegs reichlich Agenten, Zivilisten und auch nicht infizierte Superhelden bekämpfen müssen. Dabei darf keine der Spielerfiguren sterben, denn sonst ist eine Partie verloren. Das Spiel dauert (laut Missionsliste, die etwas optimistisch rechnet) zwischen 25 und 120 Minuten und ist ab 14 Jahren empfohlen. Von der Optik her wäre das nicht unbedingt nötig; Ekelmomente hat das Spiel eigentlich nicht. Es ist aber taktisch durchaus anspruchsvoll, und eine gewisse Frustrationstoleranz sollte man auch mitbringen.

Apropos Optik: „Marvel Zombies“ sieht CMON-typisch mal wieder richtig gut aus. Das gilt für die 9 doppelseitig bedruckten (erneut leicht zum Verziehen neigenden) Spielplanteile, die unter anderem einen zerstörtes Erdgeschoss des Daily Planet oder des Avenger-Towers zeigen und in comic-bunten Farben daherkommen, es gilt aber auch für die Charakterbögen, Spawnkarten, Superheldenkarten und Nebencharakterkarte, die diesmal nicht im typischen, etwas grotesken „Zombicide“-Stil daherkommen, sondern sehr Marvel-artig von Marco Checchetto und seinen Mitstreitern illustriert wurden. Ein Augenschmaus sind natürlich wieder die Miniaturen, und hier bekommt man ganze 87 davon. Der Großteil davon besteht aus 63 S.H.I.E.L.D.-Agenten, die hier in Fußsoldaten, Wachen und Spezialisten eingeteilt sind, was in jeder Hinsicht den Schlurfern, Fettbrocken und Läufern der anderen Spiele entspricht. Wie immer wurden den Einheiten verschiedene Posen spendiert, sodass für Abwechslung auf dem Spielplan gesorgt ist.

Dazu gesellen sich 12 sogenannte Nebencharaktere, also Comic-Figuren wie Tante May, Mary Jane, Agent Coulson, Pepper Potts oder Wong, die unterschiedliche Funktionen innerhalb von Szenarien haben können und vor allem viele Erfahrungspunkte bieten, wenn man sie verschlingt. Namhafte Protagonisten sind halt besonders schmackhaft. Zuletzt sind da noch 6 Zombiehelden und 6 Superhelden. Superhelden ersetzen gewissermaßen die Monstren der anderen „Zombicide“-Spiele, sind sie doch besonders knackige Gegner. Und das sind sie wirklich. Vor allem gegen Ende eines Szenarios können Figuren wie Black Panther (der dann gern mal 4 Aktionen pro Aktivierung hat) oder Ms. Marvel (die 3 Felder weit zuschlagen kann – ohne Sichtlinie) einem das (Un)Leben echt versauen. Obendrein können alle Superhelden gleichzeitig auf dem Spielbrett stehen, je nachdem, welche Spawnkarten man gezogen hat. Dann wird es wirklich heikel! Enthalten sind neben den bereits Genannten übrigens noch Doctor Strange, Thor, Scarlet Witch und Spider-Man, ein guter Querschnitt durch das Marvel-Universum (zumindest die Avengers-Ecke davon).

Bei den Zombiehelden finden wir Captain America, Iron Man, Wasp, Hulk, Captain Marvel und Deadpool, auch hier also eine illustre Riege, die alle sehr schöne, individuelle Fähigkeiten mitbringen. Auch das wurde im Vergleich zu anderen „Zombicide“-Spielen geändert: Man hat nicht mehr die Wahl zwischen eher allgemeinen Fähigkeiten (etwa: „+1 Kampfwürfel“), sondern schaltet beim Levelaufstieg speziell auf den Charakter zugeschnittene Kräfte frei. Zu kritisieren gibt es hier, dass es vergleichsweise wenige Spielerfiguren gibt. Noch „Undead or Alive“ enthielt sage und schreibe 14 Überlebende, die man übernehmen konnte. Das war eine schöne Auswahl. Durch die vielen Superhelden-Gegner wurde das vorliegende Angebot bei den Zombiehelden auf das Nötigste beschnitten, sodass man eher früher als später nach Erweiterungen lechzt, um mal andere Gesichter auf dem Spielbrett zu sehen.

Was ist an „Marvel Zombies“ sonst noch neu und anders? Die Zugreihenfolge der Spieler ist nun völlig flexibel. Endlich! Seit Jahren plädiere ich dafür, diesen taktischen Missstand zu beheben. Es gibt keinen Lärm mehr. Passt schon. Hatte eh nie viel Effekt aufs Spielgeschehen. Ausrüstung wurde völlig gestrichen. Das ist ungewöhnlich und auf den ersten Blick etwas doof, passt aber dazu, dass Superhelden in der Regel eben keine Pistole oder Dynamitstange in die Hand nehmen (Deadpool mal außen vor belassen), sondern sich auf ihre Kräfte verlassen. Zum Ausgleich wurden sogenannte Zombie-Merkmalkarten eingeführt, die für individuelle einmalige Kampfeffekte sorgen, wenn man sie zieht, einer Ereigniskarte ähnlich. Friendly Fire bei Angriffen in ein Feld mit befreundeten Figuren gibt es auch nicht mehr. Das ergibt Sinn, denn Superhelden schießen nicht daneben. Außerdem ist auch taktisch erfreulich, weil viele Superhelden Nahkämpfer sind und die Gegner gezwungenermaßen ins eigene Feld lassen müssen. Das auch noch zu bestrafen, wäre echt unfair gewesen. Zuletzt wurden Monstren abgeschafft. Dafür gibt es nun die schon erwähnten Superhelden.

Vom Spielablauf her ist das Ganze aber eindeutig „Zombicide“, wenn man es kennt und mag. Vor einer Partie wählt man sich eine Mission aus. Diese bestimmt den Aufbau des Spielfelds, inklusive verteilter Zielplättchen, Spawnzonen und Start-Gegner. Mitunter bringt eine Mission ein bis zwei kleine Sonderregeln ins Spiel, die aber leicht verinnerlicht sind. Gespielt wird regulär mit 4 Zombiehelden, aber bis zu 6 sind mit dieser Box möglich, wobei einzelne Szenarien dann zusätzliche Erschwernisse ins Spiel bringen – als wäre das nötig … Die Helden werden unter allen Mitspielern verteilt. Das mag im Solo-Spiel etwas einschüchternd wirken, tatsächlich aber kann man die Zombiehelden sehr gut managen, was nicht zuletzt daran liegt, dass alle Charakterfähigkeiten auf den Charakterkarten beschrieben stehen.

Gespielt wird – wie seit dem ersten „Zombicide“ – in Runden, die in 3 Phasen aufgeteilt sind: eine Spielerphase, eine Gegnerphase und eine Endphase. In der Spielerphase muss zunächst bei allen Zombiehelden der Hunger um einen Punkt erhöht werden. 4 Punkte hält man aus, dann ist man „heißhungrig“ und zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Nur noch Bewegungen und Verschlingen-Aktionen sind dann erlaubt, und wer zum Zugende noch heißhungrig ist, nimmt 1 Schaden, was sehr schmerzhaft ist bei gerade mal 5 Lebenspunkten. Dieser Hunger ist grundsätzlich Segen und Fluch der Zombiehelden. Je höher der Hungerwert, desto mehr Angriffswürfel bekommt man zum eigenen Grundangriff dazu. So schlägt Iron Man im Bestfall mit 6 statt 3 Würfeln zu, wenn er die Raketenwerfer einsetzt. Doch je mehr Würfel man wirft, desto höher ist auch die Gefahr, ein Hungersymbol (1) zu würfeln, das dann den Hunger weiter erhöht und einen womöglich kurz vor Zugende heißhungrig werden lässt (was dann, zack, sofort einen Schadenspunkt bedeutet). Den Hunger im Gleichgewicht zu halten, ist eine der kniffligeren Aufgaben in „Marvel Zombies“.

Danach dürfen alle Zombiehelden in beliebiger Reihenfolge aktiviert werden und 3 Aktionen ausführen. Dazu zählen: bewegen, angreifen (Waffen- oder Verschlingen-Angriff), Tür öffnen, interagieren und eine Merkmalkarte nehmen. Die Angriffswerte im Kampf werden dabei durch den einzigartigen Helden-Angriff bestimmt (modifiziert durch die Hunger-Stufe). Mit einer entsprechenden Anzahl Würfel muss man einen festgelegten Zielwert erreichen; jeder Erfolg ist ein Treffer, der 1 Schadenspunkt anrichtet und damit normale Fußsoldaten und Spezialisten sofort tötet. Also auch wenn im Spielverlauf eine Agenten-Welle über einen hinwegschwappt: Mit etwas Glück und zwei Hulk-Smashs kann man durchaus ein halbes Dutzend der S.H.I.E.L.D.-Kameraden in einem Zug umhauen. Optimalerweise lässt man Feinde natürlich nicht zu nah an sich heran, aber hier ist „Marvel Zombies“ taktisch schwerer als seine Geschwister: Viele der Superhelden sind – wie schon erwähnt – ausgewiesene Nahkämpfer, das heißt sie müssen den Feind in ihr Feld lassen, bevor sie ihn bekämpfen können. Würfelt man dann nicht gut genug, ist der Gegenschlag vorprogrammiert. In diesem Zusammenhang ist Iron Man Gold wert, der nicht nur ins Nachbarfeld schießen kann, sondern mit seinem Angriff überlebende Feinde sogar ein Feld weit zurücktreibt. Ohne ihn kann man der Gegnerflut kaum Herr werden.

Apropos Gegnerflut: In der Gegnerphase steuert das Spiel die „Guten“. Jeder Agent, Nebencharakter und Superheld auf dem Spielplan wird aktiviert und darf entweder angreifen, wenn er sich in einer Zone mit einem Zombiehelden befindet, oder er bewegt sich eine Zone auf die nächstbesten Zombiehelden zu. Flotte Spezialisten und Superhelden haben dabei zwei Aktionen, ja, auch zwei Angriffe! Am Anfang sieht das alles noch entspannt aus, aber spätestens nach 5 bis 6 Runden wird es eng. Denn nach der Aktivierung erfolgt das Spawnen, das heißt in jeder der auf dem Spielplan verteilten Spawnzonen tauchen Agenten auf. Von diesen gibt es gern 3 bis 5, an Gegnern herrscht also wirklich kein Mangel. Was genau in den Spawnzonen erscheint, entscheidet eine gezogene Spawnkarte und dann noch das farblich codierte Level der Zombiehelden. Denn diese erhalten für jeden besiegten Gegner Erfahrungspunkte und steigen damit bis zu dreimal auf (von Stufe blau über gelb und orange bis rot). So erhalten die Zombiehelden zwar neue Fähigkeiten, aber gleichzeitig werden auch die Gegner immer zahlreicher und lästiger.

In der Endphase werden Effekte ausgeführt, die sich auf die Endphase beziehen. Das wird so lang fortgesetzt, bis entweder die Siegbedingungen für die Mission erfüllt sind – oder die für eine Niederlage eintreten (meist der Tod eines Zombiehelden).

Kenner merken: Auch „Zombies Marvel“ ist immer noch ein „Zombicide“-Spiel, wenn auch eins, das wirklich einige Dinge anders macht. Mir gefallen die Punkte, die das Spiel flotter machen: der Verzicht auf Lärm, die flexible Zugreihenfolge der Helden, die Fähigkeiten der Helden, die komplett auf der Charakterkarte beschrieben werden. Beim Verzicht auf Ausrüstung bin ich zwiegespalten, denn das Sammeln cooler Waffen war schon immer schick, aber ich gebe zu, dass es hier thematisch nicht so passt. Zudem spart man sich das Ausrüstung-Verteilen. Vom Schwierigkeitsgrad her scheint mir „Marvel Zombies“ eher knackiger zu sein als etwa „Undead or Alive“. Das liegt an der reduzierten Heldenzahl, aber auch am Hunger-Management, das zusätzliches Schadenspotenzial hat, sowie an den fiesen Superhelden, die einem die letzten Züge eines Szenarios verhageln können. Obwohl das Marvel-Thema natürlich auch viele Quereinsteiger oder Gelegenheitsspieler ansprechen dürfte, muss ich daher sagen, dass es leichtere „Zombicide“-Versionen gibt. Natürlich kann man den Schwierigkeitsgrad anpassen, etwa, indem man mit 6 Zombiehelden spielt oder besonders fiese Helden wie Black Panther oder Ms. Marvel weglässt.

Eine nette Eigenheit hat „Marvel Zombies“ übrigens noch. Es gibt auch einige Heldenkarten für die Superhelden und Zombiekarten für die Zombiehelden. Mit denen kann man in dieser Box nichts anfangen. Die gehören zum „Heldenmodus“, den man spielen kann, wenn man sich zu dieser Box noch das Geschwisterprodukt „Marvel Zombies: X-Men Resistance“ kauft. Wie sich das Spiel dann spielt, kann ich allerdings nicht sagen, ich nehme aber an, dann heißt es erneut klassisch: Superhelden gegen Zombies.

Fazit: „Marvel Zombies“ ist ein „Zombicide“-Spiel, aber mit einem Twist. Diesmal übernimmt man Zombiehelden im Kampf gegen S.H.I.E.L.D.-Agenten und Superhelden. Im Detail wurde einiges verändert, im Großen und Ganzen bleibt das Spiel dem Konzept der Reihe treu. Das Material sieht super aus, die Missionen machen unverändert Spaß (auch wenn sie das Rad nicht neu erfinden). Der Herausforderungsgrad ist allerdings knackiger geworden, vor allem wegen des „Hungers“, der die Helden konstant plagt und Fluch wie Segen ist. Trotz massentauglichem Marvel-Setting daher eher ein Spiel für Kenner und Könner, die taktisch planen und Frust aushalten können. (Gelegenheitsspielern würde ich eher zu „Undead or Alive“ raten, das ich leichter fand.)

Zombicide: Marvel Zombies
Brettspiel für 1bis 6 Spieler ab 14 Jahren
Michael Shinall, Fábio Cury
CMON/Asmodee 2023
EAN:  4015566604667
Sprache: Deutsch
Preis: 119,99 EUR

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