Locke & Key: Himmel und Erde

Die sensationelle Horror-Comic-Reihe „Locke & Key“ erzählt die ebenso dramatische wie phantastische Geschichte der Familie Locke und der Geheimnisse, die sich in ihrem Familiensitz, dem Keyhouse, befinden. Mit „Locke & Key: Himmel und Erde“ (Org.: Locke & Key: Heaven and Earth) liefern Autor Joe Hill und Zeichner Gabriel Rodriguez einen Nachklapp in Form von drei Kurzgeschichten.

von Bastian Ludwig

Die ersten beiden Geschichten von „Locke & Key: Himmel und Erde“ entführen uns zu den Vorfahren der Lockes. „Hinter dem Mond“ (Org.: Open The Moon) spielt im Jahr 1912 und erzählt vom schwerkranken Ian Locke und seinem Vater Chamberlin. Die berührende Vater-Sohn-Geschichte bewegt sich erzählerisch und visuell auf den Spuren von Comic-Pionier Windsor McCay, namentlich seinem bekanntesten Werk „Little Nemo“. Dementsprechend ist sie zauberhaft und melancholisch zugleich, bitter, aber mit viel Herz erzählt, verzichtet komplett auf die Horrorelemente der Miniserie, entwickelt aber dennoch eine eindringliche Mischung aus Beklemmung und Erleichterung. Ein wahres Meisterwerk.

Wie eine 180-Grad-Wende wirkt danach die zweite Kurzgeschichte „Überfall“ (Org.: Grindhouse) – allerdings nur auf den ersten Blick, im Kern geht es nämlich in beiden Geschichten um das Thema Familie und um die Frage, welche Dinge wir zu tun breit sind, um dieses zerbrechliche Konstrukt zu bewahren. Damit greifen die Kurzgeschichten eines der wichtigsten Themen der Miniserie auf und finden so ihren Platz im Locke-&Key-Kosmos, auch wenn sie inhaltlich zur Hauptserie wenig beizutragen haben.

„Überfall“ ist eine Hommage auf das Genre der düsteren Crime Comics der 40er- und frühen 50er-Jahre, bevor die Comic-Branche ab 1954 mit der Selbstkontrolle anhand des Comics Codes begann, was zu einer spürbaren Mäßigung in Sachen Gewalt führte. Davon kann bei „Überfall“ aber keine Rede sein. Irgendwann in den 30er-Jahren dringt eine Verbrecherbande auf der Flucht in das Keyhouse ein und bedroht die Lockes dieser Ära, doch mit der Wehrhaftigkeit der Familie, vor allem der Dame des Hauses, Mary, und dem Keyhouse selbst haben sie nicht gerechnet.

Hill und Rodriguez haben in „Himmel und Erde“ die beiden wesentlichen Stilelemente ihrer Miniserie, die Poesie und den Horror, in zwei unterschiedliche Geschichten auseinanderdividiert. Wo „Hinter dem Mond“ Ersteres repräsentiert, bedient „Überfall“ die zweite Spielart, es wird also düster und brutal, nicht nur wegen übersinnlicher Elemente, sondern vor allem auch wegen der Grausamkeit der Ganoven. Das ist spannend erzählt, bekommt durch einen feministischen Touch eine interessante Note und orientiert sich wie schon die erste Geschichte auch visuell an den Vorbildern, ohne dass Rodriguez‘ eigener Stil dahinter verschwindet, was zeigt, mit was für einem talentierten Künstler man es hier zu tun hat.

Die dritte Geschichte „Stilles Örtchen“ (Org.: In the Can) bringt uns dann zurück in die Gegenwart und zeigt eine kurze Episode um den jüngsten Locke-Spross Bode, der auf dem weitläufigen Anwesen um das Keyhouse ein mysteriöses Klohäuschen entdeckt. „Stilles Örtchen“ hat nur sechs Seiten, ist also mehr Szene denn Geschichte, und erschließt sich nicht wirklich, dafür hat sie zu viele Leerstellen. Vielleicht geht es schlicht darum, das Motiv der Dualität noch einmal aufzugreifen, dass sich auch in der Gegensätzlichkeit der beiden ersten Geschichten widerspiegelt und das ja auch im Titel „Himmel und Erde“ steckt. Aber sie ist wie immer toll gezeichnet. Immerhin.

Zum Schluss gibt es dann noch eine Fotogalerie von einem Besuch der Locke-&-Key-Macher in Massachusetts an Orten, die die Schauplätze der Comic-Reihe inspiriert haben, und eine kleine Galerie mit Artwork. Das ist nicht ungewöhnlich, allerdings merkt man doch, dass dieses Material weniger ein Bonus ist, als dass es vielmehr den Umfang des Bandes so weit aufblähen soll, dass eine eigenständige Veröffentlichung gerechtfertigt ist. Denn auch so ist der Band nur 72 Seiten schmal, und davon entfallen gerade mal 38 auf die Geschichten.

Fazit: Eine herausragende Kurzgeschichte, eine gute Kurzgeschichte und eine Szene, deren Sinn sich nur schwer erschließt. Dazu eine Foto- und eine Artworkgalerie. Die Einzelteile von „Locke & Key: Himmel und Erde“ mischen sich zu einem durchwachsenen Band mit einem interessanten erzählerischen Ansatz, der unterm Strich nicht wehtut, den man aber – abgesehen von „Hinter dem Mond“, das man unbedingt gelesen haben sollte – auch nur als Komplettist braucht.

Locke & Key: Himmel und Erde
Comic
Joe Hill, Gabriel Rodriguez
Panini 2018
ISBN: 978-3-74160-680-9
72 S., Hardcover, deutsch
Preis EUR 17,00

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