Live-Action Roleplaying

Selten genug erhält man professionell aufbereitete Regeln für das von kommerziellen Verlagen gern ignorierte Live-Rollenspiel. Eine positive Ausnahme gibt uns die Alderac Entertainment Group an die Hand. Ein 194 Seiten Büchlein in Schulheftformat, bestens also geeignet, um auf Veranstaltungen mitgenommen zu werden.

von Jens Peter Kleinau

 

Einen festen Einband jedoch wollten die Hersteller dem Büchlein wohl aus Kostengründen bei geringer Auflage nicht mitgeben. Bedauerlicherweise, denn das dünne Umschlagpapier leidet schon deutlich sichtbar von dem an sich harmlosen Transport im Rucksack. Dazu kommt noch eine unzureichend stabile Klebebindung. Handwerklich ist das Buch also für den harten Live-Einsatz denkbar schlecht gemacht. Mit etwas Bastelaufwand lässt sich das abändern, so schnell sollte man sich das Vergnügen nicht nehmen lassen. Denn der Inhalt des Buches ist durchaus lohnenswert.

Nach ein paar einleitenden Worten zum Thema Live-Rollenspiel und den Unterschieden zu dem auf Papier basierten geht es ziemlich schnell zur Sache. Das Eingewöhnen wird durch eine Kurzgeschichte erleichtert, die in kursiven Buchstaben immer wieder die Kapitel auflockert und einen typischen „Anwendungsfall“ für Live-Rollenspiel skizziert.

Beachtenswert finde ich noch die „obersten Direktiven“ des Live-Rollenspiels, die das Ende der kurzen Einleitung skizzieren. Diese betreffen das Verbot von legalen (und anderen) Drogen, von Waffen und den persönlichen und körperlichen Respekt. Auch wenn ich gerne die eine oder andere Flasche Met trinke, fand ich doch betrunkene Larper, die mit handfesten Dingern fuchteln, immer eher nervig. Zum Glück sind diese Ausnahmeerscheinungen – aber ein Einziger reicht, um eine Menge anderer zu stören.

Die Regeln sind denkbar einfach und absolut praktisch. Es gibt absolute Tests, die einen Spielleiter erfordern, aber auch Tests, die im gegenseitigen Einverständnis ablaufen. Mit einem Set gewöhnlicher Spielkarten ist das gesamte Regelwerk zu bedienen. Auch wenn das Spiel nicht ganz ohne Charakterwerte auskommt, so ist es leicht zu verstehen und erfordert keinerlei Vorkenntnisse. Lediglich der Einsatz von Magie ist etwas komplizierter.

Sich als Magier (oder Shugenja) zu versuchen, ist in Live-Rollenspiel grundsätzlich nicht einfach. Es erfordert schon sehr viel Akzeptanz und Vorstellungskraft für den Spieler und seine Mitspieler, sich einen plötzlich entstandenen Strudel oder einen Elementar vorzustellen. Während die Schwert schwingenden Heroen immer etwas Handfestes vorzuweisen haben, gehen die Zauberwirker meist mit leeren Händen ins Spiel. Nicht ganz so in diesem Regelwerk. Hier fuchtelt der Adept in den meisten Fällen mir einer Schriftrolle herum (es sei denn, er hat den Spruch im Kopf memoriert). Sich in die Regeln für die Zauber einzulesen und sie durchzuspielen, ist nicht allzu schwierig, erfordert jedoch mehr Kontrolle durch Spielleiter (betreffend Spruchdauer und -wirksamkeit usw.).

Insgesamt sind die Regeln den Abläufen angemessen. Sie sind ein wichtiges Gerüst des gemeinsamen Spiels, jedoch – und das betrifft dieses hier mehr als normale Fantasy-Spiele – sind die Etikette ein weitaus schwerwiegenderer Teil des Spiels.

Das „Legend of the Five Rings Live-Action Roleplaying Game“ orientiert sich genauso wie der Papierbruder an dem sammelbaren Kartenspiel, welches ursprünglich die Welt „Rokugan“ definierte. Während in dem Kartenspiel die Interaktion der Spieler untereinander naturgemäß relativ eingeschränkt ist, wird der Aspekt in dem Papierrollenspiel schon verstärkt. Doch während dort Kämpfe und handfeste Abenteuer in gefährlichen Gegenden noch Schwerpunkte sind, ist in dem Live-Rollenspiel die Interaktion der Spieler der Anfang und das Ende jedes Ereignisses. Somit widmet sich das Buch in der Hauptsache der Beschreibung solcher persönlichen Abläufe.

Diplomatie, Etikette, Intrige, geheimnisvolle Morde sind für das Spiel wesentliche Ereignisse. Große Schlachten wird man nur in der Ferne erleben (auf dem Papier). Das Buch gibt dem Spieler Anregungen, sich in Rokugan korrekt zu verhalten. Der richtige Einsatz von Schauspielkunst und Fertigkeiten des gespielten Charakters gibt dem Spiel einen besonderen Reiz, der auf einem Spieltisch nicht zu finden sein wird. Dafür wird in Beispielen und Handreichungen viel Material geliefert.

Mehr als das Buch und entsprechende Verkleidung benötigt kein Spieler für das orientalische Rollenspielerlebnis. Die Welt des Rokugan wird ausführlich genug geschildert, damit man loslegen kann. Einzelne Clans, deren politische Verwicklungen und besonderen Eigenheiten werden geschildert. Der Aufbau der Familien, des politischen Systems und der aktuellen geschichtlichen Situation wird zwar nicht sehr detailliert dargestellt, aber durchaus ausreichend.

Wer wirklich mehr wissen will, der kann sich mühelos aus den Papierrollenspielpublikationen bedienen. Die Kompatibilität der Regeln ist (vor allen in Anbetracht der Annäherung an das D20-System) zwar nicht gewährleistet, doch der Hintergrund stimmt überein und so kann man mehr über die Clans und die einzelnen Rollen erfahren.

Fazit: In der Gesamtbetrachtung lohnt sich das Buch auf jeden Fall. Live-Rollenspiel in Rokugan ist recht einfach umzusetzen (zumal die Kostümierung nicht schwer fallen wird). Wer bereits positive Erfahrungen mit dem „Legend of the Five Rings“-Rollenspiel gemacht hat, dem ist die Investition zu empfehlen. Es ist sicherlich ein Riesenspaß, irgendwo in Deutschland für kurze Zeit ein Stück Rokugan entstehen zu lassen.


Legend of the Five Rings: Live-Action Roleplaying
Grundregelwerk
Rich Wulf, Shawn Carman, Kim Hosmer u. a.
Alderac Entertainment Group 2004
ISBN: 1-59472-031-2
194 Seiten, Softcover, englisch
Preis: $ 24.95

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