Limit

Wir schreiben das Jahr 2025 – nur wenige Jahre in der Zukunft und die Menschheit hat sich gewaltig verändert! China hat sich als wirtschaftliche Weltmacht etabliert und Peak Oil ist an uns vorübergegangen. Dank den Erfindungen eines sowohl wirtschaftlichen als auch technisch genialen Engländers namens Julian Orley. Er verwirklichte den Traum eines Weltraumfahrstuhls, entwickelte einen sauberen und serienreifen Fusionsreaktor, welcher mit Helium-3 betrieben wird, einem Isotop, welches man in rauen Mengen auf dem Mond finden kann. Zusammen mit den USA zieht er sein Weltraumprogramm durch und leitet die Menschheit in ein neues Zeitalter, in der die Mega-Öl-Konzerne nur noch eine Zwergenrolle spielen.

von Tufir

Nun wird es Zeit für einen zweiten Weltraumfahrstuhl, um den Energiehunger der Menschheit zufriedenstellend stillen zu können. Aus diesem Grund sammelt Julian Orley eine illustre Gesellschaft aus Privatleuten um sich – jeder für sich ein mehrere Milliarden Dollar schwerer Tycoon –, um sich die entsprechende finanzielle Unterstützung zu sichern. Er lädt diese Gruppe von extremen Individualisten zu einem Mondurlaub ein, wo seine Tochter Lynn – ebenfalls mit von der Partie – ein Mondhotel gebaut hat.

Zeitgleich mit diesem Ereignis bemühen sich mehrere Parteien um die Aufklärung eines Mordversuchs an einem Manager des größten existierenden Ölkonzerns EMCO, Gerald Palstein, der seine Abbaufelder schließen lässt und versucht, seiner Firma eine Beteiligung an Orley Enterprises Alternativen schmackhaft zu machen. Derweil versucht der in Shanghai lebender Engländer, Owen Jericho, als Cyber-Detektiv im Auftrag seines Freundes Tu Tian, seines Zeichens Geschäftsführer und Inhaber einer Technologiefirma, eine chinesische Dissidentin mit Namen Yuyun, genannt Yoyo, vor dem Zugriff eines wahnsinnig erscheinenden Auftragskillers zu schützen.

Drei Romane in einem Band. Dies ist der Eindruck, den der Leser bekommt, wenn er Schätzings Roman zu lesen beginnt. Und dieser Eindruck wird ihn für 700 von 1300 Seiten nicht verlassen. Kunstvoll gelingt es dem Autor, die Erzählstränge getrennt zu halten, ohne dem Leser das Vergnügen an seiner Erzählung zu rauben. Akribisch baut er jeden einzelnen seiner weit über zehn Protagonisten und Antagonisten auf und versteht es, dem Konsumenten seines Werkes mit einer fast schon sadistisch anmutenden Perfektion, das Zueinanderfinden der einzelnen Bruchstücke vorzuenthalten. Dabei wechselt er bei jedem Erzählstrang auch den Stil seiner Sprache. Während er beim Spiel um die Flucht der Chinesin vor ihrem Killer eine fast schon brutale und blutige Slangsprache an den Tag legt und die Aufklärung des Palstein-Attentats die bürokratische Nüchternheit eines deutschen Krimis widerspiegelt, erreicht die Beschreibung der Mondtouristen für Science-Fiction- oder Action-Fans an manchen Stellen durchaus die Schwelle eines zum Erbrechen neigenden Kitsches.

Zitat: „Die Sonne vergeudete sich in Gold und Rot, bevor sie sich im Meer ertränkte!“

Vielfältige Charaktere, deren Hintergründe sowie ihre Handlungsmotive werden nach und nach vom Autor eingeführt und für den Leser durchleuchtet, der somit eine Unmenge an Identifikationspotential erhält. Der selbsternannte Perfektionist Schätzing glänzt mit Beschreibungen von Gegenständen, Landschaften auf dem Mond oder in Shanghai, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die alle ihren Ursprung in unserer eigenen Realität haben. Ob Barack Obama, Angela Merkel, die Wirtschaftskrise 2009, der Banken-Beinahe-Crash, China als aufstrebende Wirtschaftsmacht mit ihrem Ressourcenhunger, Afrika als der Kontinent, in dem sich die großen Mächte ihre versteckten Kriege liefern, Schätzing verarbeitet alles, was man in den letzten beiden Jahren irgendwie in den Nachrichten zu hören bekam. Er ist sich dabei nicht zu schade, Spitzen und Speere in alle Richtungen zu werfen, sei es gegen die Schweizer Neutralität, die deutsche Gründlichkeit oder die US-amerikanische Überheblichkeit und vieles andere mehr. Der Roman quillt nur so über vor versteckten Anspielungen auf Personen und Ereignisse unserer Neuzeit.

Nachdem der Leser dann 700 Seiten lang drei fast gänzlich getrennte Erzählungen genossen hat, führt der Autor schließlich ganz langsam aber sicher die Geschichten und seine Protagonisten zusammen. Und hier offenbart sich erneut die Perfektion des Schreibers, indem er der Spannung einen neuen Schub verpasst, sie in ungeahnte Höhen katapultiert und dafür sorgt, dass sich der Leser am Buch und in seinem Sessel festkrallt, in der Erwartung auf der nächsten Seite wenigstens mit einem Fetzen an Erkenntnis erlöst zu werden. Doch Schätzing ist unerbittlich. Weitere 300 Seiten jagt eine Vermutung nach der anderen durch des Lesers Gehirn, ohne der Wahrheit auch nur ein Stückchen näher zu kommen. Ein Protagonist nach dem anderen gerät ins Visier, einer der Bösewichte zu sein, und als sich schließlich die Schleier nach insgesamt 1000 Seiten allmählich heben, packt er noch einen neuen Packen drauf und wird zum Action-Spezialisten. Mit dieser Action füllt er dann noch weitere 250 Seiten, bevor er auf den gerade mal letzten 70 Seiten das gesamte Rätsel entschleiert. Wer allerdings befürchtet, hier auf eine in Autorenkreisen weit verbreitete Unart zu stoßen, jetzt schnell zu Ende kommen zu müssen, wird positiv überrascht werden. Schätzing gelingt es, sein Werk zu einem schlüssigen und guten Ende zu führen, ohne an der Geschwindigkeitsschraube drehen zu müssen.

Fazit: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Und wo Science-Fiction drauf steht ist nicht immer Science-Fiction drin. Obwohl in der Zukunft angesiedelt und mit diversen technischen Dingen ausgestattet, die heute allenfalls in der Schublade einiger genialer Erfinder existieren, ist Schätzings Roman in manchen Augen sicherlich „nur“ ein Krimi der besonderen Art. Manch hart gesottener Fan mag sich auch die Augen reiben ob seitenlanger Abrisse von politischen Entwicklungen in afrikanischen Staaten und der Beschreibungen von im wahrsten Sinne des Wortes staubtrockenen Mondlandschaften. Aber das tut dem Gesamtwerk keinen Abbruch und der Roman hat sicherlich seinen Platz im deutschen Belletristik-Olymp verdient! Attribut: Sehr empfehlenswert!


Limit
Science-Fiction-Roman
Frank Schätzing
Kiepenheuer&Wisch 2009
ISBN: 978-3462037043
1328 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 26,00

bei amazon.de bestellen