Legacies: The Sublime

Was macht einen Magier aus? Einmal der Pfad, den er beschreitet – sozusagen die Art, wie er seine Magie versteht und anwendet. Dann der Orden, dem er angehört – in gewisser Weise der höhere Zweck seiner Existenz als Erwachter. Und schließlich das Vermächtnis, dem er folgt, eine Art persönliche Lehre, die von einem magischen Ahnherren ausgeht und verschiedene Nischen magischer Anwendung und Methoden innerer Entwicklung darstellt. 13 dieser Vermächtnisse (Legacies) werden im folgenden Buch vorgestellt. Ihnen allen gemeinsam: das Erhabene (The Sublime).

von Bernd Perplies

Von allen Reihen der „World of Darkness“ ist „Mage: The Awakening“ vielleicht die komplexeste und gerade für neue Rollenspieler am schwersten zu (be)greifende. Es geht nicht darum, durch die Straßen zu rennen und Feuerbälle zu schleudern, sondern das Wirken der Magie in der Welt und sich selbst zu begreifen und, wie es so schön heißt, das eigene Innere, die Seele, zu gestalten, um daran zu wachsen und mithilfe der Magie einen höheren Zweck zu verfolgen. (Okay, manchmal beinhaltet das auch das Werfen von Feuerbällen.)

Wie das grob aussieht, orientiert sich an dem Pfad und dem Orden, denen ein Magier folgt. Im Detail jedoch wird die Weltsicht (und auch die Absichten, die ein Magier mit ihr hat) von dem Legacy, dem er folgt, bestimmt. Legacies sind die „Splittergruppen“, die „Sekten“ unter den Orden (auch wenn ein bestimmter Orden nicht zwangsläufig zu einem bestimmten Legacy führen muss). In gewisser Weise ähneln sie damit den „Bloodlines“ bei „Vampire: The Requiem“ und den „Lodges“ bei „Werewolf: The Forsaken“.

„Legacies: The Sublime“ ist das erste einer Reihe von Quellenbüchern, die bestimmte, sich in einem Grundkonzept (und sonst nicht unbedingt viel) ähnelnden Legacies versammeln und dadurch das Spieluniversum deutlich erweitern. Wer dachte, die Intrigen und Verstrickungen konkurrierender Pfade und Orden seien schon dazu angetan, das Spiel sehr unübersichtlich werden zu lassen, der wird natürlich angesicht der potenziell zahllosen und zum Teil recht drastischen Legacies die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Auf der anderen Seite mag das Annehmen eines dieser Vermächtnisse einem Spieler (und seinem Charakter) genau das konkrete Gerüst geben, das er braucht, um für sich ein Ziel in einer „Mage“-Chronik zu definieren.

Doch betrachten wir das Buch endlich im Detail: Nach einer stimmungsvollen Kurzgeschichte, die davon erzählt, wie einer Erwachten eine Richtung gegeben wird, ein Ziel im Leben (a.k.a. Legacy), wird in der Einleitung knapp das Konzept des 159 Seiten zählenden Buches umrissen. „The Sublime“ heißt es da etwa, streben alle danach, überlebensgroß zu sein, jeder auf seine Weise. Sie wollen die Welt zerschmettern oder zusammenfügen, sie wollen Taten vollbringen, für die sie als Heilige verehrt oder als Teufel verdammt werden, fast scheint es, als scherten sie sich einen Dreck, dass die Magie gewissen Regeln zu folgen hat, um in der Wirklichkeit der Schläfer (a.k.a. Muggels – ups, das böse Wort!) zu funktionieren.

In jedem Fall bieten sich die 13 neuen Legacies für „Mage: The Awakening“, die mit 135 Seiten (ziemlich durchgehend 10 Seiten pro Legacy) einen Großteil des Platzes einnehmen, prima für Spieler an, deren Charaktere es bei aller notwendigen Subtilität und aller gebotenen Selbstfindung auch mal ganz konkret krachen lassen wollen. (Schon aus diesem Grund – und damit greife ich dem Fazit vor – ist es eine gute Erweiterung zu dem doch stellenweise sehr vergeistigt und ziellos wirkenden Grundwerk.)

Dabei finden sich unter den Legacies so unterschiedliche Gruppierungen wie etwa die messianischen „Daksha“, eine leicht indisch angehauchte Sekte, die glaubt, die Welt in ihre nächste Daseinsstufe heben zu müssen, die elfenartigen „Daoine“, die sich als selbsternannte Magierpolizei und Rächer in der Welt der Dunkelheit einen Namen bei den Schwachen und Unterdrückten gemacht haben, die Anhänger des „House of Ariadne“, Straßenmagier im wahrsten Sinne des Wortes, die sich als Hüter (und manchmal Herrscher) der Metropolen der Erde betrachten oder die maskierten „Scions of God“, die sich, von starkem religiösen Rechtsbewusstsein geprägt, sowohl als heilige Beschützer der Schläfer und der Geister sehen – aber auch als gnadenlose Exorzisten.

Persönlich am interssantesten finde ich die zwei neuen, technognostischen Legacies, die „Threnodists“ und die „Transhuman Engineers“, die beide auf ihre Weise moderne Technik und Magie zu vereinen versuchen. Die „Threnodists“ erwecken dabei ein wenig den Eindruck chaotischer Wissenschaftler, greiser Zauselköppe und junger Geeks, die an Schnittstellen wissenschaftlicher Disziplinen wie der Quantentheorie oder Neurologie mit arkaneren Forschungsfeldern arbeiten. „The Transhuman Engineers“ greifen indes aktiver in die Geschicke der Welt ein, glauben sie doch an den Segen des exponentiell zunehmenden technologischen Fortschritt, der die Welt einem Punkt entgegentreibt, an dem nichts mehr unmöglich scheint, alles anders wird und die Menschheit in eine post-menschliche Daseinsform transzendiert.

Zwei „Left-Handed Paths“ geben dem Spielleiter neue Feinde in die Hand, die sie ihrer Magiergruppe entgegenstellen können. Der ominöse „Cult of the Doomsday Clock“ glaubt, dass die „Fallen World“ (also unsere Welt) vernichtet werden muss, damit die Seelen der Magier befreit werden, um sich mit der Welt des Übernatürlichen zu vereinen. Die Manipulation von Zeit und Wirklichkeit sind dabei durchaus erlaubte Mittel zum Zweck. Die Anhänger der „Fangs of Mara“ hingegen vertreten die gefährliche Ansicht, dass man zum Monster werden muss, um ein Monster besiegen zu können. Sie studieren die Schrecken der Abyss, um zu lernen, sie zu beherrschen und die Meister der Tiefe letztlich mit ihren eigenen Waffen schlagen zu können. Das heißt, sie sind nicht per se böse, bewegen sich aber in den Augen der meisten Magier in sehr gefährlichen Wassern.

Alle Einträge sind ungefähr gleich aufgebaut. Sie enthalten eine Einleitung in die Natur der Legacies, danach folgt der „Parent Path“, der Spitzname für die Anhänger der jeweiligen Bewegung und die Beziehung zu den einzelnen Orden. Erscheinungsbild, sozialer Hintergrund und Organisation der Mitglieder bilden den Rest des ersten Informationsblocks. Nach einem historischen Abriss folgt dann eine detailliertere Einführung in die Gesellschaft und Kultur – die Sichtweisen, Ziele und Methoden – der Legacy-Gemeinschaft. Der Initiierung neuer Mitglieder wird ebenso eine Seite gewidmet, wie den drei Attainments, die selbige im Laufe ihrer Entwicklung erwerben können. Abenteuervorschläge und ein Beispielcharakter runden das vom informationsgehalt her völlig ausreichende Material ab. (Alles weitere soll sich im Spiel ergeben...)

Den Abschluss des Bandes bildet ein Kapitel mit Hinweisen, wie man seine eigenen Legacies entwickeln kann. Als Veteran belächelt man ja oft derlei Spielleitertipps, aber in diesem Falle muss ich sagen, dass ich sie wirklich hilfreich finde. Es wird nicht übertrieben viel um den heißen Brei herumgeredet, stattdessen werden auf knapp zwölf Seiten viele Denkanstöße gegeben, Richtungsangaben gemacht und Stolperfallen vermerkt. Das erleichtert die nicht unerhebliche schöpferische Arbeit, die den Spielleiter beim Schaffen eines maßgeschneiderten Vermächtnisses erwartet, nicht zwangsläufig, aber am Ende darf man sich ziemlich sicher sein, wenigstens ein spieltechnisch funktioniertes Konstrukt entwickelt zu haben. Eigentlich muss man sich die ganze Mühe aber gar nicht machen. Mit den Legacies des Grundregelwerks und dieses Bandes sollte für reichlich Abwechslung gesorgt sein.

Fazit: „Legacies: The Sublime“ ist ein Quellenbuch, das sich magischen Zirkeln, Kulten und Bewegungen widmet, die allesamt etwas Höherem – nicht selten Gewaltigem – entgegenstreben. Das reicht von dem Bedürfnis, die Geschicke einer Stadt zu lenken bis hin zu der Absicht, die Welt, wie wir sie kennen, komplett aus den Angeln zu heben. Diese teils drastischen Ansichten und ihr aktives Eintreten für selbige, machen die Anhänger der versammelten 13 Legacies zu interessanten Spielercharakteren und NSCs (feindlicher wie freundlicher Art), außerdem werden dadurch viele Ideen zur Entwicklung von dramatischen Abenteuern und sogar Kampagnen geliefert (Feuerbälle und so inklusive). Für mich ein Quellenbuch, dass man sich direkt nach dem Grundregelwerk zulegen sollte!


Legacies: The Sublime
Quellenbuch
Dean Shomshak, Travis Stout, Chuck Wendig u.a.
White Wolf 2006
ISBN: 1-58846-425-3
159 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 26,99

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