Korsaren der Karibik

Ein Schiff, ein Schiff, ein Königreich für ein Schiff. Als Seefahrer hat der Spieler vielfältige Möglichkeiten, um sich in den Chroniken seinen Platz zu sichern. „Pirat oder Kaufmann?“ ist hier die Frage. Nur eines ist klar: erst der Ruhm, dann der Rum. „Korsaren der Karibik“ ist ein herrliches und komplexes Spiel mit hervorragender Spielatmosphäre. Ahoi.

von Lars Jeske

 

 

Mit der deutschen Version von Z Man Games' „Merchants & Marauders“, erdacht von Christian Marcussen & Kasper Aagaard, hat Pegasus dem deutschsprachigen Raum ein Genrehighlight erster Kanone vorgestellt. Name und Cover lassen bei „Korsaren der Karibik“ vermuten, es handele es sich um ein Kinderspiel, spätestens ein Blick auf die Rückseite beweist jedoch, dass dieses Spiel ordentlich Tiefgang hat. 2 bis 4 Kapitäne ab 13 Jahren durchkreuzen die Karibik und sind ihres eigenen (Würfel)Glückes Schmied. Egal ob als friedfertiger Kaufmann oder ruchloser Pirat: Wer es schafft, zehn Ruhmpunkte zu erhalten, ist wahrlich mit allen Wassen gewaschen.

Laderaum

Die schwere Packung ist randvoll gepackt und es grenzt schon fast an ein Wunder, dass alle Komponenten in diesem Euro-Standardkarton Platz finden. Bei dieser opulenten Materialfülle kommt man ins Schwärmen. Jeder Spieler erhält ein Kapitänsbrett, auf welchem alle relevanten Informationen über das Schiff und den Spielerstatus gesammelt werden. Auf dem überraschend kleinen Spielbrett (69cm x 56cm), welches die in Regionen unterteilte Karibik darstellt, ist alles gut lesbar und übersichtlich angeordnet. Allerdings sind es viele Infos. Hinzu kommen über 250 kleine Karten, etwa für Ereignisse, Aufträge, Waren und Kapitäne nehmst knapp 200 Marker für Gold, Schiffsspezifikationen und die Warennachfrage. Diese Marker sind stabil, sauber gestanzt und zweckdienlich. (Für Grobmotoriker jedoch recht winzig.) Aber es geht noch weiter: 10 Spezialwürfel, Holzquader zur Markierung und 4 Papptruhen zum Selberzusammenbauen als Geheimversteck runden das überaus stimmige Gesamtbild ab. Wer aus dem Staunen nicht herauskommen will, darf sich des Weiteren über 26 modellierte Miniaturplastiken der 4 verschiedenen Schiffsklassen freuen. Für Wasserratten der Hinweis, dass es sich dabei um Schaluppen, Fleuten, Fregatten und Galeonen handelt. Damit nichts wegkommt, sind mehr als genügend Zipbeutel mit dabei. Hier wurde die Verbindung von Klasse & Masse auf ein neues Level gehoben. Gewöhnlich halte ich mich mit Superlativen zurück, aber bei diesem Spiel stimmt einfach alles. Das Material ist zweckdienlich, effizient und schön. Obersuperspitzenklasse.

Kurzum: Das Material ist sehr gut gearbeitet, von hoher Qualität und optisch sehr ansprechend. Mehr Piratenfeeling geht nicht. Selbst wenn man mit diesem Setting (Karibik, Piraten, Umhersegeln) nichts am Hut hat, wird man unweigerlich mitgerissen und kann kaum erwarten, den Anker zu lichten und Segel zu setzen.

Verhaltenskodex

Allein die Materialvielfalt deutet an, dass das Spiel auch inhaltlich kein Leichtgewicht ist. Die entsprechenden Sonderregeln, die in jeder Region gelten, erhält jeder Spieler auf einem Referenzbogen, auf welchem auch alle anderen Regeln kurz zusammengefasst sind, sodass man sogar fast ohne das 16-seitige Regelbuch auskommt. Dieses ist jedoch sehr übersichtlich gestaltet, mit vernünftigen Beispielen idiotensicher erklärt, sprachlich einfach und optisch ansprechend. Um jedoch alles einmal durchzuarbeiten, sollte man sich eine gute Stunde Zeit nehmen, das komplexe, aber nicht komplizierte Spiel kennenzulernen.

Leider dauert es etwas, den Mitspielern die Regeln weiterzugeben, und es gibt viele Details, die immer wieder gern nachgefragt werden. Somit ist das Spiel definitiv nichts für Gelegenheitsspieler. Auch benötigt man ein paar Runden, um alle Feinheiten zu verinnerlichen und die diversen Taktiken auszuprobieren.

Ruhm, Rum & Glorie

Einmal aufgebaut (dauert ca. 15 min.), kann es losgehen. Das Ziel ist ganz einfach: irgendwie 10 Siegpunkte (hier Ruhmpunkte genannt) zu ergattern. Dafür stehen einem mehrere Wege zur Verfügung, die aufgrund der anfänglichen Berufswahl des Kaufmanns oder Pirats vage vorgegeben sind. (Wechseln der Spielstilrichtung ist jederzeit möglich.) Die Fracht für Geld und gegebenenfalls Ruhmpunkte löschen kann jeder, die Beschaffung ist jedoch unterschiedlich: Schiffe überfallen oder ehrhaft einkaufen. Ebenso kann man Aufträge erfüllen, Gerüchte überprüfen oder sich mit anderen Spielern, der königlichen Marine und den Piraten anlegen. Dazwischen gilt es, das Schiff mit Spezialwaffen zu versorgen, sonstige Modifikationen vorzunehmen oder gleich ein neues zu kaufen. So viele Möglichkeiten und nur 3 Aktionen pro Runde. Grübler können einem das Leben schwer machen und Entscheidungsschwache das Spiel hinauszögern, nicht nur weil es 7 Möglichkeiten gibt, zu Siegpunkten zu gelangen.

Ist man an der Reihe, kann man in der Karibik umherschippern (Bewegung), andere Schiffe aufstöbern, um diese zu überfallen (Suchen) oder in einem Hafen anlegen, um mit der örtlichen Gesellschaft zu interagieren (Hafenaktionen). Während der Handel mit Rohstoffen leicht vorhersagbar ist (Einkauf mit Rabatt, Verkauf mit hohem Gewinn bei vorher erkennbarer Nachfrage), werden alle anderen Aktionen über Eigenschaftsproben vergleichbar mit denen in „Arkam Horror“ abgelegt. Sechsseitige Würfel mit jeweils einem Drittel Erfolgschancen werden für Proben auf Seemannskunst, Suchen, Führungskraft oder Einfluss geworfen, um dem Sieg wieder etwas näher zu kommen.

Gekämpft werden darf natürlich auch. Seeschlachten sind richtige Gefechte und werden mit strategischem Würfeln entschieden. Hier kann man schießen, entern oder fliehen – wie im richtigen Leben. Das Aufbringen von Kauffahrern hingegen entscheidet sich durch Karten und erinnert einen eher an „Warrior Knights“, denn wie dort fallen Entscheidungen mit Hilfe des Schicksalsdecks. Je nach Strategie, die nie geradlinig ist und immer angepasst werden sollte, ergibt sich eine gute und glaubhafte Mischung aus Vorhersagbarkeit und Risiko, wobei der Part als Pirat bedeutend anspruchsvoller zu spielen ist.

Neben des direkten Wettstreits, den die Spieler auch untereinander ausfechten, gibt es Piraten und Marineeinheiten der vier herrschenden Nationen (Spanien, Niederlande, Frankreich, England). Diese greifen je nach Gesinnung die gegensätzlichen Spieler an und sorgen zusätzlich für Gefahr auf dem Meer. Bewegt werden diese neutralen Einheiten durch Himmelsrichtungen auf den Ereigniskarten („Arkam Horror“, ick hör dir trapsen). Zusammengenommen eine komplexe und durchdachte Offline-Simulation des rauen Lebens in der Karibik dieser romantisch-verklärten Epoche.

Das größte Handicap des Spiels ist neben der Regelvielfalt, vor allem die Downtime, die besonders am Anfang größer ist. Kämpfe, an denen man nicht beteiligt ist, sind zumeist spannend zu verfolgen, können sich jedoch ziehen. Hinzu kommen Kartenziehglück und Würfelglück, was nicht jedermanns Sache ist, gerade weil „Korsaren der Karibik“ als Strategiespiel überzeugen will.

Risikoaverse Wegeoptimierer werden sich als „langweilige“ Kaufmänner durchschlagen, während die risikofreudigen Gemüter die offene Konfrontation mit allem und jedem suchen, auf Würfel- und Kartenziehglück vertrauen und sich auch nicht davor scheuen, Fischfutter zu werden. Glücklicherweise ist man dann nicht komplett aus dem Spiel raus, sondern spielt nach Einbußen als neuer Kapitän mit den vorhandenen Ruhmpunkten weiter.

Fazit: Das nur bedingt glückslastige „Korsaren der Karibik“ ist ein echtes Highlight für Vielspieler und Spieleprofis. Eindeutig nichts für Entscheidungsschwache oder Ungeduldige entfaltet sich hier eine Spielewelt, die thematisch hervorragend umgesetzt wurde. Von der Komplexität her ist es ein „Warrior Knights light“ mit Anleihen an „Arkham Horror“ bei einer weitaus moderateren Spielzeit von ca. 1 Stunde pro Mitspieler. Dadurch ist „ab 13 Jahren“ eher optimistisch. Geringe Spielschwächen (etwa Würfelpech) sind nicht nur aufgrund des beeindruckenden Materials verzeihlich. Das Ganze ist für nicht einmal 40 Euro ein wahres Schnäppchen und sollte in keiner anspruchsvollen Spielesammlung fehlen. Für mich das Spiel des Jahres 2011.


Korsaren der Karibik Brettspiel für 2 bis 4 Spieler
Christian Marcussen, Kasper Aagaard
Pegasus Spiele 2011
EAN: 4250231710056
Spielbrett, 4 Spielerbretter, 254 Karten, ca. 200 Pappmarker, 29 Holzmarker, 26 Miniaturschiffe, 10 Würfel, Spielregeln und Kurzreferenzen / deutsch
Preis: EUR 39,95

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