Kantaki-Zyklus 3: Der Zeitkrieg

„Der Zeitkrieg“ ist der abschließende Roman der in Andreas Brandhorsts Kantaki-Universum angesiedelten Trilogie um die Kantaki-Pilotin Diamant, den superreichen Konsortiumführer Rungard Avar Valdorian und die wahrhaft galaxienumwälzenden Ereignisse, in die beide verwickelt sind. Auf 590 Seiten entfaltet sich ein apokalyptisches Panorama, das an Größenordnung kaum noch zu überbieten ist.

von Bernd Perplies

Wir erinnern uns grob der ersten beiden Romane: Der junge Rungard Avar Valdorian, Anwärter auf den Titel des Primus inter Pares des so genannten Konsortiums, eines galaktischen Wirtschaftskonglomerats, will in jugendlichem Übermut die Studentin Lidia DiKastro heiraten. Die jedoch besitzt die Gabe, eines der überlichtschnellen Schiffe der insektenartigen Kantaki durch den Transraum zu steuern und dadurch, außerhalb von Raum und Zeit stehend, relative Unsterblichkeit und fast grenzenlose Bewegungsfreiheit zu gewinnen. Daher möchte sie Pilotin werden und Valdorian als Konfidenten, Vertrauten, mit sich nehmen. Der aber lehnt ab, beider Wege trennen sich.

Ein ganzes Leben später blickt Valdorian zwar auf ein Reich zu seinen Füßen herab, doch der Tod ist nahe und er versucht, mithilfe der Kantaki, für die Zeit nur wenig Bedeutung hat, sich verjüngen zu lassen. Dazu begibt er sich auf eine Odyssee auf der Suche nach der Pilotin Diamant, einst Lidia, die ihm helfen soll, und sein unbedingter Lebenswille nimmt dabei fanatische Züge an, die ihn jedes Maß vergessen lassen. So wird er zum leichten Helfershelfer für die Temporalen, die einst gegen die Kantaki den Ersten Zeitkrieg verloren und seitdem im Null gefangen sind. Durch geschickte Manipulation bringen sie Valdorian zum Planeten Kerberos, wo er ein Bruchstück des Omnivors, einer realitätsverschlingenden Superwaffe der Temporalen ‚befreit‘, das wiederum diese aus ihrem Zeitkerker befreit und damit den Zweiten Zeitkrieg entfesselt.

In „Der Zeitkrieg“ nun ist selbiger eigentlich schon geschlagen und von den Mächten des Guten, also den Kantaki und ihren Verbündeten, verloren worden. Die eine objektive Zeitlinie ist in zahllose parallele Zeitstränge aufgesplittet, in denen der verzweifelte Rest des Widerstands fieberhaft nach dem originären Manipulationspunkt, der den zur ultimativen Katastrophe führenden Kaskadeneffekt auslöste, suchen, derweil Agenten der Temporalen, wo sie nur können, die Agenten und Refugien der Kantaki auslöschen. Diese vielfachen Realitäten sind allesamt durch Farben gekennzeichnet, was den auf den ersten Blick irritierenden Umstand erklärt, dass alle Kapitel des Romans durch Farbangaben ergänzt werden.

Es ist ein dreister, gewagter und grandios unkonventioneller Schritt, den Brandhorst hier macht: denn plötzlich existieren die Protagonisten des Romans – Valdorian, Diamant, ihre Pilotenfreundin Esmeralda – nicht nur einmal, sondern beliebig oft, was zur Folge hat, dass man ihnen antun darf, was man will, solange eine Identität, bevorzugt die mit der höchsten Realitätsdichte, erhalten bleibt. Zudem wird die Erzählstruktur noch ein Stück komplexer. In einem Universum, in dem Zeit und Raum nur noch untergeordnete Größen sind, hilft einem als Leser nur noch Kontinuität. Auch wenn man also zwischendurch vielleicht bei all den Farb- und Wirklichkeitswechseln den Gesamtüberblick verlieren mag, im Grunde treibt Andreas Brandhorst seine Handlung immer weiter voran und am Ende verdichtet sie sich auch wieder, das Chaos reduziert sich auf ein Hier und Jetzt, das ganz zurück zum Anfang der Trilogie führt.

Im Zentrum der Handlung steht Valdorian, dessen Hass auf Diamant und die Kantaki, die ihm die lebensverlängernde Behandlung mit rekursiver Zeit zuletzt versagten, die Befreiung der Temporalen und den Ausbruch des Zweiten Zeitkriegs erst möglich machte. Es ist der Weg vom Saulus zum Paulus, vom Mann, der nur an sich selbst dachte, zu einem, der einsehen muss, dass weltliche Macht und grenzenloser Egozentrismus nichts mehr bedeuten, wenn die großen galaktischen Schachspieler auf den Plan treten und die Existenz des gesamten Universums auf dem Spiel steht. Elegant zieht Brandhorst die Strippen im Inneren von Valdorians Psyche und lässt den von Zorn und Reue hin- und hergerissenen Ex-Magnaten langsam aber sicher neue Prioritäten finden, namentlich sich den Respekt und die Liebe Diamants zu verdienen und mit ihr von vorne anzufangen.

Zugegeben, man muss eine gewisse Affinität zu derlei Geschichten mitbringen, um der Atmosphäre und der erzählerischen Eigenwilligkeit von Andreas Brandhorsts Kantaki-Zyklus, von dem „Der Zeitkrieg“ nur einer von drei eng verknüpften Teilen darstellt, zu erliegen. Mit Hard-Science-Fiction hat diese Mischung aus gigantomanischer Galakto-Esoterik und psychologischem Ränkespiel beispielsweise nicht viel zu tun. Die Kantaki, die Feyn, die Temporalen, der Omnivor, das Konziliat, die Dominanz – der Autor greift nicht nur tief in den Fundus lateinischer Vokabeln, sondern konkurriert auch erfolgreich mit den wildesten Perry-Rhodan-Fantasien hinsichtlich der Größe des beschriebenen Konflikts. Persönlich muss ich sagen, dass ihm das unglaublich gut gelungen ist. Man fiebert nicht nur mit den ‚Helden‘ mit, sondern ist auch immer wieder von der geschickt verflochtenen Erzählstruktur fasziniert, dank der man Andreas Brandhorst überall hin folgen würde, selbst bis ins Flix.

Einzig das Ende von „Der Zeitkrieg“ kommt leider wenig überraschend. Die Idee der Auflösung ist an sich nicht schlecht und nach den Ereignissen des Romans akzeptiert man auch die Notwendigkeit, Handlung ungeschehen zu machen, nur wird einem als Leser, sobald die richtigen Hinweise erst gestreut sind, viel zu rasch klar, worauf das Ganze letztlich hinausläuft. Ab diesem Punkt wartet man sozusagen nur noch darauf, dass das Unvermeidliche eintritt und die letzten knapp 100 Seiten leiden ein wenig an Verzögerung bis zum Finale. Oh, und der „Epilog“ ist doch ein bisschen arg „Akte-X“-Stil. Diesen doch heutzutage sehr gewöhnlichen Twist hätte die ansonsten herrlich unkonventionelle Trilogie nicht nötig gehabt.

Fazit: „Der Zeitkrieg“ schließt von der Handlung her gewaltig und gleichzeitig erzählerisch herrlich ungewöhnlich die Ereignisse ab, die mit „Diamant“ und „Der Metamorph“ ihren Anfang nahmen. Die Protagonisten Diamant und Valdorian kämpfen sich durch multiple Zeitlinien, um am Ende ungeschehen zu machen, was das Ende aller Dinge bedeuten sollte. Der Kantaki-Zyklus ist zwingend als Trilogie zu lesen, ansonsten sind die zahlreichen Verbindungspunkte zu unverständlich. Wer allerdings Spaß an monumentaler Science-Fiction à la Perry-Rhodan mit einem guten Schuss kosmischem Mystizismus hat, dem kann ich Andreas Brandhorsts Roman(e) nur wärmsten empfehlen!


Der Zeitkrieg (Kantaki-Zyklus 3)
Science-Fiction-Roman
Andreas Brandhorst
Heyne 2005
ISBN: 3-453-52102-1
590 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 9,95

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