Junta

Mit einem tiefen Seufzer lehnt sich El Presidente in seinem Sessel zurück und begutachtet mit gramgebeugter Miene die acht Geldscheine in seiner Hand. Die Regierungsverantwortung lastet schwer auf seine Schultern, und man sieht ihm die vergangenen Spielrunden voller Attentate und Intrigen an. In bester corleonischer Manier erklingt dann seine Stimme: „Hach. Das Jahr hart, die Amerikaner geizig, was soll ich da noch machen? Was, eh? Der Haushalt ist eine Katastrophe, es bleibt uns nur, auf bessere Zeiten zu hoffen.“

von Jan Stetter

 

Er seufzt und betrachtet dann seine Untergebenen. „Ihr, Senor Marc, wart ungehörig in der letzten Zeit, und ich habe Euer Attentat auf mich nicht vergessen. Möget Ihr als Admiral der Marine auf dem Meeresgrund verfaulen. Ihr dagegen, Senora Leonie, seid nicht nur meine attraktive Augenweide, sondern auch ein Vorbild an Loyalität. Somit seien Euch der Posten des Innenministers sowie eine stattliche Summe aus dem Hauhalt gewiß. Nun zu Euch anderen treuen oder untreuen Vasallen..."

Nachdem einige Mitspieler protestiert haben, andere zufrieden gelächelt und sich Leonie mit Augenaufschlag und Kußmund bedankt hat, setzt sie als Innenminister den abgelehnten Haushalt durch und lässt El Presidente kurze Zeit später in der Bank beim Einzahlen seines Bargelds erschießen. Der (nun ehemalige) Präsident ist geschockt, als sein loyalstes Regierungsmitglied sein üppiges Handgeld einstreicht, doch schon beim nächsten Putsch schlägt er sich (in Gestalt seines eigenen Bruders) auf die Seite der erfolgreichen Rebellen und erwirkt die Exekution Leonies. Rein geschäftlich natürlich, denn man ist ja nicht nachtragend...

Solche und ähnliche Szenen prägten und prägen seit mittlerweile fast zwei Jahrzehnten einige der schönsten Erinnerungen, die ich mit dem Hobby Brettspiel verbinde. Und viele diese Erinnerungen lassen sich auf einen Kern, ein Spiel reduzieren: „Junta“. Dieses Spiel ist fernab von allem, was man normalerweise aus dem Brettspielbereich kennt, denn es verbindet ein einfaches Spielprinzip mit einem Höchstmaß an Interaktion, die sich besonders durch Intrigen, kleine (und manchmal große) Gemeinheiten und Durchtriebenheit auszeichnet. Bei „Junta“ wird betrogen, gelogen, geschworen, verhandelt, angebandelt, hintertrieben, geschmeichelt und gehetzt; Versprechen werden gegeben und gebrochen, Händel werden geheim ausgetüftelt und im richtigen Moment zugunsten des eigenen Vorteils wieder verraten. Kurz: „Junta“ ist ein großartiger Spaß, der aber schon so manche Freundschaft hart auf die Probe stellte.

Es geht bei diesem Spiel um eine Bananenrepublik, deren politische und militärische Führer von den Spielern repräsentiert werden. Anfangs wird ein Präsident gewählt, der danach zu Beginn jeder Runde die mächtigen und weniger mächtigen, interessanten und weniger interessanten Ämter wieder neu an die Spieler verteilt. Anschließend zieht der Präsident verdeckt acht Geldscheine der Entwicklungshilfe, die jeweils zwischen ein und drei Millionen Bananenpesos wert sind.

Nun aber tritt das erste Problem auf: Laut Präsident werden angeblich immer nur lausige acht Millionen gezogen, alle Mitspieler jedoch wähnen satte vierundzwanzig Millionen in der Hand ihres betrügerischen Anführers. Dieser muss jetzt einen Haushalt vorschlagen, bei dem jeder andere Spieler nach Wichtigkeit und Sympathie und alten Rechnungen mit einem gewissen Geldbetrag bedacht wird (oder gar nichts erhält). Das führt dann erwartungsgemäß zu den heftigsten Debatten im „Parlament“.

Sind diese vorüber, wird über den Haushalt abgestimmt, wobei es für jeden Spieler wichtig ist, besonders viele Lobbys und Einflußgruppen in die Abstimmung führen zu können, denn das gibt Stimmen und damit Macht. Mit ein paar Ränken kann der Präsident den Haushalt sogar trotz Ablehnung duchsetzen, aber das lockert den Amtsschleudersitz erheblich, auf dem er sich ohnehin die ganze Zeit befindet. Nach dem Auszahlen der Gelder wählen die Spieler geheim Aufenthaltsorte, dann folgen, wenn möglich und gewünscht, Attentate, die jeder Spieler auf einen anderen verüben kann. Erwischt ein Attentäter das Opfer im gemutmaßten Aufenhaltsort, ist der Anschlag erfolgreich: Der Spieler des Attentäters erhält das Bargeld des Opfers, der Gemeuchelte muss für den Rest der Runde aussetzen, bevor ein neues Mitglied seiner Familie die Geschäfte übernimmt.

Es folgt die Bankrunde, in der jeder sein Bargeld auf sein Schweizer Konto einzahlen oder Geld auch wieder abheben kann. Und sollte es in der Runde bisher Anlässe zu einem Putsch gegeben haben, etwa durch das gewaltsame Durchdrücken des Haushalts, dann ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass sich einige Unzufriedene zusammenrotten und ein Spiel im Spiel beginnen: das Putschspiel. Dabei geht es um eine festgelegte Rundenzahl militärischer Auseinandersetzungen, bei denen die Ämter die Rollen tauschen, denn das politisch weniger mächtige Militär ist plötzlich entscheidend, Präsident und Innenminister sind dagegen weniger stark.

Der Präsident kann oftmals nur hoffen, mit seinem Rückhalt bei den Generälen, Bestechungen oder guten Handkarten das Blatt für sich wenden zu können. Aber ob mit Putsch oder ohne... Am Ende der Runde geben die Spieler ihre Ämterkarten ab, und der alte (oder der bei Rücktritt oder Tod neu gewählte) Präsident eröffnet die neue Runde wieder mit der Ämterverteilung. Es gewinnt, wer am Ende des Spiels, wenn die Entwicklungshilfe zur Neige geht, das meiste Geld in die Schweiz gebracht hat. „Junta“ hat also überhaupt nichts mit der Realität zu tun...

Das war es auch schon in Bezug auf den Spielablauf. Die gut verständlichen Regeln wirken anfangs komplizierter, als sie im Spiel sind. Man muss Pegasus ein großes Lob aussprechen, denn sie haben „Junta“, den alten Klassiker von ASS-Spiele, nicht nur graphisch ansprechend aufgepeppt, sondern auch die damals zum Teil etwas schwierig zu verstehenden Regeln sprachlich verständlicher gemacht. Gerade die Wahl des Präsidenten erschließt sich aus der heutigen Spielanleitung besser als aus der damaligen.

Die Regeln selbst sind dabei inhaltlich weitestgehend identisch geblieben, was ich natürlich begrüße, denn man hat das Spiel nicht erweitert, verändert oder – was am schlimmsten gewesen wäre – „entschärft“. Und Pegasus hat wichtige Hinweise zum Spiel „Juntas“ und zur Spieletikette hinzugefügt, was hoffentlich so manche übertriebene Schärfe zwischen Spielern verhindern wird.

Und hier komme ich auch schon zum größten Pluspunkt, aber auch potenziellen Minuspunkt „Juntas“:
Das Spiel bedarf vieler kommunikationsfreudiger Spieler. Wir haben schon zahlreiche Runden mit allen möglichen Zusammensetzungen gespielt, aber dabei wurde immer deutlich, dass „Junta“ unter einer Spielerzahl von fünf Spielern rapide an Reiz verliert. Und mit zwei Spielern kann man es schon gleich vergessen; es gibt zwar entsprechende Regeln, aber „Junta“ lebt von der facettenreichen Interaktion, und die ist bei zwei Spielern eben nicht ausreichend möglich.

Wer also Schwierigkeiten hat, mindestens (!) vier Spieler um sich versammeln zu können, der wird nur einen Bruchteil des Potenzials dieses Spiel ausloten können. Und wer in seinem Spielerumfeld nur liebe, ausgeglichene und zufriedene Personen hat, die Fliegen nicht einmal theoretisch etwas zuleide tun könnten, der wird mit „Junta“ nichts anfangen können, denn es wird ein langweilig dahinplätscherndes Verteilen von Ämtern und Geld werden. „Junta“ kann also größten Spaß, aber auch größte Langeweile bieten, je nachdem, wer am Spiel beteiligt ist und wie viele Personen mitspielen.

„Junta“ steht für eine miese, hintertriebene Bananenrepublik, nicht für eine kompromißreiche Idealdemokratie. Fraktionen zerfallen schneller wieder, als sie sich zusammensetzen, jeder ist seines eigenen Wohles bester Freund, niemandem kann man wirklich trauen. Das alles wird umgarnt, getarnt und geplant mit vielen offenen und geheimen Worten, Austausch und Verkauf von Karten, Bestechungen und intriganten Winkelzügen. Sobald es bei „Junta“ einmütig, harmonisch oder gar familiär zugeht (schlimmstenfalls zum Schaden von wenigen dauerhaft Machtlosen), läuft etwas falsch und verliert das Spiel an Tempo und Geist.

Ich kann Pegasus gar nicht genug dafür rühmen, eines der meiner Meinung nach besten Brettspiele überhaupt wieder neu aufgelegt und zum wohlfeilen Preis herausgegeben zu haben. Die jahrzehntealte Urfassung ist eine Zierde meines reichen Spieleschrankes, und die vielen Abnutzungsspuren zeigen, wie gern das Spiel immer wieder hervorgeholt wurde. Es ist ein Spiel, das wirklich erinnerungswürdige Ereignisse erzeugen kann: brillante politische Dialoge, bemerkenswert intrigante Schachzüge, höchsten Jubel, tiefsten Groll, tränenreiches Lachen, wutschnaubend zugeschlagene Türen, durch den Raum gefegte Spielbretter, ganz reale weibliche Avancen zum Erreichen ganz virtueller Ämtervorteile, temporäre Freundschaftsaufkündigungen...

Man sieht schon, zu was dieses außergewöhnliche Spiel führen kann. Und dabei übertreibe ich nicht, auch wenn ich natürlich betonen muss, dass so manches Extrem wirklich spielrundenindividuell ist. Gerade Rollenspieler haben bei „Junta“ endlich mal die Chance, allen anderen beweisen zu können, dass sie wirklich zwischen Spieler und Charakter trennen können. Wir haben das bisher nur selten geschafft, aber das muss ja nicht viel heißen. Dennoch reicht das Mäuschenspielen in anderen „Junta“-Runden aus, um sich in seinen Erfahrungen bestätigt zu sehen.

Fazit: Bei alkoholreichen Upperclass-Partys in England gilt der Grundsatz, dass alles, was an einem feucht-fröhlichen Partyabend getan und gesagt wird, am nächsten Morgen nicht mehr die geringste Bedeutung haben soll. Wer sich „Junta“ mit dieser alltagsweisen Einstellung und ausreichend vielen sprach- und intrigenfreudigen Freunden zuwendet, der hat gute Chancen, Anekdoten zu sammeln, die noch den Enkelkindern voller Stolz und Leidenschaft erzählt werden. Und welches Spiel kann sowas schon von sich behaupten?


Junta
Brettspiel für 2 bis 7 Spieler ab 16 Jahren
Vincent Tsao, Ben Grosmann, Eric Goldberg
Purgatory Publishing Inc. / WEG / Pegasus Spiele 2007
ISBN: 978-3-939794-18-9
Spielbrett, 114 Spielkarten, 135 Spielmarken, 96 Geldscheine, 6 Würfel, Spielanleitung (15 Seiten)
Preis: EUR 34,95

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