Jenseits des Nebelwalds

Myranor – das Güldenland. Beherrscht von den Optimaten und ihrem Herrscher, dem Thearchen, auf seinem Thron auf dem Sternenpfeiler in der Metropole Dorinthapolis. Doch auch das Imperium hat Grenzen und seit seiner Hochzeit bereits viele Regionen verloren. Jenseits des Nebelwalds finden sich die Lande, die von unterschiedlichen Völkern beherrscht werden. Von den katzenartigen Amaunir über Echsenartige bis zu den seefahrenden Kerrishitern finden sich ganz unterschiedliche Bewohner, die in Dschungel, lebensfeindlicher Wüste, im Hochgebirge oder auf Archipeln leben und Geheimnisse vergangener Zeiten verbergen.

von Ansgar Imme

Die „Myranor“-Spielhilfe „Jenseits des Nebelwalds“ ergänzt „Unter dem Sternenpfeiler“, welches die Lande des Imperiums und der Optimaten umfassend beschrieb und somit der erste Teil der „Welt“-Beschreibung Myranors war. Der jetzt vorliegende Folgeband war lange versprochen und wurde aus verschiedenen Gründen immer wieder verschoben. Mit der Einführung von „DSA5“ musste dann noch geklärt werden, ob und wie Regeln Bestandteile des Bandes werden sollten, wobei sich der Verlag und die Redaktion schließlich für eine regelfreie Beschreibung entschieden. Unter der Redaktion von „Myranor“-Veteran Peter Horstmann haben sich knapp zwanzig Autoren zusammengefunden, um der Region südlich des Nebelwalds Leben einzuhauchen. Leider war es auch der letzte Band des Uhrwerk-Verlags, da man sich mit dem Lizenzgeber Ulisses Spiele einigte, die Lizenz zur einheitlichen Bearbeitung wieder an den „DSA“-Herausgeber zurückzugeben.

Wie schon sein Vorgänger-Band erscheint auch „Jenseits des Nebelwalds“ in Vollfarbe und breitet seinen Inhalt auf 228 Seiten aus. Die Vollfarbigkeit wird sowohl bei den Schmuckrahmen, den Illustrationen als auch den vielen Karten der einzelnen Regionen ausgiebig genutzt und stellt einen echten Mehrwert dar. Die Illustrationen wie auch die Karten sind sehr gelungen, ohne Aussetzer und zeigen zudem wirklich passende Motive zu den einzelnen inhaltlichen Kapiteln. Gleichzeitig nutzt man die Farbe auch für Wappen einzelner Regionen oder Städte, die dadurch auch bei Kleinigkeiten gut unterscheidbar sind sowie Details ermöglichen, die in Schwarz-Weiß schwer möglich gewesen wären. Während zu Beginn die Karten oft von der Übersichtskarte zur Detailkarte wechseln, fehlt dieses später leider manchmal, sodass man etwas orientierungslos sucht, was genau die Karte darstellt, zudem der inhaltliche Teil mal später folgt oder schon etwas vorher zu Ende gegangen ist. Das ist die einzige Kritik, die man überhaupt bei Layout, Farbgebung und Illustrationen sowie Karten finden kann.

Ebenso positiv ist die Gliederung in Form des Inhaltsverzeichnisses zu erwähnen. Neben der jeweiligen Region als Hauptkapitel wird in den Unterkapiteln auf besondere Völker oder Gegenden verwiesen. Sicherlich hätte man hier noch detaillierter vorgehen können, aber angesichts der Vielzahl an Regionen und Masse an Text wurde ein guter Kompromiss gefunden, der eine einfache Orientierung ermöglicht.

Inhaltlich folgt nach dem üblichen Vorwort eine Übersichtskarte der im Band beschriebenen Regionen, die auf der Karte eingezeichnet sind sowie gleich auf die Seite des Buches verweisen, ab der man das entsprechende Kapitel findet. Das ist natürlich keine neue Idee, die man aber trotzdem viel zu selten in Rollenspielbänden findet. Optimal wäre wie schon angesprochen noch eine weitere Detaillierung im Verlauf des Bandes gewesen. Die Beschreibung der Regionen erfolgt dann etwa von Norden nach Süden. Dazu lockern drei Kurzgeschichten, über den Band verstreut, die Beschreibungen auf und vermitteln einen Eindruck der jeweiligen Gegend.

In jedem Kapitel finden sich Abschnitte zu Landschaft und Klima, Bevölkerung, geografischen Besonderheiten und dem Erscheinungsbild typischer Siedlungen sowie ein geschichtlicher Abriss und Beschreibungen zur Gesellschaft, Recht und Gesetz sowie der Regierung und Politik. Die einzelnen Völker erhalten ebenso eine einheitliche Beschreibung mit körperlichen Grundlagen, geografischer Verbreitung, bekannten Untergruppen, Geschichte, Lebensweise, Weltsicht und Glauben oder Magie. Sowohl die Regionen als auch die Völker erhalten dazu Beschreibungen von Mysterien, verschiedene Abenteueraufhänger sowie die Skizzierung bekannter Personen. Vor allem zu Beginn erreicht man hier eine gute Abwechslung in den Beschreibungen, sodass man als Leser nicht der Monotonie erliegt. Die Mysterien sind zudem durchaus einfallsreich und bieten Stoff für unzählige Abenteuer und Szenarien.

Die ersten kurzen drei Kapitel bilden letztlich eine inhaltliche Einführung in die Regionen und zu erwähnende Besonderheiten. Dabei werden vor allem die Bansumiter als Stammvolk beschrieben, aus der sich viele Volksgruppen ganz unterschiedlichen Aussehens über die Jahrtausende entwickelten. Ein Stammbaum zur Herkunft und Aufspaltung in die verschiedenen Völker erleichtert das Verstehen. Kurz werden ebenso die Gefahren des Dschungels, den man in vielen Regionen Myranors findet, und das Reisen in diesem skizziert.

Passend dazu lernt man ab dem vierten Kapitel als erstes den Pardir-Dschungel und seine blutrünstigen Bewohner, die pantherartigen Pardir, kennen. Es folgen mit dem südlichen Meer der Schwimmenden Inseln mitsamt Bleichwasser und dem Nebelwald weitere dschungelartige Regionen mitsamt ihrer Einwohner, ehe es in den bergigen Teil Alamar mit den geflügelten Ashariel geht. Abgeschlossen werden die dem Imperium noch nahestehenden Regionen mit Tharpura und den imperialen Amaunir. Bis hier sind die Kapitel noch kurz und knackig und weitestgehend unverwechselbar gehalten.

Mit der Beschreibung Makshapurams, welches sicher vom irdischen Indien zur Zeit der Maharadschas beeinflusst wurde, und Shindrabar, dem Archipel der Schlangen und unzähligen Inseln wird es dann zum ersten Mal ein wenig unübersichtlich – sowohl von den Beschreibungen als auch der Orientierung auf den Karten. Es werden die verschiedenen Radjarate als Teilherrschaftsgebiete Makshapurams beziehungsweise die knapp 30 großen Inseln des Archipels vorgestellt. Durch die schiere Menge an neuen Namen und deren Zuordnung gerät man schnell durcheinander und kann von der Erinnerung bereits kurz nach dem Lesen die Unterschiede kaum benennen (obwohl sich die Autoren viel Mühe gaben, unverwechselbare Unterschiede zu skizzieren).

Passend zum Archipel folgt ein Abschnitt zur Seefahrt und dem Handel im südlichen Thalassion, welcher den Bereich von Makshapuram und Shindrabar über die Nakramar bis zu den Kherrishitern beschreibt. Neben dem Handelskonflikt als auch Beschreibung zu erwartender Gefahren finden sich auch Beschreibungen von Handelswaren, über Piraten sowie der vor der Nakramar liegenden Nequaner-Siedlung. Ebenso dem Handel verbunden war einst die Region Te?Sumurru, welches als Herz bansumitischer Kultur und einst als mächtiges Handelsreich südlich des Pardir-Dschungels auf einer Hochebene liegt und heute dünn besiedelt sowie von vielen vergessen ist, aber doch einige Mysterien wie die ehemalige Hauptstadt Darshuria bereithält.

Es folgt die schon im Grundregelwerk beschriebene Nakramar, die heiße, unwirtliche und fast nur aus Wüste und wenigen Steinformationen bestehende lebensfeindlichste Gegend Myranors. Nur die seltsamsten Kreaturen wie Riesenskarabäen, Fluglibellen oder Riesentausendfüßler leben in dieser Hitze. Und selbst die Menschen haben sich der Umgebung als feuergeborene Dralquabar angepasst und in fünf Völkerschaften ein seltsames Aussehen entwickelt, was der Hitze trotzt. Obwohl so eine lebensfeindliche Wüste ja schwer spielbar scheint, sind die Beschreibungen hier so gut gelungen, dass man am liebsten sofort ein Abenteuer beginnen möchte. Eine Menge geografischer Besonderheiten und vielfältiger Mysterien verlockt beim Lesen und sorgt für unzählige Ideen oder bietet Abenteueraufhänger an. Ob es an den sprechenden und gut zu merkenden Bezeichnungen liegt oder daran, dass es sich um ein begrenztes Gebiet handelt und die Autoren es nicht zerfasern – insgesamt bieten die Wüste selbst, ihre Orte, die fünf Völker und die Stadtstaaten und Oasen einfach sehr viel spielerisches Potenzial.

So ungewöhnlich wie die Nakramar ist auch die südwestliche gelegene Region Dragestan, welche weitestgehend aus Savannen besteht und von Drachen beherrscht wird, die in sieben Städten residieren. Hier leben Menschen, Echsenvölker und die katzenhaften Amaunir sowie die luchsartigen Lyncl unter ihren Herrschern, den Glutwürmern, einer Drachenart, die Wärme liebt und sich an Magma unter ihrem Bauch berauscht. Die Städte haben viele große Plätze, sodass die Drachen dort landen können. Sie sind geprägt durch ein Ständesystem und bieten nur selten Aufstiegsmöglichkeiten. Gefahr droht immer wieder durch die Anhänger der Draydal, die bisher durch Eingreifen der Glutwürmer zurückgeschlagen werden konnte. Auch hier bieten sich viele Ideen an wie etwa Mysterien zu den Drachen, politische Kampagnen in den Städten oder auch die Kämpfe gegen die Draydal. Leider ist das Material hier so knapp, dass man sehr viel eigene Arbeit reinstecken muss. Toll für Spielleiter, die gerne selbst viel ausarbeiten und nur Ideen-Steinbrüche suchen, schlecht dafür für Spielleiter mit wenig Zeit, die gerne auf Ausgearbeitetes zurückgreifen.

Die Nacennia-Straße genannte Meerenge trennt die Kontinente Myranor im Norden und Vesayama im Süden und erhält als Vorletztes die Beschreibung in diesem Band. Steile und felsige Küsten und nur wenige Buchten sorgen für eine geringe Besiedlung. Da die Küste jedoch von unzähligen Kavernen und Höhlen durchzogen ist, gibt es hier verschiedene Unterwasserbewohner. Aber auch die Wolkenkämme genannte Bergkette ist von Höhlen durchzogen und hat Siedlungen ausgebildet. Die Nacennia-Straße endet am Ashariel-Sund, der seinen Namen den Geflügelten verdankt, die hier allerdings kriegerisch jeden Eindringling bekämpfen, der sich nur dem Territorium nähert. So verlassen wie die Gegend beschrieben wird, ist allerdings gefühlt auch das Abenteuerpotential. Es finden sich zwar ein paar nette Ideen, aber dieser Bereich ist im Gegensatz zu manchem Genannten sicherlich vernachlässigbar, wenn man Abenteuer oder eine Kampagne starten möchte.

Im Südosten Myranors und östlich anschließend an die Nacennia-Straße finden sich schließlich die Lande der Kerrishiter, die sowohl das Festland südlich der Nakramar und das riesige Archipel vor dem Festland umfasst. Die Kerrishiter sind für Handel, machtvolle Schiffe und ihre nahezu unbeirrbare Selbstbeherrschung sowie den anscheinend fehlenden Humor bekannt. Drei Völkerschaften werden vorgestellt, die einerseits das Festland, das Archipel mit den Inseln und den Stadtstaat Merkhaba bewohnen. Neben einer ausführlichen Beschreibung des Volks der Kerrishiter mit Glauben, Lebensweise, Geschichte, Sitten und Bräuche sowie vielem mehr erfolgt auch eine Beschreibung der drei Völkerschaften sowie ihrer verschiedenen Siedlungsgebiete. Dies stellt in diesem Kapitel auch einen großen Schwachpunkt dar. Unzählige kleine Karten, deren Zuordnung auf der Übersichtskarte schwierig ist, sowie die große Anzahl schwer zu merkender Namen der Inseln und Städte macht das Lesen eher zu schwerer Kost. Auch wenn die einzelnen Passagen immer wieder gute Ideen enthalten oder gute Beschreibungen, so ist die schiere Menge einfach anstrengend.  Vielleicht hätte man hier etwas mehr zusammenfassen können, was dafür dann auch Platz an anderer Stelle geschaffen hätte.

Fazit: Insgesamt ist auch dieser Regional- beziehungsweise eher Weltenband dem Uhrwerk-Verlag wieder gut gelungen. An vielen Stellen liebevoll beschrieben und mit einzelnen Details und Abenteueraufhängern versehen, findet sich eine umfassende, aber selten zu genaue Beschreibung des südlichen Myranors. Man merkt dem Band oft an, dass der Platz sehr begrenzt war und die Autoren recht kurze Texte verfassen mussten (mit wenigen Ausnahmen, wo es ins Gegenteil schlug, siehe oben). Manchen Spielern und Spielleitern wird aber gerade dies gefallen, da es genügend Platz für eigene Ideen und Ausarbeitungen lässt. Wer in Myranor spielt, kommt um diesen Band kaum herum. Aber auch Spieler anderer Systeme können in diesen letzten „Myranor“-Band des Uhrwerk-Verlags durchaus einen Blick werfen, um Ideen für abseits gelegene, exotische Regionen zu bekommen.

Jenseits des Nebelwalds
Quellenbuch
Peter Horstmann u.a.
Uhrwerk Verlag 2018
ISBN: 3958670938
228 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 39,95

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