Myranische Magie

Myranor ist die Hochburg der Beschwörungskunst in der Welt des „Schwarzes Auges“, wo elementare und stellare Essenzen, dämonische Wesenheiten, Toten- und Tiergeister gerufen werden. In diesem Band wird beschrieben, wie eine Beschwörung abläuft, welche Macht sie bietet und welche Risiken. Dazu kommt die Darstellung der vielen verschiedenen zu beschwörenden Wesen, die Erschaffung myranischer Zauberkundiger und Beschreibung von magischen Traditionen, Kreaturen und Phänomen.

von Ansgar Imme

Nachdem in 2006 der Relaunch von „Myranor“ gestartet worden war, sollte eigentlich auch zeitnah der Magieband folgen, um das Spielsystem auf dem großen Westkontinent komplett und richtig spielbar zu machen. Doch es hat etwas gedauert, bis unter der Redaktion von Olaf Michel und Christian Saßenscheidt (und elf weiteren Autoren) endlich die Fortsetzung beziehungsweise Komplettierung des Regelwerkes stattfinden konnte. Dafür liegt nun ein fast 300 Seiten dicker Wälzer vor, der nicht einmal alle Spielarten „myranischer“ Magie abdeckt.

Layout, Aufmachung, Illustrationen

Der Magieband zeichnet sich durch 272 durchgehend eher klein und eng beschriebene Seiten inklusive zweier Anhänge und eines kurzen Index aus, wobei das Inhaltsverzeichnis etwas kurz gehalten ist und detaillierter hätte sein dürfen. Das Layout ist, wie bisher auch, durch einen passenden Schmuckbalken, den klassischen Seitenrand, gekennzeichnet, stimmig passend und weitestgehend übersichtlich. Bedingt durch die Unmengen an Text sind die Illustrationen eher spärlich, zum Teil auch schon veröffentlicht in alten „Myranor“-Publikationen, dafür durchgehend hochklassig (mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen) und immer passend und stimmungsvoll und -fördernd.

Manchmal hätte man sich in der Textwüste noch die eine oder andere Illustration mehr gewünscht – und wenn es nur eine Altveröffentlichung gewesen wäre –, allerdings wären dann die Seitenzahl und damit auch der Preis weiter gestiegen. Und mit 40 Euro aufgrund der kleineren Auflage gegenüber „Aventurien“-Publikationen ist der Preis sowieso schon im höheren Bereich. Grundsätzlich wissen Cover, Innenlayout und Illustrationen aber sehr zu gefallen. Hier merkt man mittlerweile die Routine und Erfahrung des Verlages.

Inhalt und Bewertung

Nachdem die alte „Myranor“-Box und auch der neue Regelband nur rudimentäre und teilweise nicht gut spielbare Grundregeln zur Magie enthalten hatten, soll mit diesem Band die Spielbarkeit voll hergestellt werden, auch wenn sogleich die Einschränkung folgte, dass die Technomantie (Herstellung von Artefakten und magischen Substanzen, Arcanomechaniker und Zauberglyphen) erst in einem Folgeband publiziert werde.

Nach dem üblichen kurzen Vorwort der beiden Bandredakteure folgt zunächst eine Kurzeinführung zur myranischen Magie, die im wesentlichen Begrifflichkeiten erklärt und erläutert. Hier stellt sich immer wieder die Frage, ob man den Beginn einer Spielhilfe grundsätzlich mit dem langweiligsten aller Themen beginnen muss und man nicht vielleicht besser als „Teaser“ eine Kurzgeschichte auf einer Seite vorangestellt hätte, um Spannung beim Leser zu wecken.

Es folgen zwei allgemeine Kapitel, die sich mit Kosmologie und Weltbildern (so wird hier das Thema Astralenergie umschrieben) und den Sphären und dem Limbus widmen. Während beim ersten Kapitel überhaupt kein Weltbild vorkommt, sondern nur die Astralenergie auf „Myranor“ beschrieben wird, treten im folgenden Kapitel erst die Weltbilder der verschiedenen myranischen Magietraditionen zutage. Die Art und Weise der Kapitelbenennung erschließt sich in diesem Zusammenhang nicht.

Das Kapitel der Sphären wird anschließend näher im Einzelkapitel um die Quellen erläutert, in dem die verschiedenen Ursprünge, aus denen myranische Zauberkundige ihre Kraft schöpfen und wie sie diese anwenden, erläutert werden. Hier geht es um elementare Kräfte wie Luft oder Feuer, um Quellen der Natur – im wesentlichen Wesensbeschwörungen – wie die Herbeirufung und Kontrolle von Feen, Tiergeistern und Totengeistern, es geht um die stellaren Domänen (magische Potenziale der Sterne, die Gefühlzustände, Handlungen und Kenntnisse mit diesen assoziieren) wie Aggression, Erfolg oder Wahnsinn und um die Quellen der Dämonen, mit denen chaotische Kräfte aus deren Sphäre gerufen werden. Das Kapitel bietet einen schönen Einblick in die Wirkungen beziehungsweise Hintergründe und viele verschiedenen Möglichkeiten, derer sich auch ein Spieler bedienen kann und die an dieser Stelle extrem freies Spielen und Zaubern vermuten lassen (die Einschränkung folgt im nächsten Kapitel). Störend ist eigentlich nur, dass an dieser Stelle, die mehr als Hintergrund dient, doch schon einzelne Regelelemente genannt und erläutert werden, die man aber erst mit den Regeln in den Folgekapiteln richtig verstehen kann.

Mit „Die Kunst der Beschwörung“ beginnt auf Seite 25 dann der Regelteil für das Zaubern. Da Myranor als freierer und offener Spielkontinent gestaltet wurde, der den Spielern viel Freiheit lassen sollte, konnte man Ähnliches auch gerade für die Magieregeln hoffen, da hier eine viel freiere Gestaltung vorlag, als bei den Spruchzaubern vom Kontinent Aventurien. Doch schon die erste und auch die zweite Auflage des Grundregelwerks hatten eher das Gegenteil vermuten lassen. Und auch der Spezialband zur Zauberei kehrt dies nicht mehr um. Die grundsätzliche Freiheit der magischen Wirkungen wird durch einen komplizierten und umständlichen Regelwust erkauft, bei dem vor allem ständig und viel gerechnet und gewürfelt werden muss. Unter Umständen muss man sogar mehr Proben als im Spruchzaubersystem würfeln, was die Zauberei nicht freier macht, sondern leider komplizierter.

Hier hätte man sich ein ähnlich freies System wie etwa „Magus“ gewünscht, was wenig Grenzen setzt und dem Spieler und Spielleiter Freiheiten lässt. Beschwörungen sind so schwer spielbar, ohne die eigene Runde zeitlich lange aufzuhalten. Vermutlich ist dies leider aber auch vielen regelversessenen „DSA“-Spielern geschuldet, die für wirklich jede Situation eine genaue Regel wünschen. Um das Ganze wohl etwas abzumindern und auch wieder spielbarer zu machen, werden für Essenzbeschwörungen Formeln – die so genannten Matrizen – als über die Zeit der Jahrhunderte eingespielte und bekannte Beschwörungen eingeführt, die deutlich leichter zu zaubern sind (und damit im Wesentlichen die Spruchzauberei wieder einführen beziehungsweise dieser stark ähneln, dabei aber gefühlt schwächere Wirkung erbringen, jedoch mehr Astralkraft verbrauchen). Für die Wesensbeschwörungen (einen Elementar, Dämon oder ein Totenwesen direkt herbeirufen) muss man allerdings wieder mit dem Regelmammut kämpfen. So gut und schön die Ideen und Möglichkeiten auch sind, die Ausführung ist aus Sicht des Rezensenten zu kompliziert und zeitlich zu lang.

Das nächste Kapitel beschreibt die Ritualzauberei, die neben allgemeinen Objektritualen, Bann- und Schutzkreisen und Glyphen vor allem die Stabzauber der Magier und Optimaten erklärt. Die Stabzauber sind sehr schön beschrieben und bieten viele verschiedene Varianten. Dazu kommen noch die Insignien und Rituale der Optimaten, die durch Siegel, Triopta und Enagramm abgerundet werden. Auf weiteren Seiten werden spezielle Rituale des Optimatenhauses Icemna, der Animisten, der Satudure und der Shindramatha beschrieben, wobei die Icemna wie eine Kopie der aventurischen Hexen und die Satudure ein wenig wie eine frohe Variante der aventurischen Elfen wirken. Es folgen in einem weiteren Kapitel weitere Regeln zur Magie, die sich etwa um Astralenergie, Begabungen oder Blutmagie drehen und eine interessante Ergänzung darstellen, durchaus aber auch im hinteren Teil oder Anhang des Bandes hätten erscheinen können.

Mit der Erschaffung der myranischen Zauberkundigen folgt ein wichtiges Kapitel des Bandes, was auch gut an den Anfang der Spielhilfe gepasst hätte. Hier werden neben Ablauf auch noch mal ausführlich die magischen Vorteile und Nachteile, Sonderfertigkeiten und die magischen Kulturen und Professionen beschrieben und erläutert. Hervorhebens- und lobenswert sind die Beispielverteilungen für die magischen Fähigkeiten für Spieler, die schneller starten wollen.

Die folgenden drei Kapitel erläutern und beschreiben die optimatische Tradition, die animistische Magie und weitere magische Traditionen. Vor allem die Optimatenhäuser und ihre Organisation, Geschichte, Politik, Spezialwissen und die Umsetzung der Zauberei im Spiel bilden einen Schwerpunkt und stellen mit die besten und interessantesten Passagen im Band dar, da sie sowohl von den Spielern als auch dem Spielleiter sehr gut genutzt werden können. Die unabhängigen Optimatiker wie Runenmeister und die animistischen Traditionen bekommen leider zu wenig Platz und müssen mit kurzen Passagen vorlieb nehmen, was eher zu einem Stückwerk führt, weil alles nur angerissen werden kann und Spieler auf Folgebände oder Spielhilfen in Magazinen warten müssen.

Als Abschluss des Bandes folgen mehrere kurze Kapitel. „Die Imperiale Bibliothek“ stellt das Lernen aus Büchern für optimatische Zauberer vor, „Magische Wesenheiten“ liefert einige ungewöhnliche Kreaturen, und „Magische Phänomene“ beschreibt seltsame Situationen, von denen ein magiekundiger Held betroffen werden kann. Dazu ergänzt ein Kapitel die Frage, was mit toten Helden geschehen kann, und zum Abschluss gibt es Legenden der Magie. Die Kapitel sind alle kurz, aber spannend und interessant gehalten und lassen noch vieles offen, was ein Spielleiter weiter bearbeiten kann. Im Anhang werden schließlich noch der Vergleich Aventurien-Myranor und die Konvertierung eines alten myranischen Magiekundigen in die neuen Regeln beschrieben.

Grundsätzlich werden dem Spieler und Spielleiter unzählige Informationen zu den myranischen Traditionen geboten, wie es sie in dieser Form bisher nicht gab. Der Regelanteil ist aus Sicht des Rezensenten aber zu umfangreich, zu detailliert und kompliziert, weil nahezu jede Situation – so der Eindruck – verregelt werden muss. Dazu kommt eine unpassende Zusammenstellung des Bandes zwischen Hintergrundbereich und Regelbereich. Die Hintergrundtexte sind dagegen durchgehend sehr stimmungsvoll und bieten viele Anregungen, was diese Nachteile wenigstens ein wenig ausgleicht.

Fazit:
Spieler und Spielleiter auf Myranor werden ohne den Band zur myranischen Magie nicht auskommen, zu umfangreich und ausführlich ist das Gebotene. Allerdings wird man sich in die Regeln sehr langsam hineinarbeiten und vermutlich einige Rückschlage und Frustration hinnehmen müssen. Wenn man die Regeln allerdings „gelernt“ hat, ist die Freiheit im Magiesystem deutlich höher als im bisher bekannten Spruchzaubersystem.

Myranische Magie Quellenbuch Olaf Michel, Christian Saßenscheidt (Hrsg.) Ulisses Spiele 2009 ISBN: 3940424242 272 S., Hardcover, deutsch Preis: EUR 40,00 bei amazon.de bestellen