INTERVIEW: Tobias Hamelmann über "Shadowrun 5"

„Shadowrun“ erscheint mittlerweile auch hierzulande in seiner 5. Edition. Grund genug, um einmal mit dem Kopf der deutschen Redaktion, Tobias Hamelmann, über die neue Edition und die Zukunft des Spiels zu sprechen.

von André Frenzer

Ringbote: Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen. Das Thema heute ist der Kampfpreis von 19,95 Euro, mit dem das neue Grundregelwerk für „Shadowrun“ veröffentlicht wurde, ein Blick auf die neue Produktpalette und womit in Zukunft zu rechnen ist. Kommen wir gleich zum ersten Thema: Wie kam es zu der Entscheidung, einen knapp 500-seitigen, vollfarbigen Hardcoverband zu einem so niedrigen Preis anzubieten?

Tobias Hamelmann: Wir befanden uns Anfang 2013 in der 4. Edition von „Shadowrun“ mit vielen Regelergänzungs- und Quellenbänden. Ein Umstieg in eine neue Edition ist immer kritisch, weil es viele gibt, die so etwas dazu nutzen, um aus einem Spiel auszusteigen. Verständlich: Man hat eine Linie abgeschlossen, wollte eh mal etwas anderes spielen, müsste jetzt alle Ergänzungsbände zu den gleichen Themen wegen der neuen Regeln noch einmal kaufen.

Aber wir stehen natürlich hinter unserem System. Wir sind überzeugt von SR5 und wollen auch die Fans überzeugen, dass sie bei uns bleiben und „Shadowrun“ auch in der neuen Edition weiterspielen. Zudem gab es immer noch viele Leute an den Rollenspieltischen, die nach „Shadowrun 3“ oder sogar 2 ausgestiegen und bei 4 nicht wieder auf den Zug aufgesprungen sind. Oder die schon lange in die Sechste Welt eintauchen wollten, es bisher aber nie getan haben, weil man das Gefühl hatte, man bräuchte direkt so viele Bücher. Auch die wollten wir natürlich alle für diesen neuen Anfang gewinnen. Daher der so signifikant niedrige Preis: Eine Aufforderung an die alten Fans und die neugierigen Neueinsteiger, sich „Shadowrun“ jetzt zu kaufen und mit uns die 5. Edition zu bespielen und zu beleben. Wir freuen uns sehr, dass wir für diese Aktion so viel guten Zuspruch bekommen haben. Noch mehr freuen wir uns allerdings, dass den Käufern das Produkt sehr gefällt – denn trotz des Preises steckt da viel Arbeit und auch das Herzblut von so manchem Autoren und Redakteur drin.

RB: Auch das Spielgruppen-Angebot, das fünf komplette Regelwerke und einen Spielleiterschirm umfasst, ist geradezu unschlagbar günstig. Wie ist dieses Angebot angenommen worden? Und – wird der Spielleiterschirm auch noch separat erscheinen, wie es bei den vorhergehenden Editionen der Fall war?

TH: Das Bundle ist ja genauso günstig wie die einzelnen Bücher. Der einzige Unterschied ist, dass man statt eines Nachlasses ein Zusatzgimmick für den gleichen Preis erhält: den exklusiven Spielleiterschirm. Das Angebot ist sehr gut angenommen worden, was uns zeigt, dass es nicht nur viele „Shadowrun“-Fans gibt, sondern auch viele „Shadowrun“-Spielrunden, die sich zusammen so ein Bundle geleistet haben.

Dieser Spielleiterschirm wird nicht separat erscheinen, er ist ja exklusiv. Aber es wird einen anderen Spielleiterschirm geben – natürlich. Der ist sogar schon im Druck. Er wird vom Format genauso groß, bekommt eine andere Frontillustration, der Inhalt ist etwas anders und in dem Spielleiterschirm-Produkt liegen noch Übersichtstafeln für Kampf, Rigging, Decking und Magie bei, sowie vier Spielerschirme – doppelseitig bedruckte DIN A4-Blätter in stabiler Qualität, die noch mehr Übersichtstabellen und Abläufe auch für Spieler enthalten, damit die nicht immer den Spielleiter fragen müssen und er hinter seinem Schirm ins Grübeln kommt.

RB: Eine neue Regeledition bringt immer Änderungen mit sich. Was erwartet die Spieler bei ihrer Rückkehr in die Sechste Welt? Wie haben sich die Regeln verändert? Und gibt es auch Weiterentwicklungen in der Hintergrundstory?

TH: Ich sagte ja oben, dass es mit der 5. Edition einen neuen Anfang gibt: Das ist so eigentlich gar nicht richtig. Der Sprung von der 4. zur 5. ist bei Weitem kleiner als von der 3. zur 4.: Die Würfelproben haben sich nicht geändert, es sind keine neuen Attribute dazu gekommen. Es gibt ein paar Metaattribute, die sich auch anders berechnen, es gibt Limits (die Probenerfolge limitieren), den neuen Wert Präzision bei Ausrüstung (der für Proben mit Ausrüstung – etwa Waffen im Kampf – die Probenerfolge limitiert), Edge hat sich etwas verändert, die Matrixregeln wurden noch deutlich spielfreundlicher gestaltet – letztlich sind das aber alles Anpassungen für den Spielfluss oder Reaktionen auf Kritiken der Fans nach Jahren des Spiels mit SR4.

Der Hintergrund selbst hat sich nicht geändert, er wird fortgeführt. Daher sind auch alle Quellenbände (bei Pegasus die blauen Bände) noch aktuell, bis sie ein Update erfahren. Solange ist das, was zum Beispiel im Rhein-Ruhr-Megaplex-Buch aufgeführt ist, auch im „Shadowrun 5“-Universum der Status. Lediglich Ausrüstung bedarf einer Überarbeitung auf die neuen Regeln.

Natürlich geht aber auch die Timeline weiter. „Shadowrun“ ist ja eines der wenigen Spielsysteme mit einer kontinuierlichen Zeitführung. Einige Ereignisse sind abgeschlossen worden (der Drachenkrieg, die Kämpfe in Südamerika). Anderes keimt daraus hervor und weitere Plotstränge kommen völlig neu hinzu. Das erste Quellenbuch zu solch einem größeren Strang kommt vermutlich noch in diesem Halbjahr.

RB: Der Verlag Pegasus setzte bei seinen beiden Rollenspiellinien „Shadowrun“ und „Cthulhu“ bislang eher auf seitenstarke Hardcoverbände. Nun wurde mit „Tödliche Fragmente“ ein Einstiegsabenteuer angekündigt, das als 70-seitger Softcoverband – und ebenfalls zu einem sehr niedrigen Preis – veröffentlicht wird. Ist „Tödliche Fragmente“ ein Testballon, oder sind weitere Publikationen in diesem Format zu erwarten?

TH: Dass es ein Testballon ist, schließt ja nicht aus, dass es noch weitere Publikationen in diesem Format geben wird. Tatsächlich war es ein Test: Allerdings ein gut kalkulierter. Wir wollen das System an die Tische bringen, nicht nur in die Regale der Sammler oder Systemfans. Dazu braucht es Abenteuer. Abenteuer beleben die Welt und machen ein Rollenspiel erst aktiv. Pegasus hat bisher sehr wenige Abenteuer herausgegeben und das wollen wir bei SR5 ändern, denn die Fans haben so etwas schon lange gefordert.

Da diese Art von Publikationen aber immer schlechter verkauft wird als Regel- oder Quellenbücher, wollen wir mit dem Preis und dem Format einen zusätzlichen Anreiz schaffen. Ist natürlich kein innovatives Modell, Softcover-Abenteuer zu Hardcover-Quellenbüchern sieht man bei vielen Systemen. „Tödliche Fragmente“ hat uns gezeigt, dass dieses Modell auch bei „Shadowrun“ gut funktioniert, und daher werden wir es beibehalten. Also: Es war ein Testballon und es sind weitere Publikationen in diesem Format zu erwarten. Vermutlich nicht nur Übersetzungen, sondern auch deutsche Eigenentwicklungen.

RB: Bleiben wir kurz beim Thema „Einstiegsabenteuer“. Auf der Pegasus-Homepage wird auch eine „Shadowrun 5 Einsteigerbox“ angekündigt. Was hat es damit auf sich? Welche Materialien werden sich hier finden?

TH: Die Einsteigerbox hatten wir schon im Auge, seit „Shadowrun 5“ angekündigt wurde. Erst wollten wir auf die amerikanische Version aufbauen – Catalyst hat ja ebenfalls eine „Introductionary Box“ herausgegeben. Leider sind wir mit dem darin enthaltenen Spielmaterial nicht glücklich. Deswegen haben wir die Veröffentlichung verschoben und werden nun aus dem vorhandenen und neu entworfenen Material ein neues Produkt schmieden. Eine Box, die sich wirklich an Anfänger richtet – an Rollenspielnewbies und System-Einsteiger, die von Rollenspiel beziehungsweise „Shadowrun“ keine Ahnung haben. Wir planen noch an der genauen Umsetzung.

RB: Welche Quellen- oder Abenteuerbände sind für die Zukunft im Bereich „Shadowrun“ geplant? Sind auch deutsche Eigenpublikationen im zu erwartenden Portfolio?

TH: Es ist ja mittlerweile gute alte Tradition, dass in den übersetzten Regel- und Quellenbüchern auch deutsche Zusätze enthalten sind. Mit dieser Tradition werden wir bei „Shadowrun 5“ nicht brechen. Genauso wenig damit, dass wir deutsche Ergänzungsbände herausbringen werden. Beides wird es geben.

Die nächsten Bücher werden allerdings erst mal Übersetzungen. „Run&Gun“ (Ausrüstungsbuch für SR5) wird zeitnah zum amerikanischen Band erscheinen. Einen Quellenband mit einem neuen Metaplot-Strang werden wir direkt danach herausbringen. Einige PDFs sind ja schon veröffentlicht, auch da werden wir den Amerikanern folgen: Das „Coyote“ (bei dem es um Grenzüberschreitungen geht) wird im März in den Shop kommen, weitere sind schon in der Planung. So werden wir vermutlich bald nicht nur das „Paracritter-1“-PDF auf SR5 updaten, sondern auch das „Paracritter-2“-PDF übersetzen und direkt für SR5 umschreiben. Ein neuer Straßenkatalog steht auf der Liste (ein limitierter Band mit gesammelten PDFs), mindestens ein Softcover-Abenteuer – und vermutlich kommt zur SPIEL-Messe im Oktober der erste deutsche Band, bei dem wir darauf zielen, für alte Hasen und Neueinsteiger die ADL als Spielplatz für „Shadowrun 5“ aufzuwerten beziehungsweise interessanter zu machen.

RB: Ist es neben neuem Material für das Rollenspiel auch angedacht, neue Romane zu „Shadowrun“ zu veröffentlichen? Ein Wechsel der Edition bietet sich ja vielleicht als guter Zeitpunkt dafür an.

TH: Wenn es um gute Zeitpunkte ginge, wäre jeder nächste Tag der Beste. Die Fans warten auf Romane, sie wollen sie, sie fragen andauernd danach. Wir halten also nichts zurück, um auf einen guten Augenblick zu warten. Derzeit liegt es alleine an Vertragspolitik und Lizenzabsprachen. Und mittlerweile scheue ich mich auch nicht mehr, mit dem Zeigefinger nach Amerika zu zeigen. Pegasus ist bereit. Wir stehen in den Startlöchern. An uns liegt es nicht – aber unsere Lizenzpartner in den USA scheinen es nicht so eilig zu haben.

RB: Die niedrigen Preise der aktuellen „Shadowrun“-Publikationen haben an vielen Stellen zu Verwunderung geführt. Die Frage nach der Profitabilität wurde gestellt – die lässt sich sicher nur über hohe Abverkaufszahlen erreichen. Wenn das Ziel erreicht wird, der Kampfpreis also als Erfolg gewertet wird – ist dann auch bei anderen Spielelinien mit einem Umdenken im Produktportfolio zu rechnen?

TH: Die Profitabilität ist natürlich bei solch einem Preis nur gewährleistet, wenn es viele Verkäufe gibt. Zudem ist das Grundregelwerk jedes Systems immer ein wenig günstiger (im Seitenpreis) als die folgenden Publikationen: Weil man ja erst mal eine Fanbasis schaffen möchte und weil das Regelwerk immer der Band ist, der sich am besten verkauft. Alles andere muss dann auf diesen Zahlen basierend kalkuliert werden. „Shadowrun“ hat den großen Vorteil, dass es über eine sehr breite Fanbasis verfügt. Und hier sei allen Spielern und Spielleitern für ihre Treue am System gedankt – wir hängen selbst ja auch mit dem Herzen an der Sechsten Welt.

Wenn man mich nach dem Kampfpreis fragt, dann sage ich normalerweise immer drei Dinge dazu: Die Qualität des Buches ist nicht schlechter, weil es günstiger ist. Wir wollen niemandem das Geschäft abgraben, sondern einfach nur viele Fans für unser System begeistern. Und natürlich werden die nächsten Bücher im Seitenpreis etwas teurer – wie bei jeder Rollenspiellinie –, auch wenn sie an sich (siehe „Tödliche Fragmente“) relativ günstig bleiben werden. Was mit anderen Produktlinien von Pegasus passiert, dazu kann ich aber leider nichts sagen.

RB: Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben.

TH: Vielen Dank, hat mich auch sehr gefreut.