von Ansgar Imme
Mit dem Ende der legendären „Warhammer“-Kampagne „Der Innere Feind“ kann sich der Verlag Ulisses Spiele vermehrt Quellenbüchern und einzelnen Abenteuerbänden widmen, was mit der Stadtbeschreibung Altdorfs bereits begann. Altgediente Spieler mögen aus den vergangenen Editionen bereits ausreichend Vorkenntnisse haben. Doch Neueinsteiger haben mit Ausnahme des Grundregelwerks und der Einsteigerregion Übersreik sowie den vereinzelten Beschreibungen in Abenteuern noch Nachholbedarf zu Hintergrundinformationen in der „Alten Welt“.
Hier setzen die „Imperialen Archive“ an, von denen es im Original bisher drei Bände gibt, die jetzt nach und nach in der deutschen Übersetzung erscheinen und sich einer bunten Themenvielfalt widmen. Schon in der ersten Edition des „Warhammer“-Rollenspiels gab es übrigens – sogar auf Deutsch – mit „Aus den Archiven des Imperators“ eine Publikation ähnlichen Namens, welche vielleicht als Vorbild diente. Damals war allerdings der Anteil an Regelerweiterungen deutlich höher als die Anzahl an Hintergrundbeschreibungen. Auch wenn der aktuelle Band immer noch vereinzelt Regelelemente enthält, liegt der Schwerpunkt eindeutig auf dem Ausbau des Hintergrundes.
An Autoren hat sich eine bunte Mischung versammelt, darunter auch der in Fankreisen bekannte Alfed Nuñez Jr., der für die alternative Version „Empire in Flames“ des fünften Abenteuers der „Der Innere Feind“-Kampagne der ersten „Warhammer Fantasy“-Edition verantwortlich war.
Zum Inhalt
Wie in allen Bänden der vierten Edition findet sich ein im üblichen Layout ein vollfarbiger Band, der allerdings „nur“ 96 Seiten umfasst. Im Gegensatz zu den Beschreibungen Altdorfs oder Middenheims oder auch den Kompendien der Kampagne erscheint dies fast gering. Dafür hat man sich auch auf nur sechs Themenblöcke konzentriert. Ein „Ingame“-Brief der Schwester des Imperators Karl-Franz leitet als Begrüßung ein und zeigt ihre Aufgabe innerhalb ihres Exils mit der Erfassung von Beschreibungen fremder Völker.
Das erste Kapitel stellt die Kurpfalzen und Provinzen des Imperiums zum Jahre 2512 des Imperialen Kalenders und damit vor Beginn der Ereignisse von „Der Innere Feind“ vor. Hier bekommt man zunächst komprimiert Informationen zum aktuellen Herrscher, der Regierungsform, der Hauptstadt, bekannten Freistädten sowie Hauptexporten der Region. Danach folgt eine Beschreibung der geographischen Begebenheiten der Provinz gefolgt von Wissenswerten zum Aussehen und Auftreten der jeweiligen Bewohner als auch regionaler Traditionen sowie eines bekannten Ortes der Provinz.
Der zweite Abschnitt widmet sich den kleinsten Bewohnern des Imperiums – den Halblingen. Neben allgemeinen Hinweisen zu allen Halblingen und ihrem Auftreten gegenüber anderen Völkern wird dann genauer auf die Klans speziell des Reiklands eingegangen. Man lernt die zwölf häufigsten Klans mit ihren Eigenarten, vorkommenden Berufen und den Orten, wo man sie besonders oft antrifft, kennen und wie sie sich zu den anderen Klans unterscheiden. Für die meisten Klans wird zudem ein prägnanter Nichtspielercharakter geboten, der schnell im Spiel genutzt werden kann.
Nachdem man als Leser nun bereits das Volk kennengelernt hat, schließt sich im dritten Block eine Rundreise durch das Mootland an, die Heimat aller Halblinge. Neben einem ausführlicheren Geschichtsabschnitt bekommt man einen Überblick über die Landschaft, Politik und Regierung, Klans des Mootlandes und die Gesetzgebung der Halblinge. Auch wird die Frage beantwortet, warum man überhaupt das Mootland besuchen sollte. Die bekanntesten Orte wie etwa die Avermark, Eichenschatten oder Sauerapfel werden mit ihren geographischen, aber auch gesellschaftlichen Besonderheiten und Unterschieden zueinander beschrieben. Abgeschlossen wird das Kapitel mit Bedrohungen, die dem Mootland von außen drohen.
Im vierten Kapitel bekommt man einen Überblick über die imperialen Zwerge und ihre Unterschiede zu ihren Brüdern und Schwestern aus den Karaks, den Bewohnern der Berge und Bingen. Vor allem ihre Geschichte und ihr Leben unter den Menschen wie auch die Struktur ihrer Klans und Familien steht dabei im Vordergrund. Aber auch der Aufbau von Zwergensiedlungen als imperiale Gemeinden und Wehrdörfer wird skizziert und der Unterschied zu menschlichen Siedlungen deutlich (Tavernen und Brauereien haben etwa eine noch höhere Bedeutung als bei den Menschen).
Als Gegensatz dazu findet sich als fünfter Teil ein Reiseführer zum zwergischen Karak Azgaraz, einer Wehrstadt der Zwerge. Neben dem üblichen geschichtlichen Abriss werden die Verbindungen zum Reikland sowie zu Bretonia dargestellt. Der Schwerpunkt liegt aber auf der heutigen Zeit: mit der Vorstellung der wichtigsten zwergischen Ansprechpartner der Stadt sowie der Beschreibung der Wehrstadt selbst. Hier wird sowohl auf mögliche Zugangswege als auch auf den Aufbau der Stadt über verschiedene Ebenen und ihre wichtigsten Gebäude eingegangen. Ebenso findet sich für das oberirdische Königreich eine Darstellung wichtiger Orte sowie Bedrohungen von außen.
Abgeschlossen wird das erste „Imperiale Archiv“ mit dem Elfenkönigreich im Wald von Laurelorn. Der Geschichtsabriss leitet einen Überblick über Kultur, Gesellschaft und Regierung der Elfen im Laurelorn ein. Im sich anschließenden Reiseführer wird auf aktuelle Ereignisse in den Wäldern, aber auch auf ganz besondere Orte wie den Wunschwald oder die Regenbogenfälle eingegangen. Neben dem Zentrum, wo die Königin herrscht, gibt es drei äußere Bereiche, die sogenannten Höfe und ehemalige Fürstentümer des Königreichs. Diese Gegenden mit eigenen Herrschern übernehmen ganz unterschiedliche Aufgaben in den Wäldern und ihren Regionen.
Der Anhang schließt den Band mit neuen Karrieren, speziellen Waffen der drei Völker sowie einem kurzen Index ab.
Bewertung
Der erste Band zu den „Imperialen Archiven“ legt eine bunte Sammlung an Texten vor, die vor allem für Spielleiter mit Interesse an den nichtmenschlichen Völkern geeignet sind. Mit neuen Schauplätzen, der Vorstellung von NSC samt Werten und etlichen Abenteuerideen wird der Spielleiter mit einigem Material gefüttert, das er für neue Abenteuer abseits bisher bekannter Schauplätze nutzen kann.
Wer eine Konzentration auf ein bestimmtes Thema, eine Region oder Kulturbeschreibung erwartet, wird aber enttäuscht. Ähnlich der Kompendien zu der „Der Innere Feind“-Kampagne werden hier verschiedenste Bereiche abgedeckt. Man kann da eher von Schlaglichtern sprechen, die allgemeine Texte und erste Hintergrundinformationen bieten. Dies bietet für erfahrene Spielleiter oder solche mit Drang zu eigener Ausgestaltung den Vorteil, dass nur Rahmen gesetzt werden, die man selbst viel genauer ausarbeiten kann. Wer hingegen schnell spielbares Material sucht, wird mit dem Band größtenteils weniger glücklich. Dafür fehlt eben die schnelle Umsetzbarkeit am Spieltisch mit Ausnahme weniger Texte wie den Unterschieden der Halblingsklans im Auftreten gegenüber anderen Personen oder den enthaltenen NSC. Wie schon in vorherigen Bänden kann man allerdings hinterfragen, ob die ausufernden Werteblöcke notwendig sind, denn erfahrungsgemäß werden im Spiel davon nur wenige benötigt.
Wer sich dem Inhalt etwas tiefer widmet und bereit ist, sich selbst ein paar weiterführende Gedanken zu machen, findet durchaus eine kleine Fundgrube an Ideen. Die Beschreibung der imperialen Provinzen erweitert die Hintergrundinformationen und erlaubt, sowohl Personen aus den jeweiligen Regionen besser darzustellen als auch im Rollenspiel alltägliche Informationen weiterzugeben und somit das Flair von Szenen zu steigern. Für Spieler aus den Provinzen ergibt sich dazu ein Fundus für den Hintergrund der Figur. Ebenso enthalten die Beschreibungen, vor allem zu den bedeutenden Orten, meist selbst schon erste Hinweise zu Mysterien, die als Basis für ein Abenteuer dienen können.
Die Abschnitte zu den Halblingsklans und den imperialen Zwergen können vor allem die Darstellung im Rollenspiel erweitern und die Unterschiede der Klans untereinander verdeutlichen, sodass eine Begegnung mit Halblingen oder Zwergen nicht immer auf denselben Vorurteilen beruhen muss, sondern ganz unterschiedliche Ausgänge haben kann. Wer genau liest und will, findet selbst hier auch schon Potenzial für Geschichten, in die die Spieler verwickelt werden können – und wenn es nur kleinere Begegnungen nebenbei sind.
Die drei größeren Schaulätze Mootland, das zwergische Karak Azgaraz und der elfische Wald Laurelorn sind dann am ehesten abenteuertauglich. Sie bieten eben eine feste Szenerie mit Personen, Konflikten und Ortsbeschreibung (mit Kartenausschnitten versehen), egal ob man als Eindringling, Bündnispartner oder sogar Gefangener eintrifft. Eine Verwicklung in die örtlichen Problematiken bietet sich an und kann von einem kurzen Abenteuerszenario bis zu einer längeren Kampagne gehen. Speziell letztere erfordert dann aber etlichen Eigenaufwand, da die Texte nur rudimentär einen Rahmen und Inhalte vorgeben.
Durchgehend alle sechs Kapitel werden mit Abenteuerideen versehen. Neben den Texten selbst, die gerne Geheimnisse anreißen oder Mysterien erwähnen, finden sich – wie schon aus den Stadtbänden zu Middenheim und Altdorf bekannt – eingeschobene Textblöcke, die kleinere Szenarien vorschlagen. Natürlich ist nicht jedes davon immer von höchster Qualität, aber dies kann man auch nicht durchgehend erwarten.
Fazit: Der Nutzen des ersten „Imperialen Archivs“ hängt noch mehr als sonst auch mit der eigenen Erwartungshaltung zusammen. Passt einem die Konzentration auf die nichtmenschlichen Völker? Und kann man mit den allgemeinen Beschreibungen umgehen und diese selbst für Abenteuer erweitern? Wer schnell spielbares Material erwartet, sollte lieber die Hände vom Band lassen und eher zu einem der Abenteuerbände greifen. Wer ein wenig abseits der bisher bekannten Veröffentlichungen unterwegs sein möchte (und die bisherigen Editionen nicht kennt), kann hier gut zugreifen, vor allem wenn man selbst bereit ist, die Inhalte mit eigenem Leben zu erweitern.
Imperiales Archiv I
Quellenband
Steve Dee, Jude Hornborg, Andrew Lesk u. a.
Ulisses Spiele 2025
ISBN: 978-3-96331-902-0
96 S., Hardcover, deutsch
Preis: 29,95 EUR
bei amazon.de bestellen
