Im Wandel der Zeiten

Wer kennt nicht den Computerspielerklassiker „Sid Meier’s Civilization“? Nach dem gescheiterten Versuch, mit „Civilization – The Boardgame“ das Spiel als Brettspiel umzusetzen, gelang Vlaada Chvátil mit „Through the Ages“ die inoffizielle, aber hochgelobte Umsetzung. Inzwischen liegt die deutsche Übersetzung vor: „Im Wandel der Zeiten“!

von Kai Milke

 

Vor uns liegt das Übersichtstableau unserer namenlosen Zivilisation, das unsere Starttechnologien aufzeigt. Zwei gelbe Arbeiter repräsentieren zwei Farmen, wir besitzen zwei Minen und ein Labor. Ein mickriger gelber Stein sorgt als Krieger für die schwache Verteidigung unseres Reiches.

Im Zeitalter der Antike verweilen wir nur eine Runde. Wir nehmen uns nützliche Zivilkarten aus der Auslage, produzieren Rohstoffe, Nahrung und Wissenspunkte. Später produzieren wir auch Kulturpunkte, die die wesentliche Siegbedingung darstellen. Im Augenblick haben wir aber eher eine „Subkultur“…

Unter den Zivilkarten finden wir Anführer, Wunder, Aktionskarten und neue Technologien. Wunder werden wir über mehrere Runden fertigbauen, um uns dann am Vorteil, etwa einer zusätzlichen Zivilaktion oder eines Verteidigungsbonus zu erfreuen. Aktionskarten bringen uns in einer der folgenden Runden einmalig Vorteile. Neue Technologien dürfen wir ausspielen, wenn wir die entsprechenden Wissenspunkte bezahlen können.

Nachdem jeder Spieler an der Reihe war, beginnt das erste Zeitalter. Jetzt vervielfachen sich unsere Möglichkeiten und – soviel Kritik sei vorweggenommen – damit vervielfacht sich auch die Wartezeit, bis sich auch der letzte Grübler am Tisch entschieden hat, was er tun möchte.

Zuerst dürfen wir eine politische Aktion spielen. Das sind Militärkarten, die in Form von Ereignissen oder „Neuen Territorien“ als „zukünftige Ereignisse“ ausgespielt werden. Dafür ziehen wir eine Ereigniskarte aus den „gegenwärtigen Ereignissen“. Später werden die zukünftigen Ereignisse zu den gegenwärtigen Ereignissen. So erfordert das Spiel schon jetzt ein wenig Vorplanung, welche Ereignisse sich denn später günstig für mich auswirken. Werden „Neue Territorien“ aufgedeckt, bieten alle Spieler militärische Stärkepunkte. Um die Stärke zu erhöhen, darf man auch militärische Einheiten opfern oder Bonuskarten nutzen. Politische Aktionen können aber auch zu einer „Aggression“ gegen einen Mitspieler führen (einfach so angreifen darf man nicht). Auch hier vergleichen wir die militärische Stärke, addieren Bonuskarten und opfern Einheiten, um die Auswirkungen der verschiedenen Aggressionen zu verhindern.

Je nach meiner Regierungsform habe ich unterschiedlich viele Zivil- und Militäraktionen. Mit meinen Zivilaktionen kann ich mir neue Karten kaufen, Karten ausspielen, Bevölkerung vermehren, Farmen, Minen und städtische Gebäude bauen oder Technologien erforschen. Sofern ich nicht schon Militäraktionen für eine Aggression geopfert habe, kann ich mit den Militäraktionen Einwohner zu Militäreinheiten machen, Einheiten verbessern, Taktikkarten ausspielen oder neue Militärkarten ziehen.

Zum Schluss meines Zuges produziere ich endlich Kultur- und Wissenspunkte, Nahrung und Rohstoffe. Nahrung und Rohstoffe werden aus meinem Vorrat an blauen Spielsteinen gespeist. Je nachdem, wie viele meiner Steine schon im Spiel sind, verliere ich bis zu sechs Rohstoffe durch Korruption. Das führt dazu, dass ich einerseits nicht viel Nahrung und Rohstoffe horten kann, andererseits aber meine Minen und Farmen durch Technologien upgraden sollte, damit ein blauer Stein beispielsweise nicht 1 Rohstoff, sondern 2 Rohstoffe wert ist.

Ähnlich raffiniert ist der Nachschub an Arbeitern geregelt. Während ich anfangs keine zusätzliche Nahrung zahlen muss, da sich meine Arbeiter selbst versorgen, kostet mich der Unterhalt einer bevölkerungsreichen Zivilisation später Nahrung. Zeitgleich brauche ich aber auch noch Tempel oder Theater, um meine Arbeiter glücklich zu halten, um nicht einen Aufstand zu riskieren.

Nach Ende eines Zeitalters muss ich meine Handkarten, Anführer und nicht vollendete Wunder aus dem vorhergehenden Zeitalter abwerfen. Dann beginnt nahtlos das nächste Zeitalter. Je nach Spielart endet das Spiel nach dem 1., 2. oder 3. Zeitalter, sobald die letzte Zivilkarte dieser Epoche in die Auslage gelegt wurde. Die laufende Runde wird dann noch zu Ende gespielt. Nach einer Schlusswertung mit bestimmten Boni auf verschiedene Bereiche, etwa Stärke, Wissenschaft oder Kulturzuwachs pro Runde, gewinnt der Spieler mit den meisten Kulturpunkten.

Die Grafik des Spiels gestaltet sich nicht so „retro“, wie vielleicht bei „Pandemie“, richtig schön kann man sie aber auch nicht bezeichnen. Einmal mehr möchte ich an dieser Stelle gegen die Farbe lila protestieren: Lila ist was für den „Weltfrauentag“, aber nicht für ein Spiel, das sich an männliche Vielspieler richtet!

Die kleinen Steine für Arbeiter, Aktionen und Rohstoffe sind nichts für Wurstfinger, und viele von ihnen haben die Produktion nicht ohne Schaden überstanden. Es sollen wohl Achtecke sein… Mir persönlich ist der Hauptspielplan, der die Punkte in den einzelnen Kategorien anzeigt und die Kartenablage darstellt, etwas zu groß geraten. Die zwei Leisten für den Kultur- und Wisssenszuwachs pro Runde haben wir nie wirklich gebraucht, meistens hatten wir auch vergessen sie aktuell zu halten.

Die Spielanleitung will keine Fragen offen lassen und ist sehr ausführlich, gar ein wenig weitschweifig. Viele Dinge wiederholen sich und hätten nicht bei jeder Aktion erneut beschrieben werden müssen. Wer verstanden hat, wie man Farmen baut, versteht auch, was passiert, wenn man einen Arbeiter auf einen Tempel setzt. (Ja, richtig: Man baut einen Tempel.) Einige Formulierungen sind auch ziemlich umständlich: Wenn am Ende des Spiels noch bis zum Spieler „rechts vom Startspieler“ gespielt wird, versteht der Vielspieler, an den sich dieses Spiel ja richtet, das die angefangene Runde noch zu Ende gespielt wird. So einfach kann deutsche Sprache sein! Um das Prinzip der „unglücklichen Arbeiter“ zu verstehen, gebe ich zu, drei Anläufe benötigt zu haben.

Die Regel teilt sich in eine Anfänger-, Fortgeschrittenen- und Expertenregel. Neben der Komplexität unterscheiden sie sich vor allem in der Länge, da im Anfängerspiel nur bis zum ersten Zeitalter gespielt wird, während das Expertenspiel bis in die 3. Epoche – die Neuzeit – reicht. Vielspieler können jedoch getrost auch mit dem Expertenspiel anfangen, da trotz der aufgeblähten Anleitung die Grundregeln einfach sind. In einer unserer Runden hatte die Hälfte der Spieler „Im Wandel der Zeiten“ noch nicht gespielt, konnte die Fortgeschrittenenregeln aber sofort verstehen und einer gewann sogar das Spiel. Nichtsdestotrotz muss man „Im Wandel der Zeiten“ mehrfach gespielt haben, um die Möglichkeiten des Spiels und seiner Karten zu begreifen. Vermisst habe ich in der Anleitung eine Kartenübersicht, denn nicht immer sind die Kartentexte selbsterklärend und eindeutig.

„Im Wandel der Zeiten“ ist ab dem Forgeschrittenenspiel abendfüllend. Der Titel „Im Wandel der Zeiten“ könnte sich dabei auch auf die Verwandlung der Mitspieler im zeitlichen Verlauf des langen Spieleabends beziehen. Je nach Anzahl der Grübler am Tisch dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis man wieder am Zug ist, vor allem wenn man fiebert, welche Karte einem die Mitspieler vielleicht wegschnappen und man begierig ist, den eigenen Plan in die Tat umzusetzen.

Nach dem Lesen der Spielanleitung glaubt man, dass die militärische Stärke weniger wichtig sei, als andere Bereiche. Nach unseren Testspielen stimmt das nur in der Einsteigerfassung. Sobald man mit dem Gewinn neuer Territorien zusätzliche Arbeiter, Rohstoffe oder Stärkepunkt bekommen will, oder im Expertenspiel Krieg dazu kommt, ist Stärke der einzige Weg dazu. Auch die Aggressionskarten richten sich meistens gegen den schwächsten Spieler, denn ein Kampf gegen einen gleich starken Gegner, der allzu große Opfer fordert, lohnt nicht.

Viele Ereignisse bestrafen zudem den Spieler mit den unglücklichsten Arbeitern oder mit der niedrigsten militärischen Macht. Zum Ende hin klafften zwischen dem Spitzenduo und den Nachzüglern mehr als 20 Punkte, die auch durch die Schlusswertung und Bonuspunkten in den nicht-militärischen Bereichen nicht mehr aufgehoben werden konnten. Vielleicht hatten die Nachzügler aber auch nur die falsche Taktik? Wenn man erstmal den Anschluss an die Spitzengruppe verloren hat, geht es nur noch um Ergebniskosmetik.

Fazit: Bei aller Kritik ist „Im Wandel der Zeiten“ genauso suchterzeugend wie seine inoffizielle Computerspielvorlage. Ich brenne schon darauf, beim nächsten Mal meine Fehler zu vermeiden und Rache an den fremden Zivilisationen zu üben. „Im Wandel der Zeiten“ ist ein Spiel mit letztlich relativ einfachen Regeln, hinter denen aber hochkomplexe Zusammenhänge stehen. Insofern ist der Vorschlag der Regel, zunächst ein paar Einsteigerrunden zu spielen, nicht unsinnig. Aber mit den Einstiegsregeln lernt man nur einen Bruchteil der Möglichkeiten kennen.


Im Wandel der Zeiten
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler
Vlaada Chvátil (Design), Richard Cortes, Paul Niemeyer (Illustrationen)
Pegasus 2009
ISBN: n. a.
Sprache: Deutsch
Preis: ca. EUR 39,95

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