Helden einer Saga

Eine Saga ist eine epische Erzählung (aus Island) der Taten großer Helden mit einmaliger Wucht und Darstellungskraft. Das Rollenspiel hat sich von jeher bemüht, dieses besondere Flair einzufangen, und mit „Helden einer Saga“ sollen die Spieler Teil einer Saga in der Welt des „Schwarzens Auges“ werden...

von Morgath

 

Wer die goldenen Zeitalter des Rollenspiels miterlebt hat, der wird sich vielleicht noch daran erinnern, dass im Jahre 1993 in der Zeitschrift „Fantasy-Welt“ in den Ausgaben 37 und 38 ein Abenteuer mit gleichem Namen erschienen ist. Das Universal-Abenteuer entführte die Helden in den rauen Norden einer Wikingerwelt, wo sie sich auf der Suche nach einem magischen Schwert machten.

Tatsächlich handelt es sich bei dem vorliegenden Abenteuer um eine Adaption der damaligen Geschichte – verlegt nach Aventurien. Keine leichte Aufgabe, denn im Original tauchen zahlreiche Wesen und Gottheiten auf, die der „DSA“-Welt fremd sind. So liegt dem Götter-Pantheon des Originals beispielsweise die germanische Mythologie aus der Edda zugrunde, welche mit „DSA“ nicht ohne weiteres kompatibel ist. Doch mit Ragnar Schwefel hat sich ein Veteran des Rollenspiels dieser Aufgabe angenommen, und man durfte gespannt sein, wie ihm die Umsetzung gelungen ist.

Das Abenteuer

Die Helden sind während der Sonnenwende zu Gast in Uddahjal, einem thorwalischen Städtchen und zugleich der Heimat von Marada Gerasdottir, der Widersacherin der Obersten Hetfrau Jurga Trondesdottir. Hier stoßen sie durch Zufall auf eine Quelle, die vom legendären Schwert „Tyrfing“ berichtet. Das Schwert ist eine mächtige Waffe, deren Existenz in Frage stand. Bisher wurde angenommen, dass es sich dabei nur um eine Legende handele, doch der Fund der Helden deutet darauf hin, dass das Schwert tatsächlich existiert hat und möglicherweise auch heute noch existiert.

Im Folgenden machen sich die Helden auf die schwierige Suche nach diesem Schwert und müssen dabei so manches Hindernis überwinden bis sie das Schwert endlich in Händen halten können. Sie müssen gefährliche Seereisen machen und dabei Stürme, Gewitter und andere Naturkräfte überstehen. Sie müssen sich Hexen, Trollen und Drachen stellen. Sie müssen mit diversen Flüchen und gar mit dem Zorn der Götter fertigwerden. Sie müssen harte Kämpfe überstehen und schwierige Rätsel lösen. Und letztlich müssen sie achtgeben, nicht selbst durch das Schwert zu fallen. Die Handlung spielt dabei in einer atmosphärisch dichten Hintergrundwelt, die von nordischer Mythologie und Aberglauben durchwoben ist.

Die Umsetzung – aus alt wird neu

Der Band ist 64 Seiten dick und damit etwas umfangreicher als das Original. Ein erstes Durchblättern zeigt viel Vertrautes, denn der Aufbau des Abenteuers sowie die meisten Überschriften sind identisch. Neu ist hingegen der Text, obwohl man deutlich merkt, dass sich der Autor an dem Original orientiert hat. Die Neufassung war aber auch nötig, weil der Autor zahlreiche Kleinigkeiten verändert, weggelassen oder ergänzt hat, um das Abenteuer besser in Aventurien einzubetten. Eine Sisyphosarbeit zwar, aber eine, die sich gelohnt hat, denn dadurch gewinnt das Abenteuer an aventurischer Authentizität. Dabei sind gleichzeitig zahlreiche Hinweise auf die Spielhilfe „Unter dem Westwind“ eingearbeitet worden, in der die Kultur der Thorwaler (die Wikinger von „DSA“) ausführlich dargestellt wird. Das Quellenbuch ist zwar nicht zwingend erforderlich, aber auf jeden Fall eine empfehlenswerte Ergänzung.

Inhaltlich hat der Autor das Abenteuer an die aventurischen Gegebenheiten angepasst, den roten Faden aber streng beibehalten. Die Szenerie wurde an den Rand der Grauen Berge verlagert. Für die irdischen Gottheiten und Zauberwesen ist passender aventurischen Ersatz gefunden worden. Geschichtlich wurde das Abenteuer in den Streit der Hetfrauen Marada und Jurga eingebettet. Zwar musste auch die eine oder andere Szene verändert werden, um besser in die Welt von „DSA“ zu passen, jedoch wird dadurch der Charakter des Abenteuers in keiner Weise verändert, sodass das Abenteuer in sich stimmig und sein Reiz erhalten geblieben sind.

Immer wieder humorvoll sind aber die Szenen, in denen Wale durch Haie ersetzt werden müssen (einer der thorwalschen Hauptgötter ist nämlich ein Gottwal, weswegen Wale von Thorwalern nicht gejagt werden dürfen – Unvergessen ist hier die Moby-Dick-Umsetzung in dem Abenteuer „Auf der Spur des Wolfes“, in dem der weiße Wal zum weißen Hai wurde...). Wikinger waren aber bekanntlich Waljäger und daher hatte der ursprüngliche Autor Reiner Kriegler die Meeresriesen auch in einigen Szenen eingebaut, welche nun wieder „entblasphemisiert“ werden mussten.

Nebenbei sei noch erwähnt, dass manche Situationen, die im Original nur mit Gewalt zu lösen waren, nun auch auf friedliche Art und Weise gelöst werden können. Auch wenn in einer nordischen Umwelt Gewalt prinzipiell eine akzeptable Lösung ist, sind die hier beinhalteten Vorschläge nicht gekünstelt, sondern in sich logisch und können das Abenteuer sogar durch neue Wendungen ungemein bereichern.

Neu sind auch die stimmungsvollen Bilder und die schönen Karten. Bei letzteren habe ich allerdings einige vermisst, denn das Original war diesbezüglich deutlich großzügiger und stellte auch für einige Orte Karten zur Verfügung, die nicht spielrelevant waren.

Insgesamt ist die Umsetzung gut gelungen und aufgrund der zahlreichen Anpassungen auch für Besitzer des Originals interessant, die das Abenteuer ebenfalls in Aventurien leiten wollen, aber die Mühen für eine eigene Umsetzung scheuen.

Gesamteindruck

„Helden einer Saga“ ist meiner Meinung nach das beste Abenteuer, das jemals in der „Fantasy-Welt“ erschienen ist. Es ist überhaupt eines der besten Abenteuer, das jemals in einer Rollenspielzeitschrift veröffentlicht worden ist. Es ist daher gut nachvollziehbar, dass die „DSA“-Reaktion gerade dieses Abenteuer aus den Archiven geholt hat.

Das Abenteuer hat trotz oder gerade wegen seines Alters nichts an Reiz verloren. Es entführt die Spieler in atmosphärisch dichte Wikingerwelt und konfrontiert sie mit einer packenden Handlung von epischem Ausmaß.

Das Schöne (und bisher in der Rollenspielwelt nahezu Einzigartige) an diesem Abenteuer ist aber die Art und Weise wie die Taten die Helden „veredelt“ werden. Zu jeder Szene in dem Abenteuer finden sich stimmungsvolle Verse, in denen die Taten der Helden besungen werden. Wer es hier versteht, die Verse leicht abzuändern und die Namen seiner Spieler oder einzelne Taten von ihnen zu integrieren, kann hier wirklich dafür sorgen, dass die Spieler beziehungsweise die Helden Teil einer Saga werden, die sie niemals vergessen werden.

Trotz der guten Umsetzung in die Welt des „Schwarzen Auges“ vermittelt das Abenteuer aber ein „DSA“ untypisches Flair. Das liegt vor allem daran, dass in diesem Abenteuer die Götter sehr präsent sind und aktiv in die Handlungen der Menschen eingreifen. Dies war bisher bei „DSA“ selten bis gar nicht der Fall. Das ist allerdings kein Kritikpunkt am Abenteuer, sondern lediglich eine Geschmacksfrage.

Wer das Abenteuer schon einmal geleitet hat, dem werden zudem einige am Spieltisch nur schwer umsetzbare Szenen nicht entgangen sein. Das liegt daran, dass manche Ereignisse einfach fest vorgeschrieben sind und zu geschehen haben. Selbst wenn die Helden damit rechnen und alles tun, um das zu verhindern, wollen es die Autoren anders. Wer sich hier starr an die Vorgaben des Abenteuers hält, wird Frust bei den Spielern hervorrufen. Flexibilität und Fingerspitzengefühl ist daher eine wichtige Eigenschaft für jeden, der dieses Abenteuer leiten möchte.

Überhaupt fällt das Abenteuer durch eine ungewöhnliche Mischung aus großen Freiräumen und engen Vorgaben auf. Da sich die Abenteuerhandlung über mehrere Wochen hinweg zieht, sind dem Spielleiter genügen Möglichkeiten geboten, um das Abenteuer mit eigenen Ideen auszubauen und gar eine große Thorwaler-Kampagne daraus zu machen. Auf der anderen Seite sind viele Ereignisse nicht von den Helden beeinflussbar und müssen schlicht hingenommen werden (die Autoren beschönigen das mit den Worten „Fügung des Schicksals“ – „fortuna volat“). Daher kann das Abenteuer phasenweise nicht gespielt, sondern nur „erlebt“ werden.

Trotz letzteren Kritikpunkten ist „Helden einer Saga“ ein schönes Abenteuer, das das nordische Flair so gut wie kein anderes einfängt und rüberbringt. Ein Klassiker, der in den Händen eines fähigen Spielleiters und der richtigen Spielergruppe zu einer echten Perle werden kann.

Fazit: Eine edle Queste, anspruchsvolle Aufgaben, ein dichter Hintergrund – dies ist der Stoff, aus dem Sagen und Legenden gewoben sind. „Helden eines Saga“ (egal ob im Original oder in der vorliegenden „DSA“-Version) ist ein Klassiker, den jeder Fantasy-Rollenspieler einmal gespielt (oder geleitet) haben sollte. Wegen des „DSA“-untypischen Flairs ist das Abenteuer auch für jedes andere Fantasy-Rollenspiel empfehlenswert. Wer die alten Ausgaben der „Fantasy-Welt“ nicht hat, sollte ebenfalls zugreifen. Insgesamt: absolut spielenswert!!


Helden einer Saga (DSA-Abenteuer Nr. 157)
Abenteuer
Ragnar Schwefel, Reiner Kriegler
Ulisses 2008
ISBN: 978-3-940424-42-6
64 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 11,00

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