von Jorge C. Kafka
„... So wie Takeshi Kovacs, ehemaliger Privatdetektiv, der als Söldner einer Elite-Einheit in seine Heimat zurückkehrt: Harlans Welt, ein Planet, auf dem ein brutaler Bürgerkrieg tobt. Bald gerät Kovacs zwischen alle Fronten – und muss herausfinden, dass sich seine Gegner einen perfiden Plan haben einfallen lassen: Sie haben sein Bewusstsein kopiert, in einen zweiten Körper gesleevt und diesen auf ihn angesetzt. Kovacs steht nun also einem jüngeren Selbst gegenüber, das seine geheimsten Gedanken kennt und auf Rache aus ist…“ (Klappentext)
„Zieh das neue Fleisch an wie geborgte Handschuhe und verbrenn dir abermals die Finger.“
– Graffiti in Bay City auf einer Bank vor der Haupteinlagerungsstrafanstalt
Takeshi Kovacs ist zuhause. Seine Heimat Harlans Welt hat ihn wieder. Der überwiegend mit wilden Meeren bedeckte Planet wartet nicht nur an und unter seiner Oberfläche mit Stürmen und anderen Gefahren auf; in seinem Orbit droht ein Jahrtausende altes Damokleschwert: Funktionsfähige und schier unangreifbare Orbitalstationen der Marsianer genannten, unbekannten Alienrasse (siehe „Gefallene Engel“ von Richard Morgan) vernichten unerbittlich jegliches Flugobjekt höher entwickelter Technologie, das eine bestimmte Distanz zur Planetenoberfläche erreicht hat.
Kovacs schließt sich einem DeCom-Team (von englisch „to decommission“ = stilllegen, außer Betrieb setzen) an, das seine geliebte Sylvie Oshima als Kommandantin führt. Gemeinsam gehen sie auf dem Kontinent New Hokkaido auf die Jagd nach intelligenten Militärmaschinen, die von einer einst gescheiterten Revolution auf der Planetenoberfläche zurückgeblieben sind. Sylvie wird bei einem der Einsätze nicht nur körperlich verletzt, sondern auch ihr kortikaler Stack wird beschädigt und von Viren befallen. Zwar gelingt es, Sylvies Leben zu retten, doch leidet sie von nun an unter einer Persönlichkeitsspaltung: Ihre zweite Identität erinnert sich an Details aus dem Leben der Revolutionsführerin Quellcrist Falconer und an Geheimnisse des ersten niedergeschlagenen Aufstandes. Die noch lebenden Revoluzzer (Quellisten genannt) glauben, in Sylvie ihre wiedergeborene Anführerin zu erkennen, und wollen mit ihrer Hilfe die über den Planeten herrschende Harlan-Familie stürzen.
Als hätte Kovacs nicht schon genug Ärger am Hacken und Probleme mit neuen alten Persönlichkeiten, setzt die Harlan-Familie ein illegal gespeichertes und jüngeres Ich von Takeshi Kovacs auf die Gruppe um Sylvie/Quellcrist und den älteren und reiferen Kovacs 1 an. Der junge Envoy – noch Mitglied der Euphemismus-Armee, dem Envoy Corps – ist ein Über-Soldat des UN Protektorates, der nun in einen technisch weit überlegenen Sleeve dekantiert wurde. Kovacs 2 ist aber nicht hinter seinem gealterten Ich her, doch Kovacs 1 nimmt es diesmal sehr persönlich…
Richard Morgans Roman hat alles, was auch die beiden Vorgängerromane auszeichnet: bomastische Blockbuster-Action, lakonische Einzeiler und einen sich rasant und kurvenreich entwickelnden Plot. Sex und Gewalt dominieren dieses Mal kaum die Handlung, dafür erfährt der Leser endlich mehr über die Quellisten, ihre Anführerin und den Quellismus selbst. Auch Harlans Welt breitet sich vor einem aus, als hätte der Autor Morgan sie mehr als einmal besucht.
Der Hauptprotagonist Kovacs macht in „Heiliger Zorn“ seine bisher größte Entwicklung durch und der Leser ist immer auf Tuchfühlung mit ihm – man fühlt sich gar enger mit ihm verbunden, als in den beiden vorherigen Romanen.
Leider vernachlässigt Morgan sein viel versprechendes Science-Fiction-Konzept der ersten Romane ein wenig. Der Quellismus als radikale Ideologie folgt zwar einem faszinierenden Ansatz, aber er mündet leider in eine zu altbackene und zahnlose Philosophie, die vielleicht die Sturm-und-Drang-Phase Pubertierender befeuern, aber einem erfahrenen SF-Leser nichts bieten kann. Damit nicht genug, Morgan verstrickt sich immer mal wieder in mehr oder weniger auffälligen Ungereimtheiten. Seine Idee des Sleeving und die damit verbundenen elementaren Einflüsse auf das menschliche Dasein verfolgt Morgan diesmal viel zu oberflächlich. Besonders gut jedoch gelingt es Morgan, seinen Charakteren individuelles Leben einzuhauchen, egal, ob es sich um Kovacs’ frühere Mentorin Virginia Vidaura handelt oder um die Mitglieder des DeCom-Teams. Die persönliche Geschichte jeder Figur vibriert sanft im Hintergrund und ist auf jeder Seite des Romans spürbar.
Vielleicht ist die Kritik an Morgan auch unberechtigt. Vielleicht folgt der Autor stärker den Regeln eines Noir Thriller, als denen eines SF-Romans. Dort zählt auch weniger die Handlung und ihre innere Logik als vielmehr die Charakterisierung ihres Antihelden und seine kleinen Erfolge gegen die äußere und seine innere Korruption. Die hoch entwickelte Technologie, die Vielzahl an verschiedenen Planeten und selbst die Aliens (Marsianer) sind vielleicht eher metaphorischer Natur denn Science Fiction. Sicher ist nur eines: Mit dem Resleeving beginnt die Chose von vorn – Philip Marlowe und Takeshi Kovacs verbrennen sich wieder und wieder ihre Finger, im Grunde ihres Herzens sie sind eben beide Romantiker.
Fazit: „Heiliger Zorn“ ist für den die Leser, die bereits die beiden Vorgänger-Romane gelesen haben, ein unbedingtes Muss. Die knapp 10,- Euro für beinahe 700 Seiten sind eine lohnenswerte Investition. Diejenigen Leser, die mit diesem Roman in Morgans Kovacs-Universum einsteigen, werden große Schwierigkeiten haben – ihnen sei unbedingt die Lektüre wenigstens des ersten Bandes empfohlen. Die antiheroische Hauptfigur Takeshi Kovacs, zynisch, verbittert und in die innere Isolation gegangen, begegnet den „Woken Furies“ (Originaltitel des Romans) mit dem alten Quellisten-Motto: „Nehmt es persönlich…“ Und trotzdem ist Richard Morgans dritter Kovacs-Roman der optimistischste aus der Reihe. Und hoffentlich nicht der letzte, denn auch seine Leser nehmen es persönlich…
Heiliger Zorn
Science-Fiction-Roman
Richard Morgan
Heyne 2006
ISBN: 3-453-52130-7
688 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 9,95
bei amazon.de bestellen
