von Oliver Adam
„Halloween“ erscheint als 64-seitiges Softcover, und wie von dieser Reihe gewohnt, ist die Aufmachung und Gestaltung des Bandes sehr ansprechend und reiht sich nahtlos in das hohe Niveau der „Cthulhu“-Publikationen ein. Das schaurige Cover ist sehr stimmig und greift die Thematik Halloween gekonnt auf. Die Ausstattung ist also schon einmal überzeugend. Getreu des Mottos der „Schaurigen Nacht“ werden in dieser Sammlung drei Abenteuer veröffentlicht, die diesen Volksbrauch als Kernthema oder zumindest Spielhintergrund haben. Dabei handelt es sich um Übersetzungen älterer Chaosium-Abenteuer.
Bevor wir zum Inhalt kommen, an dieser Stelle noch ein Hinweis auf mögliche Spoiler in den folgenden Absätzen, da ich auf wesentliche Handlungselemente der Abenteuer eingehen werde. Wer sich vor Spoilern schützen möchte, ist eingeladen, gleich zum Fazit zu springen.
Der grausige Reigen beginnt mit „Halloween in Dunwich“, das bereits 2005 in einer semi-professionellen Publikation von Chaosium (einem sogenannten „Monograph“) das Licht der Welt erblickte. Die Spieler schlüpfen in die Rollen kleiner Kinder (um 12 Jahre), die das große alljährliche Halloween-Fest ihres sagenhaft alten Ur-Opas besuchen. Die sechs vorgefertigten und sehr gut ausgearbeiteten Investigatoren haben dabei verschiedene und gleichzeitig auch miteinander verknüpfte Antriebe und Hintergründe, sodass ausgiebigem Rollenspiel bereits mit dem Setup der Boden bereitet wird. Da gibt es beispielsweise den bodenständigen Farmersjungen, der ohne seine Axt nirgendwo hingeht, den begabten Schüler, der sich hinter seinen Büchern verschanzt, sowie das merkwürdige Mädchen, das alle für verrückt halten. Als die Party mit Äpfel pflücken, einer Heuwagenfahrt und Kürbis schnitzen in Gang kommt, glauben die Kinder noch, dass ihre schrullige Cousine das Abstoßendste an diesem Abend sein wird. Spätestens um Mitternacht stellt sich dies jedoch als Irrtum heraus, wenn die Ereignisse über die Kinder hereinbrechen und sie tief in die Familienhistorie eintauchen müssen, um ihre Familie zu retten.
In dem eher traditionellen Abenteuer wird mit Halloween-basierten Monstern nicht gespart, und so sieht man sich in Konfrontation mit belebten Vogelscheuchen, einem lebenden Maisfeld und schließlich einer uralten Hexe. Gerade in Anbetracht der Kinder als Protagonisten fühlt sich das vollkommen passfähig an. Das Abenteuer startet eher gemächlich und gibt den Spielern Zeit, sich in ihre Investigatoren einzufinden. Gerade auch bei Gruppen, die zum ersten Mal über eine Onlineplattform spielen – wie bei unserem Probespiel – könnte dieser ruhige Auftakt genau das Richtige sein. Dramaturgisch sollte der Spielleiter darauf achten, dass nach knapp einer Stunde dann die Zügel angezogen werden und das Schicksal seinen Lauf nimmt. Es gibt nur ein klassisches Rechercheelement: Dieses ist wichtig für das Lösen des Abenteuers, es gibt aber genug Hinweise in diese Richtung, dass dieser Flaschenhals nicht wirklich eng ist. Das dort gefundene Handout ist in der Version des Buches kaum zu entziffern. Hier sei auf die downloadbaren Handouts auf www.pegasusdigital.de verwiesen. Ein wirklich gelungenes Abenteuer, das Halloween aus der Sicht von Kindern beleuchtet und in knapp drei Stunden durchgespielt werden kann.
Bei „Schule der Toten“ sehen jugendliche Protagonisten in das Antlitz fremder Welten und verborgener Voodoo-Magie. In dem 2009 ebenfalls in einem „Monograph“ erschienen Abenteuer müssen die Investigatoren als Schüler einer Privatschule für reiche Familien wegen verschiedener Vergehen von 16 bis 21 Uhr nachsitzen. Was eigentlich kein Problem wäre, würde nicht genau an diesem Abend die lange erwartete Halloween-Party stattfinden, die der neue Schulleiter tatsächlich erlaubt hat. Vorgefertigte Investigatoren stellt das Abenteuer nicht bereit, dafür einen Baukasten für eine schnelle Erschaffung eines Nachsitzers, der die Konzepte Schlaukopf, Muskelprotz, Freak, Prinzessin und Ausgeflippte abdeckt. Auch wenn es seinen Reiz hat, kurz vor der Runde noch schnell einen Investigator zu bauen, hätte ich „richtige“ vorgefertigte Investigatoren bevorzugt.
Das Abenteuer selbst startet dann mit einem begeisternden Einstieg. Die Jugendlichen verbüßen ihre Strafe unter der Aufsicht eines sehr ernsten Aufsichtslehrers, während in der Sporthalle lautstark die Party steigt. Unvermittelt wandelt sich nun die Szenerie in eine Atmosphäre, die stark von Silent Hill inspiriert scheint: Die Schule ist verlassen, überall sind Regale umgestürzt und unheimlicher Nebel durchzieht die Flure. Den Investigatoren bleibt nichts anderes übrig, als die verlassenen Räumlichkeiten zu durchstreifen. Unterwegs treffen sie schrecklich verstümmelte, wandelnde Tote und auch ihren vollkommen veränderten Aufsichtslehrer. In der Sporthalle finden sie schließlich die Überreste eines Rituals, das dazu geführt hat, die reale Welt mit der Totenwelt zu vermengen. Bis dahin sind die Atmosphäre und die Schauplätze absolut stimmig.
Als schließlich eine Treppe nach unten ins Reich der Toten führt, verliert das Abenteuer teilweise den dramaturgischen Faden aus den Augen. Die Zusammenhänge wirken etwas wirr. An einigen Stellen hat man das Gefühl, in einem PC-Spiel zu sei, bei dem man von einem Auftraggeber die Aufgabe bekommt, an einem anderen Ort etwas zu holen, und sich dann die nächste Türe öffnet. Unschön ist auch eine Szene, bei der ein Investigator zurückgelassen werden kann und somit auf halber Strecke quasi aus dem Spielgeschehen aussteigt. Bei unserem Probespiel hat das dennoch gut funktioniert, was aber vor allem an den Anpassungen des Spielleiters gelegen hat. Dem Part rund um das Reich der Toten hätte sicherlich eine Überarbeitung von Pegasus gutgetan. Insgesamt gesehen ein Abenteuer mit einem starken ersten Drittel und Bedarf an einiger Arbeit von Seiten des Spielleiters im Mittelteil.
„Süßes oder Saures“ wurde 1990 erstmals in dem Band „Blood Brothers“ veröffentlicht und spielt auch zu jener Zeit. Eine Gruppe von Jugendlichen stolpert am Rande der Stadt in eine abstoßende Situation hinein, als dort ein Farmer, der sich mit Mächten der Dunkelheit eingelassen hat, ein Menschenopfer darbringt. Während die Jugendlichen entkommen, wird der Farmer bei dem misslungenen Ritual tödlich verwundet. Allerdings stirbt dieser nicht in Gänze, sondern sein freigesetzter Geist schlüpft in eine Vogelscheuche. Diese will sich nun an den Jugendlichen rächen. Unglücklicherweise handelt es sich bei den Verfolgten um enge Freunde der Investigatoren, die von ihnen in einer atemlosen Rettungsmission gerettet werden sollen – oder zumindest der Teil, der noch von ihnen übrig ist. Vorgefertigte Investigatoren liegen dem Abenteuer bei, sodass man sofort losspielen kann.
Der Ablauf der Handlung ist sehr eng vorgegeben, und der Spielleiter wird alternative Wege oder Schauplätze improvisieren müssen. Thematisch ist das Abenteuer eher als Splatter-Horror einzuordnen und der Spielleiter sollte aus den Schockoptionen einer animierten Vogelscheuche, die unvermittelt und gnadenlos überall zuschlagen kann, möglichst viel herausholen. Allerdings erscheint mir der Gegner mit seinen zahlreichen Optionen viel zu mächtig und kaum besiegbar. Zusätzlich gibt es im Abenteuer keine Hinweise darauf, wie die Investigatoren auf die Schwachstelle des Gegenspielers überhaupt kommen sollen. Eine Ergänzung des Originaltextes durch eine hilfreiche Zeugenaussage oder ein auffindbares Handouts hätte das Abenteuer deutlich befriedigender gestaltet – dies muss nun eben der Spielleiter nachholen.
Fazit: Der Titel „Halloween“ hält, was er verspricht: Drei Abenteuer in einem unverbrauchten Setting mit Schock-Momenten, blutigem Horror und Halloween-Motiven wie Untoten, Kürbisköpfen und Hexen, und das alles aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen. Die kurzen und knackigen One-Shots können an einem Abend durchgespielt werden und kommen ohne große Recherchephasen zum Kern des Grusels. Dadurch eigenen sie sich hervorragend dazu, aus jedem Abend einen Halloween-Abend zu machen, auch wenn zwei der Abenteuer durch behutsame redaktionelle Ergänzungen deutlich hinzugewonnen hätten.
Halloween
Abenteuerband
Oscar Rios, Paul Hebron, Scott David Aniolowski
Pegasus 2020
ISBN: 978-3969280065
68 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,95
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