Gruselkabinett 65: Gesellschafterin gesucht

Da sie und ihre Mutter unverschuldet in Geldnöte geraten sind, sucht die 18-jährige Bella Rolleston händeringend eine Anstellung als Gesellschafterin bei einer vermögenden Dame. Durch eine Vermittlungs-Agentur kommt sie bei der sehr betagten Lady Ducayne unter. Doch die hat ihre eigenen Pläne für die junge Frau …

von Jakob Schwarz

 

Die 65. Folge der Hörspiel-Reihe „Gruselkabinett“ widmet sich einer Kurzgeschichte von Mary Elizabeth Braddon (1837-1915), die eine englische Schriftstellerin war. Sie gehörte zu den beliebtesten Autorinnen der viktorianischen Zeit, war sozusagen eine Bestsellerautorin. Kriminal- und Gespenstergeschichten, Gesellschafts- und Abenteuererzählungen hat sie verfasst, wobei ihre gut durchdachten Handlungen auch von namhaften Kollegen gelobt wurden.

Die vorliegende Geschichte spielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und handelt von der jungen Bella Rolleston, die in London dringend nach Arbeit sucht, um ihre verarmte Mutter und sich selbst am Leben zu erhalten. Am liebsten möchte sie Gesellschafterin werden, also eine Art bezahlte Gefährtin für eine Dame von höherem Stand. Leider hat sie keine besonderen Fähigkeiten und auch keine gehobene Ausbildung genossen, was eine Vermittlung schwer macht. Doch dann lernt sie die alte Lady Ducayne kennen, für die Geld keine Rolle spielt und Qualifikationen wohl auch nicht. Sie will nur wissen, ob Bella kräftig und gesund sei, dann stellt sie sie ein und man reist gemeinsam nach Italien.

Anfangs scheint dort alles prächtig zu sein. Bella bekommt ein relativ hohes Gehalt und hat kaum etwas zu tun. Sie genießt das gute Wetter und erfreut sich der Freundschaft einer anderen jungen Dame und ihres Bruders, eines Arztes. Dann jedoch plagen sie mehr und mehr Albträume. Und auch mit ihrer Gesundheit geht es zunehmend bergab. Kann es sein, dass Lady Ducayne, in deren Diensten schon zwei andere junge Mädchen verstorben sind, etwas damit zu tun hat?

Schon das von düsterer Erotik aufgeladene Cover einer bleichen, alten Dame, die vor einem Bild posiert, auf dem eine ältere nackte Frau sich einer schlafenden, jungen Schönheit begehrlich nähert, lässt den Hörer ahnen, worauf die Geschichte in „Gesellschafterin gesucht“ hinausläuft. Die ganze Handlung unterstützt dann dieses Vorurteil. Es sorgt für ein Schmunzeln, dass Mary Elizabeth Braddon dann doch eine etwas andere Auflösung wählt, allerdings liegt genau darin – neben einem doch sehr gemächlichen Handlungsaufbau – der Schwachpunkt der Story. Eine gute Kurzgeschichte zieht die Spannungskurve bis zum dramatischen Finale zunehmend an. Hier kommt es zu einem Bruch, auf einmal kippt alles und bevor der Spannungshöhepunkt erreicht ist, flacht alles wieder ab und zerläuft sich in einem fast märchenhaften Ende.

Die Sprecher machen ihre Sache überwiegend gut. Julia Stoepel als Bella ist mir anfangs fast noch zu jung und naiv, aber später kriegt sie ganz gut die Kurve. Ingrid van Bergen als ominöse Lady Ducayne ist sehr gut besetzt. Sie vermag sowohl „falsches“ Mitgefühl, als auch gnadenlose Härte perfekt zu vermitteln. Dabei kommt sie zuweilen fast unpassend diabolisch daher, andererseits erklärt sich dieser Eindruck aus den Umständen. Christian Wolff klingt als Erzähler angenehm, sein Sohn Patrick Wolff als junger Arzt wirkt fast etwas zu markant und herb. Dennoch: Alles in allem hört man den Sprechern gerne zu und auch die Tonkulisse und die Musik überzeugen. Bloß das Stück am Ende hat eine irritierend schmalzige 70er-Jahre-Heimatfilm-Note.

Fazit: Technisch macht Titania Medien keiner was vor. Auch „Gesellschafterin gesucht“ besticht durch gute Sprecher und eine fast durch die Bank gelungene Produktion. Leider weist die zugrunde liegende Geschichte die ein oder andere dramaturgische Schwäche auf. Zum einen zieht sich der Spannungsaufbau hin, zum anderen zielt die Handlung auf eine Pointe ab, die vielleicht von Braddon seinerzeit eine Variation auf allgegenwärtige Schauermären um Vampire gewesen sein mag, aber durch ihre allzu nüchterne Auflösung fast wirkungslos verpufft. Daumen hoch für die gute Absicht, in der B-Note gibt es leider einige Abzüge.


Gruselkabinett 65: Gesellschafterin gesucht
Hörspiel nach einer Erzählung von Mary Elizabeth Braddon
Marc Gruppe
Titania Medien 2012
ISBN: 978-3-7857-4642-4
1 CD, ca. 72 Minuten, deutsch
Preis: EUR 8,99

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