Gruselkabinett 176: Das Lächeln des Toten

Das menschliche Lächeln ist ein Ausdruck der Freude und vermittelt ein gutes Gefühl. Was aber, wenn das Lächeln plötzlich das Gegenteil bewirkt? In der hier vertonten Kurzgeschichte lauschen wir, wie ein alter Mann seine Umgebung mit einem Lächeln in Angst und Schrecken versetzt. Kann die Liebe eines jungen Paares diesem Spuk ein Ende setzen, oder wird sie am Ende daran zerbrechen?

von Daniel Pabst

Bereits das von Johannes Belach gestaltete Titelbild von „Gruselkabinett 176: Das Lächeln des Toten“ lässt Ungutes erahnen. Ein Mann liegt lächelnd im Bett. Ihn umgibt die Dunkelheit und der Schatten, lediglich ein Lichtstrahl, wie von einer aufgehenden Tür ausgehend, fällt in das Zimmer. In den Händen hält er sichtbar ein kleines Kreuz. Sein Gesicht wirkt wie eine Maske. Seine Augen sind unwirklich orange und leuchten, ohne dass man die Pupillen zu sehen bekommt. Traut man sich da überhaupt, die Tonspur dieses Hörspiels abzuspielen?

„Das Lächeln des Todes“ ist eine Kurzgeschichte von Francis Marion Crawford (1854-1909). Der Originaltitel lautet „The Dead Smile“ und kann in der Horrorgeschichten-Sammlung „Lovecrafts dunkle Idole“ des Frank Festa Verlags in deutscher Übersetzung nachgelesen werden. Manch einem wird der amerikanische Schriftsteller auch ohne dieser Lektüre bekannt vorkommen. Denn in der „Gruselkabinett“-Reihe von Titania Medien wurden bereits drei Werke von ihm vertont wurden. Nach „Gruselkabinett 34: Die obere Koje“, „Gruselkabinett 64: Der schreiende Schädel“ und „Gruselkabinett 160: Denn das Blut ist das Leben“ erscheint nun die vierte Geschichte.

Da Crawford einen Schatz an Geschichten geschrieben hat, ist auch in Zukunft mit Crawford-Vertonungen zu rechnen. Empfohlen wird dieses Hörspiel laut Angaben von Titania Medien für eine Zuhörerschaft über 14 Jahren. Die Produktion und Regie übernahmen Stephan Bosenius und Marc Gruppe. Die Spielzeit kommt beinahe an eine Stunde heran. Mit einem Sprecher-Cast von acht Personen (in den Hauptrollen: Matthias Lühn, Herbert Tennigkeit, Fabienne Hesse und Beate Gerlach) ist „Das Lächeln des Toten“ sehr übersichtlich.

Die Geschichte spielt in England im Jahre 1911 auf dem Anwesen des Sir Hugh Ockram. Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Die letzten warmen Sonnenstrahlen fallen in das Herrenhaus. Mrs. Macdonald, eine 100-jährige Kinderfrau, findet kaum Schlaf, denn sie hört in ihrem Zimmer des Nachts wiederkehrende laute Frauenschreie. Dies scheint den alten Ockram nicht zu stören. Er lächelt tagein, tagaus. Und das, obwohl auch er die Schreie vernimmt. Sein Sohn Gabriel erschrickt sich immer wieder aufs Neue, wenn er seinen Vater so lächeln sieht. Auch er vermag sich keinen Reim darauf zu machen.

Der Alte schweigt beharrlich und wähnt sich zufrieden mit seinem Geheimnis, das ihm so viel Freude zu bereiten scheint. Als sich die Cousine Evelyn Warburton in das Arbeitszimmer des alten Herrn wagt, verziehen sich die Mundwinkel zu einem noch stärkeren Grinsen, was sie erstarren lässt. Doch kurz nachdem sie sich wieder gesammelt hat, hält auch das Lächeln sie nicht davon ab, ihm mitzuteilen, dass sie und sein Sohn Gabriel beabsichtigen zu heiraten. Kann die Liebe diesen Spuk beenden?

Das Hörerlebnis wird neben der mysteriösen Handlung besonders intensiv durch die Musik und erzeugte Atmosphäre. Die Sprechleistungen fügen sich in diesen Klangteppich perfekt ein. Es ertönen im Hintergrund Chorgesänge und Kirchenmusik. Die plötzlichen Schreie heben sich von der Lautstärke der Handlung ab, dass sie passend durchs gesamte (eigene) Haus dringen. So kann es passieren, dass man sich ein aufs andere Mal ertappt, wie man sich in dem alten Herrenhaus als stiller Lauscher wähnt und an der Handlung „teilnimmt“.

Der Untertitel der Gruselkabinett-Hörspiele: „atmosphärische Schauer-Romantik“ wurde in der 176. Folge „Das Lächeln des Toten“ seht gut umgesetzt. Da sich die Handlung bis auf eine kurze örtliche Ausnahme in dem abgeschlossenen Rahmen des Herrenhauses abspielt, ist dieses Hörspiel sehr dicht. Wer sich von Kammerspielen begeistern lässt, der ist hier am richtigen Schauplatz (oder treffender gesagt: am richtigen „Hörplatz“).

Zuletzt noch ein Blick auf die Liebesgeschichte, die wir in „Das Lächeln des Toten“ erzählt bekommen. Die schreiende Banshee („Banshee“ stammt aus dem irisch-gälischen Wort „bean si“, was übersetzt heißt: „Frau aus dem Feenreich, Geisterfrau“) ist kein gutes Omen für die anstehende Hochzeit von Gabriel Ockram und Evelyn Warburton. Dass diese Geisterfrau Evelyn zum Verwechseln ähnlich sieht, sollte weiterer Anlass zur Vorsicht sein. Doch wie die beiden Liebenden, sind auch wir Hörerinnen und Hörer unwissend, ob des düsteren Geheimnisses, das sich auf dem Anwesen Sir Hugh Ockrams einst abspielte.

Das Ende ist dann heftig und lässt aufschrecken. Hätte man es von Anfang an erahnen müssen? Gab es im Verlauf des Hörspiels nicht ausreichend Hinweise? Schlussfolgern wir daraus, dass der Schrecken und der Spuk gar nicht im Überirdischen lauert? Nach Abschluss der Spielzeit werden sich an der Geschichte sicher die Gemüter spalten und Geister scheiden.

Fazit: Mit „Gruselkabinett 176: Das Lächeln des Toten“ ist eine sehr atmosphärische Komposition gelungen, die viele Elemente der originalen Kurzgeschichte beibehalten hat. Die Sprechleistungen sind durchgehend hochwertig und ergänzen sich sehr gut. Die Auswahl der Geschichte weiß angesichts der für ein Hörspiel passenden Kammerspiel-Atmosphäre zu glänzen, einzig am Ende mag nicht jede und jeder zufrieden sein. Denn sind einmal die letzten Sätze in „Gruselkabinett 176: Das Lächeln des Toten“ gesprochen, hat man den Eindruck, dass einen das Lächeln des „alten weißen Mannes“ weiter verfolgen wird.

Gruselkabinett 176: Das Lächeln des Toten
Hörspiel nach der Kurzgeschichte von Francis Marion Crawford
Marc Gruppe
Titania Medien 2021
ISBN: 978-3-7857-8386-3
1 CD, ca. 57 min., deutsch
Preis: EUR 7,99

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