Gruselkabinett 160: Denn das Blut ist das Leben

Eine geisterhafte Frau neben einem knorrigen Baum vor einem aufgewühlten Hintergrund, der ein Rauschen der Elemente suggeriert. Das Cover des Titania-Medien-Hörspiels „Denn das Blut ist das Leben“ verspricht Schauer pur in wildromantischer Kulisse. Können die 45 Minuten das Versprechen einlösen?

von Frank Stein

Wir befinden uns in Kalabrien, dem südlichsten Landstrich von Italien, im Jahr 1905. Georg, ein Mensch, über den wir eigentlich nichts erfahren, außer, dass er einen einsamen Turm nördlich von Kap Scalea besitzt und da seine Sommer verbringt, bekommt Besuch von seinem Freund Holger, einem Maler. Spät am Abend genießen beide auf der Turmspitze ein Glas Wein, als Holger ein knorriger Baum auffällt, unter dem ein Grabhügel zu liegen scheint. Es wirkt, als ruhe im Mondlicht eine geisterhafte Gestalt darauf. Gegen den Rat seines Freundes will er sich dort umsehen und hat eine unheimliche Begegnung. Was es mit dem Hügel auf sich habe, fragt Holger Georg anschließend. Und dieser beginnt zu erzählen, was seine Nachforschungen ergeben haben.

Es ist eine Erzählung von Neid und Gier, unerwiderter Liebe und einem tragischen Schicksal, dessen schreckliche Folge bis heute nachhallt. Die Protagonisten sind ein reicher, aber offenbar unsympathischer Alter, zwei Halsabschneider, eine mürrische Angestellte, eine zügellose und offenbar nur mäßig schlaue Dorfschönheit (welche Frau stellt bitte mitten in der Nacht und mitten in der Einsamkeit zwei zwielichtige Männer zur Rede?) sowie ein glückloser Erbe, ein furchtsamer Priester und ein Dorfbursche, der das Gute will und dennoch bloß einen Teilerfolg erringt. Richtig nett ist niemand von ihnen, trotzdem hat man beim Zuhören irgendwie Mitleid, denn hier findet keiner sein Glück am Ende. Was bleibt ist eine geisterhaft sehnsüchtige Stimme aus der Tiefe.

„Denn das Blut ist das Leben“ hat alles, was es braucht, um nicht nur die produktionstechnischen Erwartungen an ein Hörspiel von Titania Medien zu erfüllen, sondern auch diejenigen, die man als Hörer an eine Reihe mit dem Titel „Gruselkabinett“ hat. Die Geräuschkulisse ist dezent, aber lässt gelungen Bilder im Kopf entstehen. Die düster dräuende Musik scheint allgegenwärtig und erzeugt eine beklemmende Atmosphäre. Die Sprecher agieren versiert und vermitteln hörbar Verlangen, Furcht, Missgunst und Gier, wobei die zwei Verbrecher vielleicht etwas übertrieben „fies“ klingen und Helmut Dietl mir als Erzähler nicht ganz so zugesagt hat. Er besitzt eine gute Charakterstimme, doch ist mir von der Tonlage her etwas zu durchdringend, um den angenehmen Gruselerzähler zu geben. Zu all dem gesellen sich, wie gesagt, schauerliche Motive, wie der einsame Turm an der Küste, ein Grabhügel unter einem toten Baum, eine geisterhafte Gestalt im Mondschein und derlei. Das alles erfüllt die gestellten Erwartungen absolut.

Einzig die Handlung ist mir nicht spannend genug. Das Ganze basiert auf einer Kurzgeschichte des US-amerikanischen Schriftstellers Francis Marion Crawford, der nicht unbedingt für seine Phantastik bekannt war, aber doch eine Reihe kurze Schauermären verfasst hat, darunter auch die vorliegende aus dem Jahr 1911, die Vampirmotive mit einem ländlichen süditalienischen Setting mischte. Das Hörspiel bleibt sehr dicht an der Vorlage, man kann Titania Medien also nicht vorwerfen, etwas verschlimmbessert zu haben. Dennoch ist die Handlung eben nur mäßig innovativ. Wenn man zuvor nur ein paar Vampirgeschichten gelesen, gehört oder gesehen hat, kennt man alle Aspekte des schauerlichen Teils der Handlung. Oder zumindest die meisten. (Tatsächlich scheint das Böse kein vollwertiger Vampir zu sein, entsteht es doch auf eher untypische Weise und ist in seinem Handeln doch spürbar eingeschränkt.)

Der weltliche Rest ist kleindörfische Intrige und Tragik, die nicht immer ganz logisch daherkommt (wie kann die Angestellte die zwei seit Wochen im Haus ihres Herrn lebenden Gäste vergessen?) Präsentiert wird sie von einem hohen Turm aus und in nur kurzen Momenten der Unmittelbarkeit, an die sich sofort wieder Erzählpassagen anschließen. Das ist, wie so oft in Schauergeschichten des ausgehenden 19. Jahrhunderts, vielleicht das Hauptproblem. Der Erzähler sorgt für Distanz, er war bei all dem nicht dabei, sondern gibt nur wieder, was er so herausgefunden hat. Darin unterscheidet sich auch Crawfords Werk beispielsweise vom Klassiker „Dracula“, der zwar ebenfalls in Aufzeichnungen erzählt, aber diese stammen eben von den unmittelbar Betroffenen – und es ist wohl Bram Stokers besondere Kunst, dass sie einen dabei absolut packen! Das gelingt dieser Geschichte kaum. Wenn sie ein Gefühl beim Hörer weckt, ist es eher Mitleid und Traurigkeit – denn das durch und durch Böse existiert hier nicht (oder wenn, dann nur in menschlicher Form). Es gibt nur mehrere Leben, die irgendwie den Bach runtergehen.

Das Cover von Ertugrul Edirne ist – ich erwähnte es schon eingangs – absolut stimmungsvoll und passt super zur Reihe, auch wenn es natürlich den schauerlichen Aspekt der Geschichte hemmungslos vorwegnimmt.

Fazit: „Denn das Blut ist das Leben“ hat – sowohl von der Produktion als auch den Motiven her – im Grunde alles, was man vom „Gruselkabinett“ erwartet. Einzig die Handlung ist nur mäßig packend und fügt dem Subgenre der Vampirgeschichten kaum Nennenswertes hinzu. Das ist allerdings schon der Vorlage geschuldet, die hier sehr werkgetreu umgesetzt wurde. Und einmal mehr sorgt die Erzählung „von der hohen Warte“ aus dafür, dass man sich weniger gruselt als unter unmittelbarer Beteiligung vielleicht möglich gewesen wäre. (Auch das ein „Fehler“ der Vorlage.) Ich habe eher Mitleid mit der ein oder anderen Figur verspürt als Grusel.

Gruselkabinett 160: Denn das Blut ist das Leben
Hörspiel nach einer Erzählung von Francis Marion Crawford
Marc Gruppe
Titania Medien 2020
ISBN: 978-3-7857-8160-9
1 CD, ca. 45 Minuten, deutsch
Preis: 8,99 EUR

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