Gruselkabinett 118/119: 20.000 Meilen unter dem Meer

Vampire, Geister und Werwölfe waren es, die dem „Gruselkabinett“ vor mehr als zehn Jahren zu seinem außergewöhnlichen Erfolg verhalfen. Noch heute wirbt Titania Medien mit dem Spruch „Die Meisterwerke der Schauer-Romantik“. Davon hat sich der Verlag zeitweilig merklich entfernt. Mit der Hörspiel-Adaption von Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meer“ liegt eine waschechte Abenteuergeschichte vor. Wie schauerlich ist der Ausflug zum Meeresgrund?

von Frank Stein

„20.000 Meilen unter dem Meer“ (erschienen zwischen 1869 und 1870) gehört zu den bekanntesten Werken des französischen Schriftstellers Jules Verne (1828-1905) und ist schon zahlreiche Male als Film und Hörspiel adaptiert worden. Am berühmtesten ist vermutlich die Disney-Verfilmung von Richard Fleischer aus dem Jahr 1954 mit Kirk Douglas, Peter Lorre, James Mason und Paul Lukas, auch in meinen Augen eine großartige Unterwasser-Mär, an der sich alle späteren Produktionen messen mussten. Ein opulentes Produktionsdesign, ein flott aufspielender Kirk Douglas als Harpunier Ned Land, ein intensiver James Mason als Kapitän Nemo und ein paar gestalterische Freiheiten im Drehbuch, die den Fokus auf Humor und Spannung legten, zeichneten den Film aus und täuschten gekonnt darüber hinweg, dass die Vorlage über weite Strecken ein etwas trocken geratener Reisebericht ist, der wortreich die fantastische Technik des Tauchboots Nautilus und die Wunder der Tiefsee beschreibt, aber kaum als wirklich spannend bezeichnet werden kann.

Dem Hörspiel von Titania Medien, das auf opulenten 2 CDs herausgebracht wird und mit 116 Minuten Laufzeit gute Spielfilmlänge erreicht, fällt das schwerer. Die Geschichte bleibt wie bekannt. Ein eigentümliches Ungetüm sucht in den Jahren 1866 und 67 die Weltmeere heim und verursacht mehrere Schiffsuntergänge. Ein US-Militärschiff soll das Wesen aufspüren und unschädlich machen. An Bord sind auch der französische Meeresbiologe Professor Pierre Aronnax sowie sein Diener Conseil, ersterer soll als wissenschaftliche Koryphäe die Expedition begleiten. Nach langer Suche trifft das Schiff tatsächlich auf das Ungetüm – und wird von ihm versenkt. Einzig Aronnax, Conseil und der Harpunier Ned Land können sich retten. Sie finden im Nebel das Monstrum im Wasser liegend vor, und müssen erstaunt feststellen, dass es sich um ein Tauchboot handelt, ein technisches Wunderwerk sondergleichen. Von dessen Kapitän Nemo werden sie gerettet und dann festgesetzt. Sie dürfen leben, aber die Nautilus, wie das Tauchboot heißt, nie wieder verlassen. Eine lange Reise unter dem Meer beginnt.

An sich ist das keine schlechte Geschichte, wenn man sie richtig angeht. Doch Titania Medien macht in der Umsetzung meiner Ansicht nach mehrere Fehler. Zum einen ist der Anfang viel zu lang erzählt. Die ganze erste CD widmet sich der Zeit bis zum Angriff der Nautilus auf das US-Schiff. Erst auf der zweiten findet die titelgebende Reise statt, für die dann einfach zu wenig Zeit bleibt, sodass etliche Szenen fehlen. Auch bleibt zu wenig Raum für Charakterentwicklung an Bord des Schiffs. Nemo wandelt sich schnell und praktisch nur aus der Erzählperspektive des Professor Aronnax beobachtet vom weltmännischen Gastgeber zum schwermütigen Verrückten.

Zweitens bleibt gerade in Spannungsszenen der Abstand zu groß. Der Kampf gegen die Kraken beispielsweise ist im Kinofilm höchst dramatisch inszeniert. Im Hörspiel ist nicht nur die Begleitmusik viel zu ruhig, auch wird der Kampf im Wesentlichen von der Seitenlinie aus kommentiert. Dazu kommt, dass es ohne echten, auktorialen Erzähler zu wenig Beschreibungen der Szenerie gibt. Magie und Schrecken des Meeres erreichten den Kopf des Zuhörers nie vollständig. (Ein Problem, das Titania Medien mit seinem „Gruselkabinett“ immer mal wieder hat.)

Zu guter Letzt ist die Geschichte schlicht und ergreifend fehl in der Reihe. „20.000 Meilen unter dem Meer“ ist ein Meisterwerk, ohne Zweifel, aber nicht der „Schauer-Romantik“, die das Thema der Reihe sein soll, sondern des Abenteuerromans. Zwischen Vampiren, Werwölfen und Geistern hat Nemos technisches Wunder Nautilus einfach nichts verloren. So sehr ich den Wunsch der Macher verstehe, das Werk ins Hörspiel umzusetzen, so sinnvoll wäre es gewesen, es außerhalb des „Gruselkabinetts“ herauszubringen, denn so wird die Reihe thematisch verwässert, obwohl es sicher noch genug spannende, wenn auch vielleicht unbekanntere Gruselstoffe geben dürfte, die sich für eine Umsetzung anbieten würden.

Leider vermag mich diesmal auch die technische Umsetzung nicht ganz zu überzeugen. Die Sprecher machen ihre Sache gut, da gibt es keine Kritik von mir. Aber die vielen Gespräche in Kammern geben wenig Raum für Geräuschkulisse und das Potenzial guter Musikuntermalung wird meines Erachtens gar nicht genutzt. (Der wiederholte Vergleich tut mir leid, aber auch hier hat der Disney-Film um Längen die Nase vorn.) Zudem sind auf der zweiten CD nur noch vier Sprechen übrig – Aronnax, Conseil, Ned Land und Nemo –, das verleiht dem ganzen Hörspiel noch mehr den Eindruck eines Kammerspiels in karger Kulisse.

Fazit: Die Hörspieladaption von „20.000 Meilen unter dem Meer“ soll auf zwei CDs großes Kino vermitteln. Doch die guten Sprecher allein (und die schicke, merklich an Disney orientierte Optik dazu) schaffen es nicht, das Potenzial auszureizen, das die Geschichte hergibt. Das Drehbuch setzt meines Erachtens die falschen Schwerpunkte, die Spannung bleibt zu distanziert, Musik und Effekte könnten mehr Drama und Wunder vermitteln, als sie es tun. Dazu passt das ganze Thema nicht zur Reihe „Gruselkabinett“. Ich möchte das Hörspiel mögen, denn ich liebe „20.000 Meilen unter dem Meer“. Mehr als das Urteil „ganz okay“ kann ich dieser Adaption allerdings nicht geben.

Gruselkabinett 118/119: 20.000 Meilen unter dem Meer
Hörspiel nach einem Roman von Jules Verne
Marc Gruppe
Titania Medien 2016
ISBN: 978-3-7857-5384-2
2 CDs, ca. 116 min., deutsch
Preis: EUR 15,99

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