Gamma World Roleplaying Game (D&D)

Im Jahr 2012 unterlief den Wissenschaftlern, die am Large Hadron Collider arbeiteten, ein schwerwiegender Fehler, der fortan nur noch als der Große Fehler bekannt sein solle. Die Barriere zwischen den Realitäten brach zusammen und alle möglichen und unmöglichen Zeitlinien prallten aufeinander und überlappten. Der Kalte Krieg war heiß geworden, gleichzeitig erklärte Frankreich den USA den Krieg, erlebte die Welt die Invasion durch Mutantenkarnickel sowie die Rückkehr des King of Rock und des King of Pop. Oder so … Willkommen auf Gamma Terra.

von Visionär

 

Das neuste Kind der Wizards of the Coast ist die mittlerweile siebte Inkarnation des Spiels „Gamma World“, eines humoristischen postapokalyptischen Rollenspiels, das auf der Regelmechanik von „D&D 4.0“ basiert. Öffnet man die große grüne Box, in der es präsentiert wird, so liegen in einem Pappinlay ein DIN-A5 Softcover-Regelbuch mit 160 Seiten sowie ein Deck aus 80 Karten. Unter dem Pappinlay versteckt sich dann erst mal eine Menge Luft, dazu ein Booster mit acht Gamma World Karten, zwei große, doppelseitig bedruckte Posterkarten mit allen Begegnungsorten aus dem Abenteuer, zwei Bögen mit ausgestanzten Tokens für Charaktere und Monster sowie wahnsinnige vier Charakterbögen und keine Würfel. Alles in allem also eine schön aufgemachte, überdimensionierte Mogelpackung. Aber gut, es geht ja auch um Inhalte und Spielspaß: Und was das angeht, rockt das Spiel gewaltig!

Für den Playtest werden zunächst werden also mal Charaktere erschaffen. Das geht relativ zügig innerhalb von 20 Minuten manuell, falls man nicht den Charaktergenerator von der Wizards Homepage bemüht, der einem den Charakter sofort ausspuckt. Als erstes bestimmt man die Mutantenursprünge des Charakters. Dazu würfelt man zwei Mal auf einer Tabelle mit 20 Einträgen und bekommt dann eine Kombination, die es irgendwie in Einklang miteinander zu bringen gilt. So bestand die Playtest-Runde aus einem Katzen-Kakerlaken-Hybriden, einem Käferschwarm, der die Zeitströme zu manipulieren wusste, und einem präkognitiven Steinwesen. Basierend auf diesen beiden Ursprüngen entscheiden sich auch die Kräfte zu Spielbeginn, der Wert des Primär und Sekundärattributs sowie Boni auf Fertigkeiten, Rettungswürfe und die Gabe „Mutationen überladen“. Die Attribute sind die sechs Basisattribute, die man aus „D&D“ kennt: Stärke, Geschick, Konstitution, Intelligenz, Weisheit, Charisma. Auf das Primär-Attribut gibt es 18, das Sekundärattribut 16 und der Rest wird mit 3W6 bestimmt. Anschließend wird noch eine zufällige Fertigkeit bestimmt, die der Charakter gelernt hat, und die Startausrüstung ausgewürfelt, die oft aus nützlichen Dingen wie einem Kanoe, einem Laptop oder einem Notstromgenerator besteht. Rasch werden noch ein paar abgeleitete Werte wie die Lebenspunkte oder die Verteidigungswerte errechnet und eine Alpha-Mutationskarte sowie eine Omega-Techkarte gezogen und fertig ist der Charakter.

Zu den Karten: „Gamma World“ integriert nicht nur Würfel in sein System sondern eben auch zwei Kartentypen – die Alpha-Mutationen und Omega-Technologie. Jeder Charakter verfügt über eine Anzahl an Mutationen, abhängig von seiner Stufe. Oft haben die Mutationen relativ starke Spieleffekte, die auch noch gesteigert werden können, indem man die Kraft überlädt. Das kann aber auch einen Rückschlag geben. Beispiele sind die Fähigkeit, ein starkes Gravitationsfeld zu erzeugen, das Gegner anzieht, oder eine Haut aus Metall zu haben, die den Körper schützt. Diese Kräfte sind jedoch nicht permanent sondern dem Alphaflux unterlegen. Wenn ein Spieler eine ‚1‘ würfelt, muss er eine Mutation ablegen, und sofort eine neue ziehen. Omega Tech sind alte technische Artefakte, die im Abenteuer gefunden werden können. Sie stammen aus drei Quellen: Der Maschinenintelligenz von Xi, dem Lichtimperium von Ishtar oder der geheimen Militärbasis Area 52. Auch deren Effekte sind sehr stark, allerdings unterliegen sie bei jeder Benutzung der Gefahr, dass sie aufgebraucht und damit nutzlos werden (sprich: abgeworfen werden müssen). Die Karten erhöhen den Spielspaß ungemein, da die Kräfte herrlich abgedreht und dazu noch kampfentscheidend sein können. Der Nachteil ist die Vertriebsform der Karten: Im ersten Spiel kommt man locker mit den 60 Karten aus dem Grundset aus, doch schnell wächst die Lust auf mehr, da insgesamt 200 verschiedene Karten verfügbar sind. Diese gibt es aber nur in sündhaft teuren Boostern (2.99$ für 8 Karten), zufällig sortiert und auch noch nach Seltenheit gestaffelt. Hier sehe ich jede Relation von Preis und Leistung gesprengt.

Die Engine: „Gamma World“ basiert auf „D&D 4.0“. Das Regelwerk ist dementsprechend stark auf das Abhandeln von Kämpfen ausgelegt, bietet ein rudimentäres Fertigkeitensystem und lässt mit dem Rest den Spielleiter alleine. Das ist nicht schlimm, denn ich sehe das Ganze als „Skirmish Tabletop“ mit starken Rollenspielelementen, und diese Rolle erfüllt das Spiel sehr gut. Für das Spiel ist die Darstellung des Kampfes auf den Posterkarten oder einer BattleMap mit Miniaturen oder Token Pflicht, da Reichweiten, Bewegung etc. alles in Feldern bemessen ist. Zu Beginn eines Kampfes wird die Initiative mit einem W20 bestimmt. In absteigender Reihenfolge handeln Spieler und Gegner auf dem Schlachtfeld, wobei jedem eine Standardaktion, eine Bewegungsaktion, eine geringfügige Aktion sowie freie Aktionen zustehen. Was welcher Aktion entspricht, kann man den Beschreibungen der Kräfte entnehmen, wobei Angriffe meist Standardaktionen sind. Um den Treffer zu bestimmen, wird mit einem W20 gegen einen der Verteidigungswerte (Rüstung, Wille, Zähigkeit oder Reflex) gewürfelt. Schaden wird von den Lebenspunkten abgezogen, ab 0 Trefferpunkten ist man handlungsunfähig, ab dem negativen Wert tot. Wichtig bei den Kräften ist noch die Unterscheidungen in Fähigkeiten, die man immer einsetzen kann, diejenigen, die man nur einmal pro Begegnung, und jenen, die man nur einmal pro Tag einsetzen kann. Durch dieses einfache Grundsystem, das durch die Art der Kräfte natürlich eine hohe Variation erlaubt, entsteht ein spannendes taktisches Spiel. Die Funktion der Kräfte ist übersichtlich und verständlich auf den jeweiligen Karten oder in den jeweiligen Abschnitten zum Charakter erklärt. Ein intuitives und selbsterklärendes System.

Gamma Terra: Hier lässt einen das Spiel wieder etwas alleine. Es gibt nur wenige Seiten, die einem in groben Zügen erklären, wie diese postapokalyptische Welt nun aussieht. Wer ein ausgefeiltes Setting sucht, wird enttäuscht sein, denn hier wird dem Spielleiter die Arbeit aufgebürdet, anhand der exemplarischen Ausführungen doch bitte selbst eine lebendige und atmende Spielwelt zu schaffen. Mache ich gerne. Man kauft eben ein Kampfsystem und keine Spielwelt. Sollte man wissen. Um dem Spielleiter allerdings die Arbeit zu erleichtern sind viele, viele der feindlichen Kreaturen, denen man auf Gamma Terra begegnen kann, mit Kampfwerten und Fähigkeiten so aufgelistet, dass man sie ad hoc ohne große Vorbereitung verwenden kann.

Außerdem liegt ein Abenteuer namens „The Steading of the Iron King“ bei. Dieses ist sehr linear gehalten. Man kloppt sich von Begegnung zu Begegnung durch, bis man endlich beim Endboss angelangt ist. Das ist sehr einfach zu leiten, es gelang mir, ohne das Abenteuer vorher gelesen zu haben, flüssig. Das sehe ich als echten Vorteil an, vor allen Dingen für die Spielergeneration, die nun im Beruf steht und ein schnelles und einfach vorzubereitendes Plug’n’Play-System braucht. Die Begegnungen sind dabei alle intelligent designt, denn es geht nicht nur darum, die Monster einfach tot zu kloppen, sondern man muss schon mit einer gewissen Strategie ins Gefecht gehen. Oftmals sind auch interessante Boden-Elemente wie radioaktive Gruben, Laserabwehranlagen oder Roboterfabriken eingebaut, die man irgendwie ausschalten oder umgehen muss, um eine Chance zu haben. Jede einzelne Begegnung ist gefährlich und spannend, vorbei die Zeit langweiliger Zwischenkämpfe, hier geht es jedes Mal ums Ganze. Nur mit Mühe und Not haben es die Spieler in meiner Playtest-Runde geschafft, zum Endboss zu gelangen, um an diesem zu scheitern. Und oft hing auch schon vorher das Überleben der Gruppe von einem letzten tapferen stehenden Charakter ab. Die acht Begegnungen in dem Abenteuer lassen sich in etwa zwölf Stunden mit Charaktererschaffung gut durchspielen – genug Material also für ein bis drei lockere Spielabende. Und das nächste Abenteuer „Famine in Far-Go“ ist ja mittlerweile auch schon in den Spielläden angekommen.

Fazit: Ein schnelles, spannendes und abgedrehtes Mutantenprügelspiel. Es lässt sich auspacken und innerhalb von ein bis zwei Stunden bei null Vorkenntnissen losspielen. Kennt man „D&D 4.0“ schon, kann man eigentlich sofort loslegen. „Gamma World“ bringt eine Menge Kurzweil, spannende Begegnungen und viel Lachen an den Spieltisch. Getrübt wird der Eindruck nur von der hohen Preisklasse, in der das Spiel rangiert, und dem indiskutablen Vertriebsmodus der Karten. Von daher gibt es von mir die Top-Note 4.5 von 5 Punkten.


Gamma World Roleplaying Game (D&D)
Grundregelwerk
Richard Baker, Bruce R. Cordell
Wizards of the Coast 2010
ISBN: 978-0-7869-5508-4
Box mit 160-Seiten Regelbuch, 2 Posterkarten, 2 Pappbögen mit Tokens, 80 Karten, 1 Booster, 4 Charakterbögen / englisch
Preis: $ 39,95

bei amazon.de bestellen