Fahrenheit 451

Was machst man, wenn man den Eindruck hat, einen Fehler gemacht zu haben? Wie lässt sich Sinn in dem finden, was man tut? Wofür soll man seine Zeit verwenden? Was geschieht, wenn eine Gesellschaft auf vergangenes Wissen sowie auf Literatur und Poesie verzichtet? Was wie eine willkürliche Aneinanderreihung von Fragen klingt, steht in direkter Verbindung zu Ray Bradburys Roman „Fahrenheit 451“. Diesem Klassiker wurde eine Graphic Novel gewidmet, die jetzt auch in der deutschen Übersetzung bei Cross Cult erhältlich ist.

von Daniel Pabst

Die in diesem Jahr erschienene Graphic Novel „Fahrenheit 451“ von Víctor Santos soll der Geschichte von Ray Bradbury einen neuen Anstrich verleihen. Bereits mehr als 70 Jahre ist es her, dass Bradbury seinen Roman im Jahre 1953 veröffentlicht hat. Seitdem haben sich manche Vorstellungen bewahrheitet, andere dagegen sind ausgeblieben. Für wen ist die Graphic Novel geeignet? Braucht es überhaupt eine solche? Und wie hat der Künstler Santos den Roman umgesetzt?

Das Narrativ von „Fahrenheit 451“ wird vielen Leserinnen und Lesern dieser Rezension wohl bekannt sein – teils hat man das Buch aus Eigeninteresse gelesen oder es wurde von Freunden empfohlen, teils musste man es als Schullektüre lesen und analysieren. Im Roman geht es um eine dystopische Zukunft, in der Bibliotheken und der Besitz von Büchern verboten sind. Wer Bücher bei sich aufbewahrt, den besuchen „Feuermänner“, die statt Brände zu löschen, die Aufgabe haben, Brände zu verursachen und die beschriebenen Seiten mit Flammenwerfern vernichten und nichts als Asche hinterlassen.

In diesem wahr gewordenen Albtraum, bei dem Ray Bradbury bewusst Bezug nimmt auf die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten, scheint dieses Vorgehen zur Normalität zu gehören. Die Bürgerinnen und Bürger verlieren mit dem gesammelten Wissen auch ihre Fähigkeit, selbst kritisch zu denken und die Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen. Ihr Mitgefühl wird durch die Brände ebenso „ausgelöscht“ wie auch ihr Interesse an Geschichten. Statt sich über gesellschaftliche Themen und vergangene Ereignisse sowie Persönlichkeiten zu unterhalten und miteinander zu streiten, lassen sich die Menschen in „Fahrenheit 451“ von digitalen Belanglosigkeiten berieseln. Wie lange kann das gutgehen?

Der Protagonist aus „Fahrenheit 451“ ist der Feuer(wehr)mann Guy Montag. Er übt seinen Beruf seit 10 Jahren aus und hat seine Arbeit bislang nie hinterfragt. Doch eines Tages trifft er auf eine neue (etwas seltsam erscheinende) Nachbarin, die ihm sagt: „Ich bin 17 Jahre alt und ich bin verrückt“. Sie macht gerne nächtliche Spaziergänge und mag es, durch den Regen zu laufen – eine Figur, zu der Bradbury einst in einem Interview gesagt hat: „(She) was in love with books and libraries and life. (…) Clarisse is me“. Die Unterredung mit ihr entfacht einen Funken, den Montag nicht mehr im Keim ersticken kann und der sich immer weiter ausbreitet. Der Feuermann fängt an, die Einstellung der Gesellschaft und sein eigenes Verhalten zu hinterfragen. Zu diesem Zeitpunkt weiß er noch nicht, welche Folgen das eigene Denken mit sich bringen kann …

Viel mehr soll vom Inhalt dieses Klassikers – den Ray Bradbury passenderweise in einer Bibliothek geschrieben hat – nicht verraten werden. Von den insgesamt 160 Farbseiten dieser Graphic Novel befindet ihr euch inhaltlich jetzt auch erst auf Seite 30. Es wird also noch so einiges passieren, und der Feuermann wird sich mit der Frage konfrontiert sehen, wie weit er gehen möchte und auf wen er in seinem Umfeld zählen kann, wenn es hart auf hart kommt. Dadurch, dass viele Details offen gelassen werden, kann „Fahrenheit 451“ auf die unterschiedlichsten Themen und Fragen angewendet werden. Es ist kein Wunder, dass dieser Roman daher auch heute noch gelesen und in Debatten herangezogen wird.

Kommen wir nun zur Umsetzung des Romans in die vorliegende Graphic Novel. Bereits bei der Übersetzung hat Silvano Loureiro Pinto darauf aufgepasst, dass die Doppeldeutigkeit des Wortes „Fireman“ nicht verloren geht. Hier lesen wir nämlich das Wort Feuermann, welches sowohl als Brandstifter als auch als Feuerwehrmann ausgelegt werden kann. Das ist gut gelungen. Víctor Santos Zeichnungen folgen einem minimalistischen Ansatz. Wie schon auf dem Cover zu betrachten ist, stellt er das Wesentliche in den Vordergrund. Die drei Kapitel „Herd und Salamander“, „Sieb und Sand“ sowie „Lichterloh“ werden ergänzt durch vier Seiten mit Charakterdesigns. Die Zeichnungen sind in Pastelltönen gehalten, was der Geschichte etwas Märchenhaftes gibt. Dieser Effekt erzielt seine Wirkung. Die Dystopie erscheint dadurch in weiter Ferne und lässt immer wieder erschaudern, wenn man begreift, wie nah manche Inhalte von „Fahrenheit 451“ bereits sind.

Dass sich Brandstifter ihrer Taten nicht immer bewusst sind, hat bereits der Schriftsteller Max Frisch mit dem Werk „Biedermann und die Brandstifter“ (Hörspiel-Version von 1953) gezeigt. Das von Bradbury verwendete Bild der Feuermänner, welche Brände nicht löschen, sondern entfachen, ist eine ebenso eindrucksvolle Warnung. Ob man dieses Bild auf die Welt des (Medien-)Konsums, des sozialen Miteinanders, der Digitalisierung, der Politik oder auf andere Bereiche überträgt, bleibt den Lesenden überlassen. Wie schon Ray Bradbury lässt auch Víctor Santos in seinen Zeichnungen und der engen Bindung an das Original ausreichend Raum für die eigenen (kritischen) Gedanken.  

Fazit: Diese Adaption macht den Klassiker von Ray Bradbury zugänglicher. Die Zeichnungen von Víctor Santos tragen dazu bei, dass sich die warnenden Bilder noch stärker im Gedächtnis einprägen. Die Graphic Novel bleibt dem Werk treu und erfindet nicht viel hinzu. Die Botschaften von Bradbury kommen weiterhin an. Es scheint schwer möglich, einen Brand zu löschen, wenn die einzigen, die dazu in der Lage wären, ihn selbst entfacht haben! „Fahrenheit 451“ bleibt daher aktuell und bietet erschreckend viele Anwendungsmöglichkeiten. In einer Welt, in der die Aufmerksamkeitsspanne durch soziale Medien immer stärker zurückgedrängt wird, kommt die Graphic Novel „Fahrenheit 451“ gerade noch rechtzeitig, um dafür zu werben, dass Bücher zum Lesen da sind und Lesen sehr gut investierte Zeit ist. Oder mit den Worten von Ray Bradbury höchstpersönlich (aus dem Interview: „The Big Read: A Conversation with Ray Bradbury“): „Libraries is people. It’s not books. People are waiting in there. Thousands of people who wrote the books (…). Books are smart and brilliant and wise.“

Fahrenheit 451
Comic
Ray Bradbury, Víctor Santos
Cross Cult 2024
ISBN: 978-3-98666-478-7
160 S., Hardcover, deutsch
Preis: 22,00 EUR

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