equinox – Regel-Handbuch

Ein Indie-Verlag entwickelt ein Rollenspiel und kann es schließlich bei einem großen Rollenspiel-Verlag unterbringen: Ein schönes Beispiel für die lebendige Rollenspielkultur, die sich in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt hat, vor allem, wenn das fertige Produkt auch noch eine ordentliche Qualität besitzt. Mal schauen, ob das auf das Science-Fantasy-RPG „equinox“, eine Kooperation der Verlage Pro-Indie und Uhrwerk, zutrifft.

von Bastian Ludwig

30.000 Jahre in der Zukunft ist die Erde zerstört, die Menschen sind auf fünf Reiche verteilt, die sich zum sogenannten Konsortium zusammengeschlossen haben. Doch die Regierung der Menschheit ist unterwandert von den Dämonen, Wesen von außerhalb der physischen Welt, die diese erobern wollen. Als Vaganten stehen die Spieler am Rande der Gesellschaft, verdingen sich als Schmuggler, Spione, Ganoven oder Händler, erforschen den Weltraum oder kämpfen gegen das verderbte Konsortium. Dabei hilft ihnen die mystische Energie, eine magische Kraft aus einer anderen Dimension.

Mehr möchte ich zur Welt von „equinox“ hier gar nicht schreiben, denn es gibt auch noch eine Besprechung des zugehörigen Setting-Bandes, wo dafür mehr Platz ist. Hier soll es um die Regeln gehen. Und die bewegen sich grundsätzlich erst einmal im Rahmen des Rollenspiel-Standards; die Autoren schreiben auch, dass sie sich für ihr sogenanntes Match-System bei anderen Rollenspiel-Systemen haben inspirieren lassen, unter anderem bei „Earthdawn“, „Shadowrun“ und „Fate“. Dabei versuchen sie, einen Mittelweg zwischen harten Regeln mit Zahlenwerten und Würfelproben sowie weichen Regeln, die das erzählerische Moment betonen, zu finden. Die Vorbilder werden dabei grundsätzlich sorgfältig zu einem nachvollziehbaren und auf das Setting passenden Regelwerk mit kleinen Ecken und Kanten zusammengeschmiedet. Im Folgenden soll es um einige Details gehen, die dabei aus meiner Sicht herausstechen.

Das Match-System arbeitet ausschließlich mit sechsseitigen Würfeln. Gute Sache; je weniger Würfeltypen, desto einfacher. Die Fähigkeiten des Charakters plus eventuelle Boni und Mali bestimmen die Anzahl der zu würfelnden Würfel, mit dem Ergebnis muss ein Schwierigkeitswert überboten werden.

Die Charaktererschaffung funktioniert nach einem Kaufsystem und ist vielfältig und ziemlich frei. Damit kann man sich also einen Charakter ganz nach Maß basteln. Toll dabei ist, dass man mit einem höheren Punkteguthaben auch fortgeschrittenere Charaktere erschaffen kann. So müssen Ungeduldige und Gelegenheitsspieler nicht ewig lange auf Erfahrung warten, sondern können auch mal gleich eine echte Legende des Universums spielen.

„equinox“ verlässt sich nicht nur auf Zahlenwerte, um Welt und Charaktere zu definieren. Zusätzlich gibt es noch „Tags“, die den aus dem Fate-System bekannten „Aspekten“ ähneln. Tags sind kurze Beschreibungen von allen möglichen Dingen, die in der Spielwelt vorkommen. Charaktere können zum Beispiel „Faul“ sein, Organisationen können „Spitzel auf fast jeder Raumstation“ haben, Kreaturen können vielleicht „Angst vor Feuer“ haben; jede sinnvolle Beschreibung ist denkbar. Durch Tags kann man sich Vorteile verschaffen. Dazu muss man auf sinnvolle Weise erklären, warum ein bestimmtes Tag in einer bestimmten Situation eine positive Wirkung haben sollte. Auf die gleiche Weise kann man einem Gegner auch Nachteile durch ein Tag herbeierzählen. Das ist super, werden dadurch doch Einfallsreichtum und narratives Vorgehen gegenüber ödem Würfeln gefördert. Das macht die Spielrunde kommunikativer, bunter, unterhaltsamer.

Weniger gelungen finde ich hingegen folgenden Mechanismus: Jedes Mitglied der Spielrunde hat das Recht, sich selbst oder jedem anderen Spieler einen Deal anzubieten: Der Spieler erleidet durch ein Tag Nachteile, dafür bekommt er Karmapunkte (Punkte, durch deren Einsatz man etwa einen Würfelwurf wiederholen kann) zurück. Der Knackpunkt: Der Angebotsempfänger darf das Angebot nicht ablehnen. Tut er es doch, muss er das mit einem Karmapunkt bezahlen. Aus meiner Sicht sind da Konflikte vorprogrammiert. Tags und ihre Auswirkungen sind ja per se auslegungsfähig. Was, wenn der betroffene Spieler mit der Erklärung oder den Folgen nicht einverstanden ist? Dann dürfte das die Stimmung in der Gruppe trüben. Meiner Meinung nach sollte es – solange das Rollenspiel nicht konkret darauf ausgelegt ist – der Spielleiter sein, der den Spielern Hindernisse in den Weg legt, nicht die Spieler untereinander.

Entscheidend für Charaktergestaltung und Spiel sind natürlich die Fertigkeiten. Davon gibt es in „equinox“ nur 18. Die Autoren schreiben, sie haben auf ausufernde Fertigkeitenlisten verzichten und den Spielern damit Flexibilität beim Umgang mit Aufgaben ermöglichen wollen. Das ist erst mal ein sinnvoller Ansatz. Allerdings wird er vom Probenmechanismus unterlaufen. Jede Probe wird auf Basis einer Kombination aus einer der 18 Fertigkeiten und einem von sechs Hauptattributen abgelegt. Die Krux: Anders als bei vielen anderen Rollenspiel-Systemen sind den Fertigkeiten keine festen Attribute zugeordnet. Sie lassen sich frei kombinieren; auch dies wieder im Sinne der Flexibilität. Das führt also unterm Strich zu 108 Möglichkeiten, aus denen man bei einer Probe auswählen kann. Aber da endet es noch nicht: Bei „equinox“ haben alle Spielercharaktere Zugriff auf magische Kräfte. Dabei kann jeder Charakter jederzeit auf einen kleinen Pool an charakterspezifischen und auf einen großen Pool an allgemeinen Kräften zugreifen; insgesamt etwa 100 Stück. Unterm Strich müssen sich die Spieler und der Spielleiter bei jeder Herausforderung also mit einer Liste von über 200 Fähigkeiten auseinandersetzen.

Überhaupt sind die magischen Kräfte eine weitere Besonderheit von „equinox“, da, wie gesagt, alle Charaktere darauf Zugriff haben. Und die Bedeutung der Kräfte sorgt auch dafür, dass man nicht so einfach darauf verzichten kann. Platt gesagt: In „equinox“ muss jeder zumindest im Ansatz einen Magier spielen. Nun sind magische Charaktere meiner Erfahrung nach schon in Fantasy-Settings nicht jedermanns Sache, geschweige denn bei Science-Fiction. Bei der Entscheidung, ob man zu „equinox“ greift, sollte man sich also im Klaren darüber sein, ob alle Mitglieder der Spielgruppe Lust auf allgegenwärtige Magie haben.

Was lässt sich zur Aufmachung des Bandes sagen? Das Buch kommt im quadratischen Format daher. Das ist ungewöhnlich, liegt aber gut in der Hand und passt auch auf einen kleineren Rollenspieltisch. Die einzelnen Kapitel werden von farbigen Zeichnungen eingeleitet, durch die man einen gewissen Eindruck des Settings bekommt, immer wieder gibt es Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Für einen Regelband ist das vollkommen ausreichend. Die Texte sind gut lesbar und verständlich und die Seiten nachvollziehbar strukturiert. Ingesamt kann die Aufmachung also überzeugen.

Fazit: „equinox – Regel-Handbuch“ vermischt verschiedene Rollenspiel-Systeme zu einem gut auf die Spielwelt abgestimmten System, das hier und da den eigenen Ansprüchen nicht ganz gerecht wird, insgesamt aber stimmig daherkommt und durch klare und knappe Regeln überzeugt.


equinox – Regel-Handbuch
Grundregelwerk
Carsten Damm (Hrsg.)
Uhrwerk Verlag 2016
ISBN: 978-3-958670-60-0
308 S., Hardcover, vierfarbig, deutsch
Preis: EUR 39,95

bei amazon.de bestellen