von Bernd Perplies
Es war abzusehen, dass die Second Edition kommen würde – früher oder später kommen sie immer, denn wie soll man ein Rollenspielsystem über die Jahre jung und dynamisch halten, wenn man ihm nicht ab und zu eine Frischzellenkur verpasst. Das runderneuerte Grundregelwerk zum „Babylon 5“-RPG ist mit 360 vollfarbigen Seiten nicht nur 60 Seiten dicker als sein Vorgänger, es sieht im Inneren auch um einiges moderner aus. Der etwas billig wirkende Seitenrahmen des Vorgängers wurde durch schicke Zierelemente ersetzt, den mitunter an eine Bleiwüste erinnernden Satzblöcken im Flattersatz durch eine etwas feinere Schrifttype, einen leicht erhöhten Zeilenabstand und ordentlichen Blocksatz zu Form und besserer Lesbarkeit verholfen. Eine übersichtliche Kapitelstruktur und der sinnvolle Einsatz von Überschriften, Kästen und Tabellen vervollständigen das Bild eines deutlich verbesserten Layouts.
Das Problem der vergleichsweise schlechten Bildqualität der Filmfotos konnte leider nicht wirklich behoben werden. Noch immer sind die Bilder oft verschwommen oder kontrastarm, getrickst wurde ein bisschen dadurch, dass die Fotos einfach verkleinert wurden, sodass es nicht so auffällt. Das wäre durchaus in Ordnung gewesen, doch man stellt sich die Frage, warum solch fette Zierbalken an zwei der vier Bildseiten hinzugefügt wurden. Meines Erachtens nicht unbedingt ein ästhetischer Gewinn. Einfach rechteckige Fotos hätten besser ausgesehen. Zudem fällt auf, dass das Regelwerk mit weitaus weniger Bildmaterial auskommen muss, was vor allem für Leute, welche die Serie nicht in und auswendig kennen, etwas schade ist.
Doch zum Inhaltlichen: Nach wie vor basiert das „Babylon 5“-RPG auf dem bekannten, von Mongoose in einigen Teilen modifizierten d20-System. Ein starkes Argument für diese Second Edition war sicher die Implementierung der Charaktergenerierungsregeln. Während man für die First Edition noch ärgerlicherweise das „Dungeons & Dragons: Player’s Handbook“ benötigte (wie in der Anfangszeit des d20-Hypes üblich), ist „Babylon 5“ heute ein vollwertiges, eigenständiges Spiel, dass eben nicht mehr unter dem Label „d20“, sondern unter der Open Gaming License (OGL) läuft.
Mit den Charaktergenerierungsregeln wurden einige kleinere Anpassungen vorgenommen, die im Detail in „Appendix B: Conversion Notes“ aufgeführt sind (für diejenigen, die es interessiert). So wurden neben den Menschen, Centauri, Narn, Minbari und Brakiri die Abbai und die Pak’ma’ra als Standardrassen ins Grundregelwerk aufgenommen.
Als neue Klassen wurden der „Trader“ und der „Ranger“ hinzugefügt, sodass man diese Professionen nicht erst später im Spiel aufnehmen kann, sondern gleich zu Beginn. Außerdem wurden alle Klassen auf 10 Level beschränkt, statt der normalen 20 Level. Dadurch sollen zweifelsohne Multiclass Characters, im „Babylon 5“-Universum sicher keine Seltenheit, befördert werden. Neu eingeführt wurde der Wert „Influence“, der – nomen est omen – den Einfluss eines Individuums auf seine Umwelt auch regeltechnisch etwas stärker festlegt.
Das „Skills“-Kapitel wurde komplett überarbeitet. Nicht nur findet man jetzt alle Skills, die zu einem vollständigen d20-System gehören (von „Acrobatics“ über „Intimidate“ bis „Sense Motive“), es wurden auch fast alle Einträge, die bereits existierten, deutlich erweitert, Regeln klarer dargestellt und typische Anwendungen inklusive Beispielen aufgeführt. Das zuvor eher unbefriedigende Kapitel enthält nun endlich alles, was man rund um Fertigkeiten wissen will (sogar Gehälter für den Skill „Profession“). Ebenso wurde das Kapitel „Feats“ umfassend komplettiert.
Das „Influence“-Kapitel ist eine Neuerung der Second Edition. In vielen Systemen wird Einfluss eher ausgespielt, im Falle eines so komplexen Machtgefüges, wie dem des „Babylon 5“-Universums, mag es dem Spielleiter eine Hilfe sein, „Einfluss“ reglementiert zu sehen und vom Grundregelwerk Hilfestellungen zur Ausübung desselben zu bekommen. Es gibt sehr viele Fraktionen, in denen Spieler Einfluss gewinnen können, wobei die Balance insofern ein bisschen gestört scheint, als dass deutlich unterschiedliche Ligen über einen Kamm geschoren werden. So ist es genauso schwer (DC 20) mit „Influence: Ranger“, Zugang zu uralten Ranger-Archiven zu erhalten, wie mit „Influence: Local: Babylon 5“ ein Gerücht in Umlauf zu setzen. Die Regulierung wird möglicherweise über die Charakterklassenanforderungen selbst geleistet – es ist schlicht einfacher, innerhalb der Arbeiter auf Babylon 5 zu Einfluss zu kommen als innerhalb der Rangerhierarchie.
Der Komplex „Telepathy“ wurde leicht überarbeitet und deutlich ausgeweitet. In der First Edition konnte ein Charakter mit einem bestimmten P-Rating (P1 bis P12) nur die Fähigkeiten anwenden, die kleiner/gleich seinem P-Rating waren. In der Second Edition ist das P-Rating nur noch der Ausgangspunkt für einen Power-Wert, der erreicht werden muss, um eine Fähigkeit anzuwenden. „Mental Efford“, also die Bereitschaft, non-lethal damage (Erschöpfungsschaden) zu nehmen, heißt jetzt das Zauberwort, um Telepathie anzuwenden. Je nachdem, wie hoch das eigene P-Rating ist, muss man sich eben mehr oder weniger anstrengen, um beispielsweise einen „Deep Scan“ (Power: 10) durchzuführen. Neben dieser Flexibilisierung des Einsatzes von telepathische Fähigkeiten wurde auch das Angebot an „Kräften“ deutlich erhöht.
Gleiches gilt für das Kapitel „Equipment“ – früher „Equipment and Vehicles“. Gab es bisher nur Beschreibungen und Preislisten für Waffen, einige allgemeine Güter, Kleidung & Rüstungen sowie recht umfangreiche Fahrzeugtabellen, wurde das Kapitel jetzt um die sehr interessanten Abschnitte „Services“, „Lifestyle“ und „Drugs“ ergänzt (Informationen, die teilweise dem sehr guten Quellenbuch „The Zocalo“ entnommen wurden). Dafür wurden die Zeichnungen der Handfeuerwaffen gestrichen und den „Spacecraft, Aircraft and Surface Vehicles“ wurde ein eigenes Kapitel hinter dem Raumkampf spendiert.
Dass die Kapitel zum Kampf durch die Anwendung von OGL statt d20-Lizenz deutlich an Umfang gewonnen hat, braucht wohl kaum extra erwähnt zu werden. Satte 28 Seiten werden allein dem „Personal Combat“ gewidmet. Regelfanatiker finden hier wirklich jede Finesse, um einen Kampf abwechslungsreich (und kompliziert) zu gestalten. Fans von cineastischen Schlagabtauschen sollten sich hier ihre „Hausregeln“ aus der Vielzahl an Optionen zusammenstellen.
Den „Space Combat“ indes hat Mongoose Publishing komplett überarbeitet und ganz frech von sich selbst geklaut: nämlich ihrem „WARS“-RPG, einer Produktreihe, die im Moment auf Eis liegt. Das relativ abstrakte System, das sich explizit von Visualisierungen durch Miniaturen distanziert, wird vor allem unter Großkampfschiffen durch eine Reihe von Manöverbefehlen geführt, die unterschiedliche Effekte auf den endgültigen Angriffswurf und Verteidigungswert haben. Je nach Güteklasse von Captain und Crew stehen mehr oder weniger Befehle zur Verfügung, im Schnitt sind es jedoch zwei bis drei. Zur Auswahl stehen Offensivbefehle, Defensivbefehle und taktische Manöver. Die Reihenfolge ist egal, man kann sogar einzelne Orders als Responses zurückhalten. Alle Manöver besitzen atmosphäresteigernde Titel, etwa „All Hands... Fire At Will!“ oder „Pull Back“ oder „Ram Them!“. Eine Kampfrunde besteht folglich aus dem abwechselnden Ansagen und Durchführen von Manövern, dem Ablegen der Würfelproben und dann der möglichen Schadensermittlung.
„Atmospheric and Surface Combat“ ist ein vergleichsweise kurzes Kapitel, das sich im Wesentlichen auf die Abweichungen zum „Space Combat“ konzentriert, die für Gefechte zwischen Jagdmaschinen und Fahrzeugen von Bedeutung sind.
Die bereits oben angesprochene Auflistung der „Spacecraft, Aircraft and Surface Vehicles“ gibt sich gegenüber den Fahrzeuglisten der First Edition wenig. Einige Schiffe wurde neu hinzugefügt, ein paar wurden (vermutlich aus Platzgründen) gestrichen. Schön sind die neuen Illustrationen, die keine (allzu dunklen) Filmfotos mehr sind, sondern als Digitalmodelle daherkommen. Leider wurden – im Gegensatz zur First Edition – nicht mehr alle Fahrzeuge bebildert, sondern nur noch ungefähr jedes zweite.
„Game Mastering“ nennt sich das sehr umfangreiche Kapitel, in dem diverse Teile, die in der First Edition über den ganzen Band verteilt waren, ein Zuhause gefunden haben. Nicht nur das alte Kapitel „Campaigns“ mit seinen Tipps, wie man eine Kampagne entwickelt, sowie den Prestige Classes ist hier enthalten, auch eine „Babylon 5“-Timeline, Regeln zum Levelaufstieg und zahllose regeltechnische Hintergrundinformationen zum Handel, zur Raumfahrt und den klassischen Environment Hazards (Zero-G, Fire, Vacuum usw.) sind hier zu finden.
Das Kapitel „All Alone in the Night...“, das die Station „Babylon 5“ und seine Bewohner in einem Überblick vorstellt, ist inhaltlich praktisch unverändert geblieben. Einzig als Startjahr wird jetzt 2259 statt 2258 angegeben, das heißt statt Sinclair steht Sheridan auf der Kommandobrücke und einige Nebenfiguren der ersten TV-Pilotfilms wie Ltd. Cmdr. Laurel Takashima oder Dr. Benjamin Kyle werden nicht mehr aufgeführt. Außerdem vermisst der kundige First-Edition-Besitzer alle Location-Maps – etwa zum Zocalo, dem C&C oder der Poststelle (!), die im ursprünglichen Grundregelwerk zwar in hässlichem C64-grün, aber dennoch irgendwie informativ den Text aufgelockert hatten. (Ich hoffe hier auf das für August angekündigte Quellenbuch „Guide to the Station“.)
Das letzte Kapitel „... and the Sky Full of Stars“ wurde so gut wie gar nicht angetastet. Die Hintergrundinformationen zu den verschiedenen Facetten des „Babylon 5“-Universums, darunter ein Überblick der wichtigsten Machtblöcke, sind unverändert in die Second Edition übernommen worden.
Eine Auflistung aller „Space Combat Orders“, Konvertierungshinweise, der vierseitige Charakterbogen, ein Index sowie die sehr gute, altbekannte Sternenkarte des „Babylon 5“-Universums im Buchumschlag runden das Grundregelwerk ab.
Fazit: Die Second Edition des „Babylon 5“-RPG, die unter der OGL von Mongoose Publishing herausgegeben wurde, kann guten Gewissens als rundes und in drei Jahren gut gereiftes Grundregelwerk zu einem der spannendsten Science-Fiction-Setting überhaupt bezeichnet werden. Regeltechnisch ist der schwere Hardcoverwälzer jetzt wirklich komplett zu nennen, das Layout wurde erheblich verbessert, viele Kapitel wurden erweitert, viele Abschnitte verdeutlicht. Perfekt, kann man nur sagen.
Zwei Wermutstropfen gibt es indes: Zum einen wurde die Bebilderung auffällig zurückgeschraubt – es fällt nicht so ins Gewicht (ein Verdienst des klaren Layouts), doch als Fan hätte man sich doch ein paar Bilder mehr gewünscht, vor allem in der Hintergrundkapiteln, in denen es früher beispielsweise Szenenfotos von Centauri Prime oder dem Psi-Corps-Hauptquartier gab. Zum anderen wurde das komplette Kapitel „Signs and Portents“, also das in die First Edition integrierte Season-Scourcebook zur ersten Staffel der TV-Serie, gestrichen. Das macht schon Sinn, denn solch ein umfangreiches Quellenmaterial ist nicht unbedingt für ein Grundregelwerk geeignet. (Jetzt wird auch klar, warum der Spielstart auf 2259 verlegt wurde, ist doch „The Coming of Shadows“ das erste eigenständige Season-Sourcebook.) Dennoch vermisst man das Material, das für Spieler im Moment nicht mehr verfügbar ist.
Ungeachtet dieser kleinen Kritikpunkte ist das Buch eine unbedingt empfehlenswerte Investition – und dies nicht nur für Neueinsteiger, die nach einem abwechslungsreichen und spannenden Science-Fiction-Setting suchen, sondern auch für alte Hasen mit der First Edition im Schrank, denn erst jetzt besitzt das „Babylon 5“-RPG wirklich ein echtes, eigenes und sehr gutes Grundregelwerk!
Babylon 5 – The Roleplaying Game (Second Edition)
Grundregelwerk
Gareth Hanrahan, Ian Belcher u. a.
Mongoose Publishing 2006
ISBN: 1-905471-20-3
360 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 49,95
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