Die Tochter der Schlange

Der deutsche Übervater der Fantasy, Wolfgang Hohlbein, fördert mit persönlichem Einsatz Nachwuchstalente. Seinem Einsatz und Namen ist es wohl zu verdanken, dass ein relativ unbedeutender Preis, der 2006 in Leipzig zur Buchmesse zum vierten Mal vergeben wurde, recht hohen Bekanntheitsgrad errang. Die vierte Preisträgerin des "Wolfgang Hohlbein Preises" ist die Tübinger Autorin Evelyne Okonnek, die für ihren Romanmanuskript "Die Tochter der Schlange" ausgezeichnet wurde. Dieser Roman liegt nun in der Ueberreuter Reihe "Meister der Fantasy" vor.

von Jens Peter Kleinau

 

 

Einst wurde das schöne Land Lenahar vom Krieg mit ihrem Nachbar Auqir zermürbt. Als dann kaum noch etwas übrig war, für das es sich zu kämpfen lohnt, beschloss man, in Zukunft in Frieden zu leben und den Frauen die Macht zu geben, damit jene, die Leben schenken, das Leben auch fürderhin schützen würden.

Der Hüterin der Weißen Schlange kommt dabei eine besondere Rolle zu und so ist es ein hohes Streben für jede junge Bewohnerin Lenahars, diese Position zu erhalten. In einer Prüfung muss eine Bewerberin ihre Eignung und ihre magisches Talent beweisen, mit dem sie dann über das Volk wachen soll. Die junge Liahnee ist für alle Bewohner Lenahars die aussichtsreiche Kandidatin für das Amt der Hüterin. Doch nur ihr Bruder Minohem weiß, dass die junge Frau fast kein magisches Talent besitzt.

Als ob dies nicht schwierig genug wäre, ein Amt auszufüllen, für das man scheinbar nicht die Eignung mitbringt, überstürzen sich die schlechten Nachrichten und die Katastrophen scheinen nicht abzunehmen. Riesige Ungeheuer, Drachen und Wölfe tauchen auf. Und plötzlich wird Liahnee in eine völlig andere, finstere Welt geschleudert, scheinbar ohne jede Erinnerung an ihre Vergangenheit. Dort beginnt ein völlig neues Abenteuer für sie, doch auch ihre Vergangenheit will nicht ruhen.

Das Verlagsetikett "Meister der Fantasy" deutet für unwissende Käufer eine Gleichstellung der Autorin mit den großen FantasyautorInnen der Literatur an. Dem ist aber nicht so. Es ist eine Reihe, die auch "Blaues Band der Fantasy" heißen könnte und wirklich nicht viel über die Qualität des Buches oder des Verfassers aussagt. Daher wäre es unverschämt und falsch, die Leistung der Autorin an dem Etikett zu messen, das ein Verkäufer auf ihr Buch geklebt hat.

Als Debütroman ist der vorliegende Band in meinen Augen tatsächlich ungewöhnlich gut gelungen, von einem Meisterwerk ist er allerdings noch weit entfernt. Die Stärke der Autorin liegen in der Vermittlung von Eindrücken ihrer Protagonisten und der Atmosphäre der Fantasyszenerie. Sie beschreibt einfühlsam, aber ohne zu kitschig zu werden, die Erlebnisse ihrer Heldin und verliert dabei weder an flüssigem Schreibstil noch an Unterhaltsamkeit. Verbesserungswürdig sind jedoch die Spannungszenen im klassischen Sinne, die sich mit Geheimnissen, Action und Gewalt beschäftigen, die im Krimi wie in der gut geschriebenen Schwert-und-Zauberei-Fantasy nicht fehlen dürfen.

So erhalten wir einen hervorragenden Anfang eines schönen Romans, der zum Höhepunkt der Handlungen leider nachlässt, doch nicht so stark, dass man das Buch nicht zu Ende lesen will – selbst eine nachlassende Evelyne Okonnek ist noch sehr angenehm zu lesen, sie fesselt aber nicht mehr.

Dass sich die Autorin bei ihrem Roman manch eingefahrener Fantasy-Vorlagenschnipsel bedient und nicht jede Schwarze Magie oder Monster neu erfindet, kann man ihr kaum vorwerfen. Doch ein bisschen mehr Einfallsreichtum in der Wahl manch handelnder Ungeheuer und Personen wäre nicht schlecht gewesen. Immerhin ist manch erfrischender Handlungszug und einige neu erscheinenden Situationen des Romans für den eingefleischten Fantasy-Fan dabei. Für den Fantasy-Neuling bietet der Roman einen netten Einstieg, der nicht allzu finster in die Fantasy-Welt der Literatur führt.

Fazit: Insgesamt ein wenig zu weich gespült für manchen Fantasy-Fan, aber auf jeden Fall sehr unterhaltsam, erscheint hier ein neues Talent, das man sich näher zu Gemüte führen sollte. Bei einem Erstlingswerk muss man immer Abstriche machen, hier angenehm wenige, die hoffen lassen, dass weitere Romane aus derselben Feder irgendwann wirklich zu den Meisterwerken der deutschsprachigen Fantasy gehören.


Tochter der Schlange
Fantasy-Roman
Evelyne Okonnek
Ueberreuter 2006
ISBN: 3800052210
347 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 16,95

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