Die reisende Kaiserin

Am Hof der Kaiserin Rohaja versammeln sich die Mächtigen des Mittelreiches, um sich im Ruhm des Raulschen Reiches zu sonnen. Dazu finden sich Gesandte, Diplomaten und Spione anderer Länder ein, die Verhandlungen führen und Geheimnisse über das größte Reich Aventuriens zusammentragen. Auch die Familie der Kaiserin lebt hier, umgeben von vielen Dienern und Beratern aus aller Herren Lande. Doch der Kaiserhof ist in ständiger Bewegung und reist ununterbrochen durch das Reich und wandert von Pfalz zu Pfalz, um Glanz und Macht wie auch das Gesetz der Kaiserin an Orte abseits der großen und mächtigen Hauptstadt Gareth zu bringen.

von Ansgar Imme

Nachdem alle Bände zu den aventurischen Regionen bereits erschienen waren und auch speziellere Quellenbücher wie die Bände zu den Magierakademien sehr gut angekommen waren, entschied sich der Ulisses Verlag zur Veröffentlichung eines sehr speziellen Hintergrundbandes. Im Gegensatz zu den sonstigen Quellenbänden wurde hier mit Jens Ullrich nicht nur ein alleiniger Autor eingesetzt, auch war dies erst seine zweite Publikation für „Das Schwarze Auge“. Spielern des Rollenspiels ist er bisher nur durch das Promo-Abenteuer „Familienbande“ bekannt, das Teilnehmer einer großen „DSA“-Umfrage erhielten. Allerdings ist der Autor abseits dieses Rollenspiels schon in Erscheinung getreten und hat vor allem bei „Shadowrun“ einige Veröffentlichungen vorzuweisen.Layout, Aufmachung, IllustrationenDas Quellenbuch umfasst 128 Seiten, welches eher den dünneren Ergänzungsbänden entspricht. Zu Anfang war einmal ein Umfang von 176 Seiten durch den Verlag angekündigt worden, doch dieser wurde später ohne Angaben von Gründen gekürzt. Das Layout ist „DSA“-typisch gehalten; grau unterlegte Kästen mit besonderen Hintergrundinformationen ergänzen ab und an den normalen Fließtext.Das Cover und die Illustrationen bieten guten Fantasy-Standard, aber nicht mehr. Oft fehlen hier etwas Dynamik und mehr Kontraste, viele Illustrationen verkommen zu einem Einheitsgrau.  Zudem wurden – wie auch schon in der Spielhilfe „Klingentänzer“ – oft nur allgemeine Aspekte herausgegriffen und auf den Bildern dargestellt. Sinnvoll wären etwa einige weitere Charakterporträts gewesen. Lobenswert ist die Beilage von Plänen einiger Pfalzen, wobei auch weitere davon hilfreich gewesen wären.

Der Inhalt

Nach einem kurzen Vorwort und Hinweisen zur Struktur des Bandes, bringt dieser auf etwa 10 Seiten einige „Ingame“-Stimmen zum Kaiserlichen Hof sowie einen Geschichtsüberblick, wie das Reisekaisertum entstanden ist und wie es sich über die verschiedenen Kaiser und Zeiträume entwickelt hat. Dabei wird auch eine Betrachtung dieser besonderen Art des Herrschens durch Adlige innerhalb und außerhalb des Reiches dargestellt.

Die nächsten etwa 30 Seiten widmen sich mehrere Kapitel lang dem Reisenden Hof sowohl zu Zeiten Rohajas als auch bei vergangenen Herrschern und wie sich der Hof bei Reisen, im Kriegsfall oder bei Audienzen verhält. Hier wird zudem verdeutlicht, was die Ankunft für einen Provinz- oder Stadtherren bedeutet. Für die Fortbewegung und Organisation des Hofes erfährt der Leser einiges über die Planung der Reise und mögliche Reiserouten sowie den Ablauf einer öffentlichen und privaten Audienz und eines Hoftages. Vertiefendes Wissen gibt es über das Verhalten des Hofes im Kriegsfall, die Insignien des Reiches in Form der Reichskrone, Kaiserschwert und einiges mehr. Auch über den Schutz der Kaiserin durch ihre Garden wird geschrieben. Sowohl das private und engere Umfeld der Kaiserin Rohaja als auch die offiziellen Hofämter mit Hofmarschall, Hofkämmerer usw. mit ihren Funktionen, aber auch die mitreisenden Kanzleien, Abgesandte fremder Länder und der Tross oder besondere Personen wie der Hofnarr werden vorgestellt. Im Kapitel „Das Leben im Zeltlager“ wird dagegen die Organisation des Hofes auf Reisen thematisiert und wie die Vorplanung erfolgt. Dazu gehören auch der eigentliche Aufbau, die Struktur und Anordnung, Verhaltensweisen und tägliches Leben. Ergänzt wird dies durch eine Beschreibung von Bällen und Festmählern, Jagden und Turnieren.

Im nächsten, ebenfalls größeren Teil gibt es einen Überblick über einige der kaiserlichen Pfalzen, die für den Hof als Unterkunft und Schutz auf der Reise dienen. Die rechtliche Stellung der Pfalzen wird erläutert und der allgemeine Aufbau beschrieben. Im Detail werden dann einige besondere Pfalzen herausgegriffen und hinsichtlich Lage, Bebauung, Geschichte und heutigem Leben genauer beleuchtet. Hier findet man beispielsweise Informationen über die Pfalz Weißenstein in der Markgrafschaft Windhag als ehemalige Festung gegen die Goblins mit heute leeren Kassen nach dem Besuch der Kaiserin vor wenigen Jahren oder Cumrat im Yaquirtal in Almada als die neueste, prächtigste und größte Pfalz des Reiches und Bollwerk gegen die Novadis im Süden, die seit dem Sturz des Gegenkaisers Selindian Hal weitestgehend verlassen ist und nur von einigen Palastwachen gehütet wird. Aber auch ungewöhnliche Pfalzen wie Burg Geierschrei in der Grafschaft Südpforte in Almada mit ihrer massiven Gestaltung aus purem Stein durch die Erschaffung zwergischer Baumeister wie auch das mitten im Reichsforst in der Grafschaft Waldstein im Königreich Garetien liegende Jagd- und Lustschloss Breitenhain, welches elfische Einflüsse enthält und seit Jahrzehnten keinen großen Ball mehr erlebt hat, finden sich hier.

Der dritte Abschnitt beleuchtet dann die aktuellen Amtsinhaber und Adligen am Kaiserlichen Hof, angefangen bei der Kaiserin persönlich, über ihr direktes Umfeld (etwa Reichsgroßgeheimrat Rondrigan Paligan, Oberst Alrik vom Blautann und vom Berg), ihre Knappen und Mündel (darunter Jarlak von Ehrenstein), Amtsleute wie Hofmarschall oder Hofkämmerin, Kaplane der Zwölfgötter bis zu Gesandten, dem Niederadel und Volke. Neben allgemeinen Beschreibungen und kleinen Geheimnissen erhalten viele Charaktere auch einen geschichtlichen Abriss, Angaben über Beziehungen, Finanzkraft, Werte besonderer Eigenschaften und Talente.

Die beiden letzten großen Kapitel gehen auf den Hoftag im Allgemeinen und den Hoftag zu Ragath im Speziellen ein. Im ersten der beiden Kapitel werden in Berichten und Briefen von verschiedenen Personen der aventurischen Welt vom Hoftag berichtet. Dazu gehören die Vorbereitungen, das Bankett, die Schwerteleite oder auch das Turnier zu Ehren der Kaiserin. Im zweiten größeren Unterkapitel wird dies spielerisch aufbereitet und mit Hintergrundinfos für Spieler und vor allem den Spielleiter versehen. Der genaue Ablauf mit ungefähren zeitlichen Angaben je Tag und die Einbindung von Helden stehen dabei im Vordergrund. Auch auf das Turnier wird genauer eingegangen und mögliche Gegner und Preise für die Sieger aufgeführt.

In zwei kleineren Abschnitten werden abschließend die Geheimnisse und Abenteueransätze („Mysteria et Arcana“) rund um die Kaiserin, ihre Insignien, ihren Hof und Bedienstete und der Pfalzen  sowie in allgemeinen Informationen für den Spielleiter zwielichtige Gestalten, Ämter am Hof für die Helden und der Schutz der Kaiserin vor Attentaten und Gefahren thematisiert. Der Band schließt mit einem Index.

Bewertung

Grundsätzlich bietet die Spielhilfe einen guten und stimmigen Überblick über das Reisekaisertum, den Hof mit seiner Organisation und über wichtige Personen wie auch die Pfalzen. Wer vorher befürchtet hatte, nur allein über den Hof zu lesen, wird hier positiv überrascht, da gerade mit den Pfalzen ein paar schöne zusätzliche Informationen für den Leser aufbereitet werden. Wer sich geschichtlich mit dem irdischen Reisekaisertum auskennt, dem wird hier vermutlich aber zu wenig geboten, oder er wird etliche Teile schon „kennen“ (wenn auch aventurisch aufbereitet). Gerade durch diese irdische Anlehnung geraten manche Texte allerdings auch eher historisch beziehungsweise wirken fast akademisch und dadurch etwas langweilend und schwerer zu lesen.

Inhaltlich bleibt es an mancher Stelle zu oberflächlich. Bei der geschichtlichen Herleitung des aventurischen Kaisertums fehlt es noch an Beispielen, wie das Reisekaisertum ausgelebt wurde, welche Kaiser zum Beispiel viel unterwegs waren, wo sich diese mit ihrem Hof im Krieg befanden usw. Stattdessen wird vor allem die Entwicklung und der Aufbau der Pfalzen beschrieben. Im Kapitel des Hofs auf Reisen findet man zwar etliche Informationen, aber auch hier hätte man noch wesentlich tiefer auf den Kriegsfall, Audienzen oder die Reisevorbereitungen eingehen können. Aber auch das Beispiel für die letzten Reiserouten der Kaiserin hätte man in einer Karte übersichtlich erfassen können. Endlich wieder einmal zusammengefasst und mit schönen Beschreibungen und Illustrationen versehen, werden dagegen die Insignien der Kaiserherrschaft mit Reichsschwert, Reichssiegel, Krönungsmantel usw., bei denen auch auf Insignien eingegangen wird, die gar nicht von der Kaiserin selbst „behütet“ werden, sondern an hohe Adlige vergeben worden sind.

Im Bereich der Kaiserin und ihres Umfelds bleibt es ebenso zu kurz und wenig vertiefend. Vor allem die Familie der Kaiserin mit verstorbenem Bruder, Schwester und Großmutter wird weitestgehend ausgeblendet und sehr vernachlässigt und eine Aktualisierung der Hintergründe nahezu nicht vorgenommen. Lobenswert ist dagegen die Gegenüberstellung der offiziellen und privaten Seite der Kaiserin, wie auch die Auflistung und über ein Organigramm verdeutlichte Struktur der Hofämter. Bei diesen selbst hätte man allerdings noch etwas mehr verdeutlichen können, was diese alles genauer ausmacht, wie ein Tag abläuft und wie man gegebenenfalls auch Spieler respektive Helden dort einbinden kann. Viel zu kurz kommen genauso die normalen Bediensteten und einfachen Leute aus dem Tross oder aus dem Umfeld der Kaiserin. Bis auf kurze Erwähnungen und einem Abschnitt zum Ende des Bandes, wo aber vor allem auf zwielichtiges Gesindel eingegangen wird, liegt der Schwerpunkt komplett beim Adel. Da die Helden oft genug aber selbst auch aus dem einfachen Volk stammen oder mit diesem häufiger in Kontakt kommen werden, wäre eine ausführlichere Erläuterung für den Einbau ins Abenteuer sinnvoll gewesen. Zudem hätte sich für die Beschreibungen auch noch einmal eine andere Perspektive ergeben.  

Zu wenig Abenteuereinbindung und -hinweise muss sich auch die Beschreibung des Hoftages vorwerfen lassen. Der gesamte Text ist wirklich schön zu lesen und liefert einen recht detaillierten Ablauf selbst inklusive Speisen. Die Einbindung der Spieler und Helden bleibt aber mager und läuft oft nur auf Statistenrollen hinaus. Entweder hätte man sich hier mehr Mühe geben müssen oder Vorschläge für sehr hochstufige oder adlige Charaktere machen können.

Abschließend noch zwei eher formale Kritikpunkte: Die Struktur des Bandes ist nicht gelungen. Der Hoftag wird beispielsweise auf zwei Kapitel geteilt, ohne dass es einen Grund dafür gibt. Ähnlich sieht es mit Kapiteln um den Kaiserhof selbst aus. Zudem hätte noch die eine oder andere zusätzliche Karte der Spielhilfe gut getan. Es werden viele kaiserliche Güter und Pfalzen aufgeführt, deren Lage man auch als langjähriger Spieler nur erahnen und mittels längerer Suche ermitteln kann. Hier wäre eine Übersichtskarte eine schöne Ergänzung gewesen.

Fazit: Trotz der zum Teil kritischen Worte bietet die Spielhilfe einen schönen Überblick über den Kaiserhof und seine Strukturen und Personen, sodass es leichter fällt, dort Abenteuer spielen zu lassen oder den Kaiserhof am Rande auftauchen zu lassen. An manchen Stellen wirkt der Band aber unvollständig oder zu oberflächlich. Wer sich zudem mit dem irdischen Vorbild auskennt, wird nur begrenzt Neues finden. Alle anderen können aber durchaus zugreifen, wenn sie das Thema interessiert.


Die reisende Kaiserin
Quellenbuch
Jens Ullrich
Ulisses Spiele 2013
ISBN: 386889277X
128 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 25,00

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