Die Oger

Was passiert, wenn ein Oger plötzlich intelligent wird? Welche Sinnfragen haben die geborenen Kämpfer, wenn man sie lässt? Diesen und anderen Fragen geht Stephan Russbült in seinem Roman-Debüt auf den Grund.

von Lars Jeske

 

„Schon gut, schon gut“, lenkte Mogda ein. „Ich werde eure Prophezeiung erfüllen und mich dem Schicksal beugen. Was muss ich tun?“ – Wenn man auf diesen Satz stößt, hat man schon 290 Seiten des Buches gelesen und staunt, dass es so kurzweilig und so schnell zu lesen war. Nur noch 200 Seiten verbleiben, um die ersten, aber hoffentlich nicht letzten, Abenteuer der Oger mitzuerleben, die uns Stephan Russbült hier schildert. Prophezeiung erfüllen, Krieg verhindern und Oger befreien; das Übliche eben.

Nach all den anderen Fantasyreihen über Zwerge, Elfen, Orks und Co. war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch jemand auf die Oger stürzt, und diese sich dann auf ihre Feinde. Zu meiner großen Überraschung fesselt die Geschichte vom ersten Augenblick an, zumal der Text auf dem Buchrückseite nur der Auftakt ist. Hier heißt es nämlich in bekannter Manier, dass Oger eher durch ihre Hand als durch ihr Hirn glänzen. Der Zufall will es jedoch, dass dem Oger Mogda ein seltsames Amulett in die Hände fällt, welches magisch ist und ihm etwas für ihn Neues verleiht … Intelligenz.

Gleich vom Fleck weg sympathisiert man mit dem Oger Mogda, der vielleicht so eine Art Shrek-Bonus hat. Im Grunde seines Herzens will er ähnlich dem animierten Grünhäuter nur überleben, wodurch das ganz normale Leben eines Ogers im Lande Nelbor schon so gut wie beschrieben ist. Es geht um die nächste Nahrung, ein Quartier und darum, möglichst lange den Hüttenbauern (also Menschen) zu entkommen. Man lernt endlich einmal etwas über das Wesen der Oger und deren einfache Vorstellung von der Welt. Dabei wird die Schlichtheit der Oger vom Autor gekonnt in Szene gesetzt, auch dadurch, als dass sie sich etwa nur unter größten Anstrengungen minimalistisch und grammatikalisch freizügig mit anderen verständigen. Durch die neu gewonnene Intelligenz, mit der sich Mogda erst einmal selber auseinandersetzen muss, setzt er es sich in den Kopf, sein Volk der Oger aus ihrer ungewollten, jedoch auch nicht hinterfragten Knechtschaft zu befreien. Zeit für Pläne bleiben genug, da er alsbald im Namen seines Gottes Tabal zum Kriegsdienst zwangsverpflichtet wird.

Die zweite Hauptperson ist das Mädchen Cindiel, anhand deren man das Leben der Menschen vorgestellt bekommt. Als neben anderen Kindern auch sie bei einem Überfall von Orks und Ogern aus ihrer Heimatstadt Osberg entführt wird, beginnen sich die Handlungsstränge zu verbinden, und es kommt im Verlauf sogar zu einer Freundschaft und Vertrauen zwischen dem durch das Schicksal verbundenen Menschenkind und den Ogern.

Das Buch funktioniert jedoch nicht nur aufgrund der sympathischen Oger und dem Kinderbonus. Hier spielen Inhalt und Form einander gekonnt die Bälle zu. Inhaltlich ist vor allem der guten Erzählweise die Faszination dieses Romans geschuldet. Der Autor entwirft die stimmige Welt Nelbor, in derer größtenteils die Menschen leben, die sich vor den Orks, Trollen und Ogern in Acht nehmen müssen. Drachen, Elfen und Zwerge sind in dieser Welt weitestgehend Randerscheinungen. Dies mag überraschen, lässt jedoch eben mehr Raum für die Oger. Schließlich sollte die Welt in einem Buch namens „Die Oger“ auch aus deren Sicht beschrieben werden und einem die Sitten und Gebräuche dieser Rasse näher bringen.

Da der Klappentext nicht sonderlich aufschlussreich ist, erliest man sich erst im Laufe der Zeit, worum es eigentlich geht, und ist mit dem Voranschreiten der Geschichte immer faszinierter und interessierter zu erfahren, wie alles enden wird. (Worum es genau geht, darf der gewillte Leser allein herausfinden; es lohnt sich auf alle Fälle.) Die Geschichte weicht von der üblichen Erzählstruktur derart ab, alsdass der Oger Mogda selbst gar nicht genau weiß, was ihm das Schicksal für eine Rolle zugedacht hat. Erst durch den Kontakt mit anderen Ogern, in Persona der Gruppe Kampfoger um Rator, Kruzmak und Brakbar, reifen konkrete Pläne. Die gesamte Geschichte wirkt glaubwürdig und hat keine zu unrealistischen Wendungen oder zu viel Glück auf Seiten der Handlungsträger.

Formal sind die Charaktere authentisch angelegt. Selbst Nebenfiguren bekommen ihren Raum und werden derart mit Leben gefüllt, dass man deren Überzeugungen und Beweggründe für ihre Handlungen gut versteht. Vor allem durch die grobschlächtige Art der Oger und deren einfache Sprechweise kann man sich gut in diese Figuren hineinversetzen. Das Zusammenspiel der Oger mit ihrer kleinen Prinzessin Cindiel wirkt glaubhaft, sodass die Kampfmaschinen mit der Zeit auftauen und sogar eine Art Humor haben, derer man sich auch als Leser nicht entziehen kann. Selbstverständlich kommen auch die Kämpfe nicht zu kurz, die zumeist sogar als Gemetzel beschrieben werden und gegebenenfalls etwas brutal wirken. Dies passte jedoch gut, sind doch Oger nicht als filigrane Techniker mit dem Florett bekannt.

Fazit: Mit „Die Oger“ legen die stärksten Typen der Fantasywelten dank Stephan Russbült ein gelungenes Debüt hin. Sowohl sprachlich als auch inhaltlich überzeugt der Roman auf ganzer Linie, sodass man nicht nur spätestens nach diesem zum Oger-Fan wird, sondern auch gern zu möglichen Fortsetzungsromanen greifen wird. Spannend bis zum Ende des Buches. Wer Fantasy mag, der kommt um „Die Oger“ nicht herum. Sehr empfehlenswert.


Die Oger
Fantasy-Roman
Stephan Russbült
Bastei Lübbe 2008
ISBN: 978-3-404-28521-1
494 S., broschiert, deutsch
Preis: 14,00 EUR

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