von Bernd Perplies
Damit hatte die Ärztin Nicole Wakefield (geboren Des Jardin) sicher nicht gerechnet, als sie sich meldete, um gemeinsam mit der zweiten Rama-Expedition das geheimnisvolle Superraumschiff Rama (beziehungsweise ein identisches Schwesterschiff) bei seinem erneuten Besuch im Sonnensystem zu erforschen: Dass sie am Ende zusammen mit ihrem frisch geehelichten Mann, dem Wissenschaftler Richard Wakefield, und dem nach Gott suchenden Ex-Militär Michael O’Toole in dem interstellaren Reisenden stranden und auf große Fahrt gehen würde. Doch genau so kommt es, und so waren Nicole, Richard und Michael am Ende des zweiten „Rama“-Romans – „Rendezvous mit Übermorgen“ – einer ungewissen Zukunft entgegengeflogen.
Im vorliegenden dritten Band wird ihre galaktische Odyssee geschildert, die sie nicht nur in die Ferne führt, sondern tatsächlich sogar noch einmal zurück zur Erde, bevor es wieder ab ins Ungewisse geht. Diese drei Reisen machen im Wesentlichen die drei Inhaltsteile des Romans aus. Der erste Teil wird dabei in Form von Nicoles Tagebuch erzählt und schildert, wie die Reisenden zwischen 2200 und 2213 die Strecke von der Erde bis zu einer fantastischen Raumstation in der Nähe des Sirius zurücklegen. Der Fokus liegt hier auf der Familienbildung – so bekommt Nicole mit Richard und Michael mehrere Kinder – und auf der Art und Weise, wie sich die unfreiwilligen Raumfahrer mit ihrer Situation abfinden und in ein Leben einrichten, das ihrem Befürchten nach aus einer endlosen Odyssee bestehen könnte.
Der zweite Teil handelt von der Begegnung der clarkschen „Robinsons“ mit den Schöpfern von Rama. Hier wird der noch sehr wissenschaftliche Ansatz des ersten „Rama“-Romans endgültig ins Fantastische überführt, wenngleich auch das Wunderbare mit dem, die Romanreihe beherrschenden, trockenem Ernst präsentiert wird. Die Außerirdischen sind vollkommen fremdartig und ihre Motive bleiben weitgehend unverständlich – von galaktischer Völkerverständigung im Sinne eines „Star Trek“ bleibt Clarkes und Lees Vision weit entfernt. Es soll nicht zu viel verraten werden, doch jedenfalls werden Nicole und die Ihren nach einem gewissen Aufenthalt erneut auf die Reise geschickt. Sie sollen zurück zur Erde und die Gründung einer Menschenkolonie im metallenen Leib von Rama ermöglichen.
Deren Entwicklungsjahre werden im dritten Teil des Romans geschildert. Dabei kommt, was beinahe zwangsläufig kommen muss: Der geplante Garten Eden, den Nicole, Richard und ihre Familie vorbereitet haben, wird durch die Machtgier und Dummheit der bunt zusammengewürfelten Gemeinschaft nach und nach ins Gegenteil verwandelt. Dabei zeigen die Autoren mit ihren „Kindern“ keine Gnade: Die Familie wird zerschlagen, und was einst eine Keimzelle einer besseren Menschheit gewesen war, wird durch die Masse, die im Ganzen schlecht ist, so gut der Einzelne auch sein mag, verschlungen. Genusssucht, Fremdenhass und ökologische Verantwortungslosigkeit – überhaupt mangelnde Weitsicht – werden dabei vor allem von den Autoren an den Pranger gestellt.
Im Gegensatz zum ersten und – mit Abstrichen – dem zweiten „Rama“-Roman liegt der Fokus bei „Die nächste Begegnung“ kaum noch auf Science-Fiction, sondern vielmehr auf Social-Fiction. Wie entwickelt sich eine Kleinfamilie in Isolation, welcher Gruppendynamik ist eine Kolonie im All unterworfen. Es werden, gerade im dritten Teil, viele neue Protagonisten eingeführt, wobei Nicole und die anderen ein wenig in den Hintergrund rücken. Das alles liest sich – auch als Kommentar auf die menschliche Gesellschaft an sich – durchaus interessant, allerdings fehlt dem 636 Seiten umfassenden Buch ein wenig die notwendige Spannung, um den handlungsgewohnten Leser bei der Stange zu halten. Man muss schon offen für diese besondere amerikanische Science-Fiction-Tradition sein, die vor einem fantastischen Hintergrund vor allem ein Lebensporträt seiner Protagonisten entfaltet.
Fazit: „Die nächste Begegnung“ ist kein Buch für Science-Fiction-Leser, denen es um Handlung geht. Auf unglaublich vielen Seiten geschieht über weite Strecken kaum mehr als die Beschreibung des Lebens von Clarkes und Lees Protagonisten im All oder auf dem Weg dorthin. Endgültige Antworten gibt es keine, endgültige Auflösungen der Handlungsstränge eigentlich auch nicht – sieht man von ein paar Toten ab. Wer bereit ist, sich auf eine lange Odyssee zu begeben und dabei als stiller Beobachter menschlichen Handelns in einer außergewöhnlichen Situation zu fungieren, wird in dem Buch gute Unterhaltung finden. Für alle anderen zieht es sich ungefähr so zäh wie ein Flug zum Mars.
Die nächste Begegnung
Science-Fiction-Roman
Arthur C. Clarke, Gentry Lee
Bastei Lübbe 2009
ISBN: 978-3-404-24383-9
636 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 7,95
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