Die Hohen

Das goldene Zeitalter ist vorbei. Nachdem sich die Drachenblütigen gegen die Hohen des Himmels erhoben haben und das Antlitz der Welt von ihnen befreit hat, begann das zweite Zeitalter. Über allem thronte die scharlachrote Kaiserin und lenkte mit Hilfe der Dynastien die Länder. Doch vor fünf Jahren verschwand die Kaiserin und das Reich begann zu zerfallen. Das politische System war für keine Nachfolge vorbereitet und so konnten die Hohen des Himmels wieder auf die Welt zurückkehren.

von Sebastian Thies

 

Auf den ersten Blick wirkt dieses Hardcover-Buch gewaltig, doch auf den zweiten sieht man, dass es dann doch „nur“ 380 Seiten hat. Feder&Schwert hat hier dickeres Papier verwendet, was der Lesbarkeit und der Robustheit des Buches, welches im Inneren schwarz-weiß gehalten ist, zugute kommt. Das Wraparound-Cover (das Bild von der Frontseite geht über den Buchrücken zur Rückseite) zeigt verschiedene Charaktere der Hohen. Die Bogenschützin im Vordergrund wirkt wie ein Aufkleber (die Umrandung kann man beim genauen Hinsehen noch erkennen), doch ablösen kann man ihn nicht (zum Glück). Auf den beiden Innenseiten der Buchdeckel ist jeweils farbig die Karte der bekannten Welt abgedruckt. Auch wenn sie anfangs eher klein wirkt, merkt man, wenn man auf die Entfernungsskala schaut, dass hier genügend Platz für Abenteuer und zeitraubende Kampagnen vorhanden ist. Innerhalb des Buches bekommt der Leser zwischen den einzelnen Kapiteln kleine Episoden angeboten, die den Flair des Spieles transportieren und zeigen, welche Art von Setting hier beabsichtigt ist.

Bei den Hohen handelt es sich um ein High-Fantasy-Setting, in dem man einen Hohen der Sonne, eine Art Halbgott, spielt. Vor über 800 Jahren waren die Hohen der Sonne die Herrscher der Welt, doch durch die Dekadenz und Tyrannei, die sich immer weiter verbreiteten, kam es zum Aufstand der Drachenblütigen. Angespornt durch die Hohen der Sterne, die die Fähigkeit besaßen, in die Zukunft zu sehen, kam es zum Krieg zwischen den beiden Fraktionen. Die Hohen der Sonne wurden vernichtet, während sich die Hohen des Mondes an den Rand der Welt zurückzogen. Die Sternenjünger zogen sich zurück und hielten ihre Existenz im Geheimen, während die Drachenblütigen an die Macht kamen.

Eine Seuche, die über das ganze Land einbrach und neun von zehn Menschen tötete, schwächte die Welt so sehr, dass das Lichte Volk (bestehend aus Geistern, Feen und anderen Fabelwesen) in die Welt eindringen konnte und sich ausbreitete. Kurz bevor diese Wesen bis ins Zentrum der Welt vorrücken konnten, eroberte ein Offizierin die als unüberwindbar geltende Festung im Zentrum des Reichs und konnte mit Hilfe der alten Artefakte das Lichte Volk wieder zurück in die Randzonen drängen. Aus dieser Offizierin wurde die scharlachrote Kaiserin die für über 700 Jahre (ja, die Hohen leben etwas länger) das neu gegründete Reich führte.

Doch eines Morgens war sie einfach verschwunden und da das System nicht auf eine Nachfolge vorbereitet war, fing das Reich an zu zerbrechen. Die Dynastien, die unter der Kaiserin standen, konnten sich erst nach längerer Zeit für einen Interim-Regenten entscheiden, der für diese Aufgabe alles andere als geeignet war. Intrigen und politische Machtspiele schwächten das Reich weiter. Viele der Staaten stellten ihre Tributzahlungen ein und Barbarenhorden fielen an den Rändern ins Reich ein, da die Legionen im Zentrum gesammelt waren, um die politische Macht ihrer Herrscher zu stärken. Zu dieser Zeit kamen auch die Hohen der Sonne wieder. Da nur noch selten Jagd auf die Neuerhöhten (wenn ein Mensch erhöht wird, wird er zu einem Hohen einer der Kasten: Sonne, Mond, Sterne, Drachen oder Abgrund) gemacht wurde, konnten sie sich nun wieder sammeln. Hier beginnt dann die Gruppe mit ihren Abenteuern.

Bei diesem Regelwerk ist es mal von Nutzen, die Einleitung zu lesen, da hier nicht wie üblich nur erklärt wird, was Rollenspiel ist, sondern auch ein kurzer Abriss der Geschichte der Welt und Begriffserklärungen für wichtige Wörter bzw. Bezeichnungen in dieser Welt gegeben werden.

Kapitel eins hat den treffenden Namen „Szenerie“ erhalten. Hier wird alles über die Welt aufgeführt. Begonnen wird mit den verschiedenen Hohen, wobei hier der Schwerpunkt auf den Hohen der Sonne liegt, da die es ja auch sein werden, die von den Spielern gemimt werden. Die Kinder der Sonne sind in fünf verschiedene Kasten unterteilt, die je für einen anderen Aspekt des Sonnenstandes stehen. So gibt es zum Beispiel die Kaste der Morgenröte, deren Anhänger die Krieger der Sonne sind. Weiterhin wird in diesem Kapitel das Reich erläutert. Neben der Geographie wird auch die politische, gesellschaftliche und militärische Struktur auf 65 Seiten durchleuchtet. Hier wird zwar nicht alles bis ins Kleinste erklärt, doch wird es noch weitere Publikationen geben, die das vertiefen werden (dass diese jedoch auf deutsch erscheinen werden, scheint leider im Augenblick eher unwahrscheinlich).

Kapitel zwei fällt sehr kurz aus. Auf gerade mal sieben Seiten werden einem hier die Regeln erläutert, jedoch nur die Grundprinzipien in diesem Spiel. Die Regeln für den Kampf und die anderen Dinge folgen erst später. Hier werden einem nur technischen Aspekte des Systems näher gebracht. „Die Hohen“ wird mit dem Storyteller-System gespielt. Hierzu benötigt man 10-seitige Würfel. Ein Attribut und eine Fähigkeit geben an, wie viele Würfel man für eine Aktion würfeln darf. Jede 7 oder höher ist ein Erfolg und umso schwieriger eine Aktion ist, umso mehr Erfolge benötigt man. Dies ist eigentlich alles, was man wissen muss, um die Würfe bei „Die Hohen“ durchzuführen. Viel einfacher geht es nun wirklich nicht mehr. Die Autoren geben hier dem Meister die Möglichkeit, den Spielern Stunts zu erlauben. Darunter versteht man, dass der Spieler genau beschreibt, was sein Charakter vorhat (insbesondere im Kampf). Wenn dem Spieler das im kinematischen Sinne gut gelingt, kann der Meister ihm extra Würfel für die Aktion erlauben. Ich selber finde diese Regel zwar ganz nett, doch sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass die Spieler ihre Aktion verbal ausschmücken, um den Spielspaß zu mehren. Wenn es aber nötig sein sollte, da man ansonsten nur die Worte „Attacke“ und „Parade“ zu hören bekommt, dann kann dies ein gutes Mittel sein, die Spieler zum Spielen zu bringen. Mit Attributen und Fähigkeiten, die einen Wert bis 5 besitzen können, kann man so schon mal 13W10 auf einmal würfeln (da freut sich der örtliche W10-Produzent).

Als nächstes folgt dann die Charaktererschaffung. Auch hier wird auf das altbewährte System, welches man von „Vampire“ oder „World of Darkness“ kennt, zurückgegriffen. Man erhält für die einzelnen Bereiche (Attribute, Fähigkeiten, Hintergründe usw.) Punkte, die man dann frei verteilen kann. Die Punkte, die man hier verteilt, werden dann im vierten Kapitel erläutert, genauso wie die verschiedenen Kasten, aus denen man wählen kann. Im Grundregelwerk gibt es jetzt nur Regeln, wie man einen Hohen der Sonne generiert. Weitere Publikationen werden hier wohl die Auswahl etwas erweitern, da gerade mal nur fünf Kasten zur Verfügung stehen (bei White Wolf sind schon mehrer Regelwerke erschienen, mit denen man auch die anderen Hohen oder gar das Feenvolk spielen kann, jedoch nur auf englisch).

Kapitel fünf beschäftigt sich mit den Charismen und Hexereien, den Dingen, die einen Hohen zu dem machen, was er ist. Jeder Skill besitzt ein Diagramm mit verschiedenen Charismen (magische Fähigkeiten, so ähnlich wie die Disziplinen bei „Vampire“). Die einzelnen Charismen haben Voraussetzungen (einen gewissen Mindestwert in der Fähigkeit, einen Mindestwert an Essenz und mögliche Vorkenntnisse anderer Charismen), die der Charakter erfüllen muss, damit er diese erlernen kann. Diese Fähigkeiten kann er dann mit Essenz aktivieren. Bei Essenz handelt es sich um die magische Energie, die jeder Hohe in sich und in seiner Umgebung sammeln und verwenden kann. Die Charismen sind auf die Skills, zu denen sie gehören, abgestimmt. So hat man unter Kampfkünsten Charismen, die an alte Jackie-Chan-Filme erinnern und jemand, der in der Nachforschung seine magische Fähigkeit liegen hat, lässt Sherlock Holmes wie einen dummen Schuljungen aussehen.

Bei der Hexerei handelt es sich dann um die „wirkliche“ Magie (hier wieder der Vergleich zu „Vampire“: „Tremere“ ist das Einzige, was man dazu sagen muss). Wenn ein Charakter die nötigen Charismen, die er bei der Fertigkeit „Okkultismus“ erlernen kann, besitzt, kann er sich dafür entscheiden, Hexereien zu wirken. Dazu muss er aber jeden einzelnen Spruch, den er wirken will, vorher erlernt haben. Diese Zauber sind um einiges teurer, haben dafür aber auch eine viel größere Macht.

In Kapitel sechs wird nun alles regeltechnisch zusammengeführt. Unter der Überschrift „Dramatik“ wird erklärt, wie man mit den Regeln zum Würfeln und den Regeln für die Fertigkeiten das Spiel zum Laufen bringt, das heißt es wird der Kampf mit allen seinen Feinheiten, die Heilung, die Anwendung von Fähigkeiten usw. erläutert. Mit 39 Seiten ist dieser Teil aber dennoch kurz gehalten und das System konzentriert sich, wie der Name es schon suggeriert, auf das Erzählen der Geschichte. Im Großen und Ganzen sind die Regeln schnell zu erlernen und dürften nicht allzu viele Probleme aufwerfen. Regelfetischisten hingegen werden sich hier wohl etwas mehr wünschen.

In letzter Zeit scheint sich das Prinzip und das Vokabular von TV-Serien ins Rollenspiel eingeschlichen zu haben. In Kapitel sieben bekommt der Meister eine kleine Hilfestellung, wie er seine Kampagne aufziehen, wie bzw. wo er sich Inspirationen besorgen und wie er seine Abenteuer spannend gestalten kann. Jedoch wird das hier nicht Kampagne genannt sondern Serie, was irgendwie etwas fehl am Platze wirkt. Okay, man mag sich die Tricks der Filmemacher zu eigen machen, dies war allerdings auch schon früher der Fall und trotzdem konnte man es Kampagne nennen.

Als nächstes folgt die Würze in der Suppe. Ein Abenteuer ist normalerweise nur so gut wie sein Bösewicht und bei „Die Hohen“ gibt es da eine Menge an potenziellen Kandidaten. Diese werden im achten Kapitel vorgestellt. Vom normalen Menschen, der eigentlich kein größeres Problem darstellen dürfte, über die Monster, die aus der Wyldnis (ja, so wird das hier geschrieben) am Rande der Welt kommen, bis zu anderen Hohen. Mit 51 Seiten müsste eigentlich genügend Raum vorhanden sein, um vieles zu zeigen, doch benötigen viele dieser Antagonistengruppen eine Menge Platz, um ihre Hintergrundgeschichte und ihre Beweggründe zu erläutern. Deshalb gibt es auch für die verschiedenen Hohen keine kompletten Charismentabellen. Es werden nur vereinzelte Beispiele genannt und ein Meister, der einen ausgeklügelten Gegner präsentieren will, muss sich schon eine Menge selber einfallen lassen (es sei denn, man kauft sich die Erweiterungsbände, in denen wohl diese Informationen stehen werden).

Wenn man dann das letzte Kapitel aufschlägt, sieht man schon förmlich die gierigen Blicke der Spieler. Wie ihnen der Sabber die Mundwinkel herunter tropft und sie nur noch ein Wort kennen: meins! Mit Kapitel neun kommt man nämlich schlussendlich zu den magischen Gegenständen. Die Dinge, die ein jeder Charakter haben will und wohl auch irgendwann einmal bekommen wird (da es sich bei „Die Hohen“ um ein sehr magiebetontes Spiel handelt, werden magische Gegenstände wohl auch nicht allzu selten sein).

Fazit: Wer schon immer mal eine Art „Vampire“ im Fantasybereich spielen wollte, ohne dass sein Charakter in Staub zerfällt, wenn er die Sonne erblickt, wird hier richtig sein. Nein, Scherz beiseite. Obwohl „Die Hohen“ seine Herkunft nicht leugnen kann, haben die Macher es hier geschafft, ein wirklich faszinierendes Fantasy-Setting zu generieren und das ganz ohne Elfen, Zwerge und solche Ding (Okay, es gibt Feen und die kleinen Männer in einem Berg im Reich, doch dürften die nicht allzu sehr den Ausschlag geben). Mit den leicht verständlichen Regeln und dem Manga-Flair, den man aber ohne Probleme auch umgehen kann, gibt es hier bestimmt eine Menge an Spielspaß, den man erleben kann (besonders da die Charaktere mehrere hundert Jahre alt werden können). Einziger Wermutstropfen ist, dass man, um das ganze Universum genießen zu können, noch einige der folgenden Regelwerke benötigen wird. Und bei den Preisen, die Rollenspiele heutzutage haben, wird das nicht gerade billig. Andererseits: Verzichtet man mal auf ein paar Pizzen bei den nächsten Sitzungen und bringt stattdessen seine Butterbrote mit, hat man schon man das Geld für das nächste Buch zusammengespart. :-)


Die Hohen
Grundregelwerk
Geoffrey C. Grabowski u. a.
Feder&Schwert 2002
ISBN: 3-935282-59-1
376 Seiten, Hardcover, deutsch
Preis: EUR 37,95

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