von Lars Jeske
Das Eherne Imperium der Zwerge ist dem Untergang geweiht. Seit den letzten Trollkriegen sind durch die Verkettung von Missgeschicken sämtliche Zwergenfrauen aus den Hallen verschwunden, wodurch die Anzahl der Nachkommen beschränkt ist. Trotz dieser Unabänderlichkeit gehen die Zwerge im Allgemeinen einem ruhigen Leben in Zufriedenheit nachgehen. Ein paar Humpen Bier nach einer Schicht im Stollen oder ein gepflegter Bierzwist mit dem Bartbruder und schon ist die Welt in Ordnung.
Nur die wenigsten Zwerge wissen, dass das Ende viel früher kommen könnte, als gemeinhin angenommen wird. Eine Geheimorganisation namens „Der neue Stahl“ schickt sich an, den großen Verwalter zu stürzen und die Macht an sich zu reißen. Deren Mitglieder haben die Zwerge schon lange unterwandert und warten nur noch darauf, die Legende der großen Erzferkelprophezeiung zu ihrem Vorteil zu nutzen. Aber wie üblich bei Prophezeiungen, meist treten sie dann ein, wenn es so weit ist und nicht, wann man es will.
Als die Vorboten der Prophezeiung in den Stollen gesichtet werden, ist es für den großen Verwalter und seine Berater nötig zu handelt; selbst ohne etwas von den Umsturzplänen zu ahnen. Glücklicherweise (also Glück für ihn) hat der Wissende unter den Unwissenden, der Hohepriester, einen Plan. Kurzerhand schüttelt er eine neue, lang vergessene Prophezeiung aus dem Ärmel. Nach dieser gibt es die Legende des Schicksalszwergs, der das Eherne Imperium rettet. Zufälligerweise ist dieser gerade zugegen, sodass er sofort losziehen könnte, um das Ende von allem, jedem und den Rest… aber das sollte man selber lesen.
Das falsche Vorurteil
Das Cover von „Zwerg und Überzwerg“ erinnert an Illustrationen von Paul Kidby oder Josh Kirby für die Romane der Scheibenwelt von Terry Pratchett. Zudem hat das Buch einen Titel, zu welchem der Aufdruck „Endlich! Die Parodie!“ sehr gut passt. Man erwartet ein überdrehtes Gag-Feuerwerk auf das Genre der Zwergen-Fantasy.
Doch die Ernüchterung folgt rasch. Das Buch liest sich anders, als etwa die Parodie „Die Anderen“ von Boris Koch. „Zwerg und Überzwerg“ ist lustig, aber er veralbert sein Sujet nicht, wie zuvor genanntes Werk. Es ist weniger Parodie, dafür originelle und humorvolle Fantasy. Die Produktpräsentation ist somit nicht ganz passend, der Inhalt hält jedoch mehr, als er nicht verspricht.
Das richtige Vorurteil
Der sehr vielseitige Autor Christian von Aster hat seinen ganz eigenen Schreibstil und seine Sicht der Dinge. In seinen Werken spiegelt sich eine Spielart des Humors wider, welche man mögen kann oder nicht. In jedem Fall sind seine Werke jedoch sprachlich sehr gut verfasst und die Geschichten zeugen von einer guten Beobachtungsgabe der Welt.
Nun hat Herr von Aster sein Talent in die Waagschale geworfen, um die Welt mit einer Fantasy-Geschichte gekonnt zu unterhalten. Dieser Themenbereich ist eigentlich nicht sein Metier, aber uneigentlich Danke dafür, die Geschichte trotzdem geschrieben zu haben, denn sie ist ein Highlight moderner Fantasy.
Etwas genauer
Anfänglich liest sich „Zwerg und Überzwerg“ wie normale Fantasy über Zwergen, ganz in der Couleur eines Markus Heitz’ und dessen „Die Zwerge“. Wenn man das andere als das Echte ansieht, dann ist die Geschichte rund um die Große Erzferkelprophezeiung vielleicht so etwas wie ein alternatives Universum. In der Art, wie es Susanna Clarke mit „Jonathan Strange & Mr. Norrell“ für Britannien entworfen hat. Von der groß auf dem Cover angekündigten Parodie sieht beziehungsweise liest man nicht viel. Es ist Fantasy, die humorvoller als gewöhnlich geschrieben ist und die sich selbst nicht zu ernst nimmt. Die gängigen Klischees über Zwerge werden weiter ausgetreten, es geht um Biersaufen, Rauchen und Streiten. Um es jedoch als blanke Parodie zu verstehen, fehlt die starke Überzeichnung.
Allmählich schleicht sich dann, vorrangig durch die Verwendung von Fußnoten, ein Unterton ein, der an die leise Ironie eines Jonathan Stroud in seiner „Bartimäus“-Trilogie erinnert. Die leichten Seitenhiebe auf allgemeine Klassiker (Film/Buch) sind jedoch nicht gezielt beziehungsweise schon als dem Allgemeingut entlehnt anzusehen. Die Geschichte wird lustiger, vor allem die Passagen über den Hohepriester der Zwerge wirken nachhaltig. Eine Vielzahl sehr ansprechender Charaktere wird detailliert entworfen und agiert mit unheimlichem Wortwitz und Leidenschaft für ihre Überzeugungen. Zudem wird dem Leser so ganz nebenbei das komplette komplexe Weltbild dieser Zwerge vermittelt, welches weit mehr als die Physiologie, Psychologie, Religion und Weltanschauung der Zwerge abdeckt. Es fehlt nicht viel, dieses als Karikatur oder vergleichende Übertragung dessen zu sehen, was uns alle so schön menschlich sein lässt und das Gesamtwerk als versteckte Gesellschaftskritik anzunehmen.
Fazit: Boris Koch brachte es auf den Punkt: „Ich habe die Zukunft des Zwergenromans gesehen!“ Selten las man eine so originelle Story über Zwerge, die sowohl lustig, als auch spannend verpackt ist. Christian von Aster gelingt mit „Zwerg und Überzwerg“ ein ironischer Blick auf das Genre und setzt dabei seinen Stil gekonnt ein. Die geliebten Klischees über Zwerge werden ebenso bedient, wie das Zwerchfell der Leser. Wenn sich der Leser vor der Lektüre die Idee der Parodie abschütteln kann, wird ihn das Buch überzeugen. Es ist keine Parodie auf im Sinne einer Veralberung von Zwergen, sondern ein echt gutes Fantasybuch mit den alten Saufköpfen als Protagonisten mit Hand, Herz & Humpen. Glücklicherweise gibt es sogar zwei Fortsetzungen.
Zwerg und Überzwerg (Die große Erzferkelprophezeiung 1)
Fantasy-Roman
Christian von Aster
Egmont/LYX 2008
ISBN: 978-3-8025-8148-9
384 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 9,95
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