von Bernd Perplies
So auch "Der silberne Sessel", der (chronologisch gelesen) sechste und vorletzte Band der Reihe, der jedoch von Lewis 1953 als viertes Abenteuer und direkter Anschluss an "Die Reise auf der Morgenröte" geschrieben worden war.
Eustachius Knilch, der von progressiv-liberalen Eltern (wie's scheint C. S. Lewis ein Graus) erzogene, neunmalkluge Cousin von Edmund und Lucy Pevensie – die in den drei Vorgängerbänden "Der König von Narnia", "Prinz Kaspian von Narnia" und "Die Reise auf der Morgenröte" als kindliche Helden große Abenteuer im magischen Land Narnia erlebt hatten –, ist nach der Seefahrt auf dem Schiff Morgenröte, die er gemeinsam mit Edmund und Lucy in den Sommerferien erlebt hatte, wieder in England angekommen. Einst ein unerträglicher Kerl, wurde er durch seine Zeit in Narnia geläutert und verteidigt nun etwa die Außenseiterin Jill gegen die Anfeindungen der Rowdies ihrer – wen wundert's – progressiv-liberalen Schule.
Auf der Flucht vor eben diesen Rowdies gelangen die beiden Kinder erneut nach Narnia. Dort erwartet sie der Löwe Aslan mit einem Auftrag. Sie sollen Prinz Rilian, den Sohn des mittlerweile greisen Königs Kaspian finden, der auf einer Queste verschwand, eine grüne Schlange zu töten, die einst seine Mutter umgebracht hatte. Viele tapfere Recken verschwanden bereits auf der Suche nach ihm, den Kindern soll mithilfe von vier Hinweisen das Wunder nun gelingen. Auf ihrer Reise, die sie in die wilden Länder des Nordens führt, wo die Riesen hausen, begleitet sie der sauertöpfische Moorwackler Trauerpfützler, ein Pessimist, wie er im Buche steht, und trotzdem die vielleicht treuste Seele, die man sich als Gefährten wünschen kann. Viele Abenteuer und Gefahren erwarten die Kinder – und am Ziel ihrer Reise ein unangenehme Überraschung...
"Der silberne Sessel" war der erste Roman, in dem Lewis die Pevensie-Kinder – Peter, Suse, Edmund und Lucy – nicht mehr vorkommen ließ (in Produktionsreihenfolge gelesen). Und auch wenn man als Leser solchen Wechseln in der Darstellerriege skeptisch gegenüberstehen mag, es tut dem Abenteuer keinen Abbruch. Tatsächlich liest sich die Reise von Eustachius, Jill und Trauerpfützler fast noch kurzweiliger als die Queste Prinz Kaspians auf seiner Morgenröte im Buch zuvor.
Das mag daran liegen, dass im Gegensatz zu dem Seeabenteuer, das eher episodisch angelegt war, hier eine durchgehende Geschichte mit geschickt entwickeltem Spannungsbogen erzählt wird. Vom Auftrag durch Aslan über den Eulenrat, die Bekanntschaft mit Trauerpfützler, die Reise gen Norden und die Episode bei den Riesen bis hin zu dem unterirdischem Reich, in dem das Böse Prinz Rilian gefangen hält, folgen wir dem von Lewis detailreich geschilderten Weg des Trios, während dem die Kinder über sich hinaus wachsen können.
Das mag auch daran liegen, dass Eustachius und Jill als Helden irgendwie mehr Ecken und Kanten haben, als sie die Pevensie-Kinder, vielleicht mit Ausnahme von Edmund in "Der König von Narnia", je hatten. Ihnen fehlt das edle Herz, das Peter den Prächtigen schmückte, oder der tiefe, intuitive Glaube, der Lucy zu Aslans treuester Jüngerin werden ließ. Stattdessen sind sie mal streitlustig, mal pflichtvergessen – erst im Laufe der Zeit macht Narnia auch aus ihnen bessere Menschen.
Meines Erachtens liegt es aber vor allem an dem vielleicht liebenswertesten Schwarzseher, der je durch die Fantasy-Literatur geschlurft ist: Moorwackler Trauerpfützler ist eine herrlich depressive Gestalt, die ironischerweise dennoch nie den Mut verliert. Vielleicht ein augenzwinkernder Seitenhieb des Autoren auf seine Landsleute, die zwar auch gerne mal das Glas für halb leer erklären, dies aber keineswegs zum Anlass nehmen, die Flinte ins Korn zu werfen? Wer jedenfalls die alte Unke nicht nach zwei Seiten in sein Herz schließt, der muss ein recht grober Klotz sein.
Fazit: "Der silberne Sessel", der sechste (oder vierte) Band der Narnia-Chroniken, gefällt mir persönlich von allen Abenteuern, die uns C. S. Lewis in dem Land der Fabelwesen und sprechenden Tiere bislang erleben ließ, fast am Besten – nur geschlagen von dem Klassiker "Der König von Narnia" selbst, mit dem alles begann. Gerne reist man mit Eustachius, Jill und Trauerpfützler durch die abenteuerliche Handlung, und der heilsbringende Löwe Aslan hält sich diesmal dankenswerterweise auch stärker im Hintergrund als sonst. Für Freunde märchenhafter Fantasy unbedingt lesenswert – auch ohne Hollywood-Blockbuster im Rücken!
Der silberne Sessel (Die Chroniken von Narnia – Bd. 6)
Fantasy-Roman
C. S. Lewis
Ueberreuter 2003
ISBN: 3-8000-5003-X
209 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 12,95
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