von Tobias Dworschak
Die 100 Seiten des PDF, auf dem diese Rezension basiert (und das auch als Softcover-Ausgabe existiert), bieten das gewohnt zweispaltige Layout, sind vollfarbig und mit stimmigen Illustrationen versehen. Sowohl Erscheinung als auch Übersetzung behalten das bisher hohe Niveau bei; alles andere wäre auch überraschend gewesen. Die Seiten sind gut genutzt und wie immer bei den Abenteuerpfaden umfasst das PDF die Karten des Bandes als separate Seiten.
Das Abenteuer stammt aus der Feder von Richard Pett, dem wohl der Ruf vorauseilt, besonders herausfordernde Abenteuer zu schreiben und den ich als Autor von Abenteuern zu schätzen gelernt habe. Das Titelbild wird von Cadrilkasta dominiert, einer blauen Drachin, die nicht nur in dem Abenteuer eine zentrale Rolle spielt, sondern die es außerdem als Modell aus der Reihe „Pathfinder Battle“ gibt.
Die letzten beiden Scherben – und damit sei wieder vor den Spoilern zum Abenteuer gewarnt! – befinden sich in Schulddorn. Natürlich erfahren die Charaktere dies, indem sie die zuletzt gewonnene Scherbe befragen. Gut, dass dieser Mechanismus nun zu einem Ende kommt. Schulddorn selbst ist ein ganz interessantes Setting: ein von geschmolzenem Gestein eingeschlossener Turm aus den Zeiten des alten Thassilons. Die Charaktere sollten inzwischen Stufe 13 erreicht haben und können genug Erfahrungspunkte sammeln, um am Ende kurz vor Stufe 16 zu stehen.
Das Abenteuer selbst gliedert sich in drei Teile, die allesamt – der übergeordneten Idee des Abenteuerpfades folgend – in einem Gewölbe spielen. In dem ersten geht es darum, Zugang zu Schulddorn zu gewinnen. Dieser wird von Feuer- und Hügelriesen verwehrt, die im Dienste der zuvor erwähnten Drachin Ausgrabungen durchführen. Der Anführer der Riesen ist in den Besitz der vorletzten Scherbe gekommen und ihrem Einfluss verfallen. Genau deshalb bietet sich den Charakteren hier erneut die Chance, unerwartete Verbündete zu finden, denn nicht alle Riesen sind mit dem Gebaren ihres Anführers einverstanden. Allerdings hat die Allianz mit der Generälin der Feuerriesen wenig Auswirkungen auf den Verlauf der Erkundungen; immerhin ersparen die Charaktere sich hier einen harten Kampf. Es ist jedoch hervorzuheben, dass der Autor die Möglichkeit für alternative Lösungen von Begegnungen ausdrücklich vorsieht – diese Gelegenheit bietet sich im weiteren Verlauf wiederholt und eröffnet die Möglichkeit für die Charaktere, sich mit wirklich ungewöhnlichen Wesen zu verbünden, die alle ihre eigenen Ziele verfolgen.
Nachdem die Charaktere sich der Bedrohung durch die Riesen gestellt und dabei die vorletzte Scherbe erobert haben, führt diese sie geradewegs weiter in die Tiefen. Der zweite Teil spielt in der uralten Ruine Schulddorns, einem Ort voller Wunder und gefährlicher Gegner, der in erster Linie als ständige Verbindung zu der Ebene von Leng, dem Reich der Albträume, diente. Karzoug, der Runenherrscher der Gier, hatte – wie vielleicht aus dem anderen Abenteuerpfad bekannt – eine tiefe Verbindung zu jenem Reich. Hier spielt das Hauptthema des Abenteuerpfades wieder hinein – alte thassilonische Gewölbe. Durch die Nähe zu Leng und die Aktivität eines Generators in der untersten Etage, werden die Charaktere regelmäßig von Albträumen geplagt. Diese nehmen auch die Form von Wachträumen an, einem neuen Mechanismus, der einerseits eine reale Bedrohung darstellt, andererseits aber auch Rückblicke in die Vergangenheit Schulddorns liefert. Insofern handelt es sich um eine ganz interessante Eigenheit, vor allem, weil die Charaktere den Wachträumen bisher nicht begegnet sind. Der Dungeon selbst ist abwechslungsreich, vielleicht sogar schon in einem Maße, der die Glaubwürdigkeit ankratzt. Ein riesiger See (stilecht mit Monster) mitten in dem Komplex? Alte mechanische Maschinen (die immerhin bei geschickter Nutzung einen Kampf erheblich vereinfachen können)? Und natürlich die Herausforderung, der Drachin zu folgen, die durch das Portal geflohen ist, ohne dass die Charaktere hierzu allzu viele Informationen finden.
Bei der Erforschung der Hallen – genauer gesagt im Kern, einem höhlenartigen Komplex – treffen die Charaktere nicht nur auf eine Reihe großer Gegner, sondern auch auf eine Gruppe Dunkelelfen, mit denen sie sich verbünden können (und sollten). Diese Gruppe bietet dem Spielleiter eine gute Gelegenheit, die Schwierigkeit der Begegnungen zu kontrollieren – auch wenn die Drow natürlich ihre eigene Ziele verfolgen und nicht zögern, das Bündnis einseitig zu beenden, wenn sich die Gelegenheit bietet. Die letzte Ebene von Schulddorn trägt den Namen „Botschaft von Leng“ und ist um ein großes Portal herum angesiedelt, das es zu aktivieren gilt. Die Hinweise, wie dies vonstatten gehen soll, sind meiner Einschätzung nach nur vage und es erfordert vor allem Glück, hier den richtigen Weg zu finden. Andererseits kann dieser Teil mit interessanten Begegnungen und einem teuflischen Spiel zwischen Engeln und Dämonen aufwarten.
Schließlich reisen die Charaktere in einen alten Tempel nach Leng – und auch wenn „Pathfinder“ immer wieder gerne Anleihen bei Lovecraft macht, hätte es dieser hier nicht bedurft, denn Leng spielt für den Tempel keine Rolle; dieser hätte überall stehen können. Hier erwartet die Charaktere Cadrilkasta und damit auch die letzte Scherbe. Die Drachin ist ein wirklich harter Brocken, wird aber durch ihren Wahnsinn etwas abgeschwächt. Insgesamt ein würdiger Endgegner.
Es folgen die obligatorischen Beschreibungen der NSC und die besonderen Schätze, die es in dem Band zu finden gibt. Die weiteren Artikel beschäftigen sich einerseits mit den Albtraumebenen von Leng und andererseits mit Lissala, der thassilonischen Göttin der Runen, des Schicksals, des Gehorsams und der Pflicht. Hierbei erweist sich der kurze Abriss über Leng als Enttäuschung. Unter dem Titel „Leng, der Schecken jenseits der Träume“ hätte ich mir mehr erwartet als die wenigen Worte über einzelne Bewohner und Orte. Mir fehlt die Atmosphäre. Der Artikel liest sich wie eine kurze, vage Reisebeschreibung und vermag es kaum, Neugier auf diese Ebene zu wecken oder Inspiration für ein ausgedehntes Abenteuer dort zu liefern. Hinzu kommt, dass der Artikel im Hinblick auf den Teil des Abenteuers, der in Leng spielt, ohne Bedeutung ist; es besteht keinerlei Notwendigkeit für die Charaktere, hier weitere Erkundungen anzustellen.
Demgegenüber hat mich der Artikel über Lissala überzeugt – so sehr, dass sie die Göttin meines halb-orkischen Magiers geworden ist. Gut, es gibt inzwischen vielleicht fast zu viele eigene Gottheiten in Golarin. Aber Lissalas Religion ist stimmig und umfasst eine ganze Menge Aspekte – Runen, Magie, Belohnung erbrachter Leistungen, die sich gut rollenspielerisch einsetzen lassen. Da sie eine Göttin aus Azlant und Thassilon ist, hat sie in der gegenwärtigen Spielwelt kaum noch Einfluss. Hinweise auf ihren Kult lassen sich an unterschiedlichen Stellen – insbesondere natürlich thassilonischen Ruinen – finden. Komplettiert wird dieser Artikel wie gewohnt durch neue Zauber, angepasste Beschwörungslisten und die Beschreibung der Kleriker und deren Aufgaben. Diese Beschreibung ist ausführlich genug, um ein klares Bild eines typischen Priesters zu gewinnen.
Abgeschlossen wird der Band durch den vorletzten Teil der Geschichte um die Druidin Taldara sowie das Bestiarium mit vier neuen Kreaturen, die ein wenig durch das Thema Leng miteinander verbunden sind und auch in dem Abenteuer zum Einsatz kommen.
Fazit: Der Abenteuerpfad ist an einem Punkt angelangt, an dem sich die Frage stellt, wie er höherstufige Charaktere fordern kann. Riesen und Drachen sind eine gute Mischung, wobei es ein bisschen schade ist, dass eine so hochstufige Drachin wie Cadrilkasta keine zentralere Rolle spielt; die Charaktere ahnen zwar, dass es sie gibt, aber einen prominenten Auftritt hat sie nur als Endgegner mit der siebten Scherbe. Cadrilkasta hätte mehr verdient. Der erste Teil des Abenteuers ist thematisch sehr dicht und überzeugt mit den Riesen. Schulddorn fällt dagegen etwas ab; hier fehlen mir ein wenig die Gemeinsamkeit der Herausforderungen und die Linearität im Schauplatz. Zuletzt wäre der Ausflug nach Leng nicht notwendig gewesen, weil der Ort für den Tempel keine Rolle spielt. Schade – verschenktes Potenzial. Aus meiner Sicht ist „Im Inneren des Albtraums“ einer der schwächeren Teile des Abenteuerpfades.
Der zerbrochene Stern 5 – Im Inneren des Albtraums
Pathfinder Abenteuerpfad
Richard Pett
Ulisses Spiele 2013
ISBN: 978-3-86889-308-3
96 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 22,95
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