Der zerbrochene Stern 4 – Jenseits des Weltuntergangs

Einer der spannenden Aspekte des Abenteuerpfades „Der zerbrochene Stern“ ist der Besuch berühmter Orte: Zornspann, das Liebfrauenlicht und Kaer Maga – Namen, die jedem Fan von Golarion bekannt sind. Der vierte Teil der Geschichte – „Jenseits des Weltuntergangs“ – führt die Charaktere auf der Suche nach dem Bruchstück der Sihedron in die Windliedabtei.

von Tobias Dworschak

 

Die Rezension basiert auf dem PDF des Abenteuers, das wie gewohnt 100 Seiten einschließlich der separaten Karten umfasst. Über die Hälfte des Bandes nimmt das Abenteuer – diesmal aus der Feder von Tito Leati – ein. Leati hat schon für „Curse of the Crimson Throne“ und „Jade Regent“ Kapitel der Abenteuerpfade verfasst. In der Gestaltung gibt es nichts Neues: vollfarbig, zweispaltig, viele Illustrationen der NSC und eine gewohnt flüssig zu lesende Übersetzung, die nach wie vor manchmal an allzu wörtlichen Übertragungen und – was mir besonders aufgefallen ist – der fehlenden Trennung von Wörtern leidet.

Es folgt, wie ebenfalls gewohnt, die Spoilerwarnung. Wer das Abenteuer als Spieler erleben möchte, überspringt bitte die folgenden fünf Absätze.

Das Abenteuer überrascht zunächst mit einer umfangreichen Hintergrundgeschichte, die das Entstehen der Windliedabtei als Ort der Ökumene der 21 wichtigsten Götter der Inneren See erzählt – und die Geschichte ihres Falls, eingeläutet durch Arodens Tod und den Wahnsinn, dem ein Kleriker (Ardathanatus) anheim fiel. Genau dieser Kleriker ist auch der Antagonist des Abenteuers, denn inzwischen verehrt er einen aufstrebenden Qlippothfürsten, ist in den Besitz der Scherbe des Neids gelangt und hat der Abtei Rache geschworen. Seinen Plan setzt er in die Tat um, während die Charaktere in Kaer Maga beschäftigt sind. Mit einer Truppe unterschiedlicher Monster und Kreaturen überfällt er die Abtei und dringt in den tieferliegenden Groetus-Tempel vor, um dort eine Weltuntergangspforte in ein Portal zum Reich seines Herren zu verwandeln.

In dieser Situation erreichen die Charaktere – der Vision der Scherbe aus dem Dunklen Wald folgend – die Abtei. Bei einem Abstecher nach Sandspitze können sie einige Informationen über das erhalten, was sie erwartet – und sich gegebenenfalls entsprechend ausrüsten. Bevor die Charaktere die Abtei betreten können, müssen sie das kleine Dorf durchqueren, in dem die Riesen, die Ardathanatus bei seinem Angriff begleitet haben, sich die Zeit vertreiben. Sodann gilt es, sich durch die Überreste des oderirdischen Klosters zu kämpfen. Hier spielen Rotkappen eine zentrale Rolle. Außerdem besteht die Möglichkeit, einen Überlebenden des Angriffs und seine Tochter zu retten.

Dieser Teil bietet solide Dungeon-Kost: Fallen, fordernde Begegnungen, die schnell eskalieren können, weil andere Gegner in einen Kampf eingreifen und das eine oder andere – leider nicht sehr originelle – Rätsel. Durch die Rettung des Desna-Klerikers besteht für den Spielleiter die Gelegenheit, vom Angriff auf das Kloster zu erzählen und dadurch die kommenden Bedrohungen anzudeuten. Mit der Tochter des Klerikers steht den Charakteren potenziell eine tatkräftige Unterstützung zur Seite.

Weiter geht es dann in die Tiefen des Klosters, das auf den Überresten eines Groetus-Tempels zu Zeiten Thassilons erbaut worden ist. Hier warten vier relativ geradlinig angelegt Stockwerke, die mit Fallen, Monstern und Schätzen gespickt sind. Beim Lesen hat mich das aber nicht gestört (wohl auch, weil ich die Karte nicht daneben liegen hatte). Das Gegenteil ist der Fall, denn hier erwarten die Spieler wirklich interessante Herausforderungen, bei denen es sich lohnt, mit Köpfchen vorzugehen. Ardathanatus hat eine Menge Diener in seinen Dienst gezwungen; Diener, die bereit sind, ihren Anführer zu verraten und sich mit den Charakteren zu verbünden. An vielen Stellen gibt es die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen der finalen Konfrontation in die eine oder andere Richtung zu verändern. Das gefällt mir sehr, erzeugt es doch eine gewisse Dynamik, bei der ich mir gut vorstellen kann, dass das Finale des Abenteuers für jede Gruppe ein bisschen anders aussieht. Zumal – und das finde ich persönlich wirklich großartig – immer noch die Chance besteht, Ardathanatus zu retten und zur Umkehr auf seinem Weg zu bewegen.

Das Abenteuer selbst ist wieder sehr linear und bietet – im Gegensatz zu Kaer Maga – auch wenig Möglichkeiten, vom vorgegebenen Pfad abzuweichen und Abenteuer neben der eigentlichen Geschichte zu erleben. Ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass man sich bewusst auf diesen Dungeon-Crawl-Charakter einlassen muss (oder wenigstens sollte) und deshalb mag ich hier die Stringenz. „Der Asylstein“ war zu sehr Stückwerk, während „Jenseits des Weltuntergangs“ mit Religion und Dämonen ein engeres Thema bietet. Das spiegelt sich auch in den Begegnungen innerhalb des Klosters wider, so dass das Abenteuer insgesamt einen solideren Eindruck macht.

Mittlerweile zähle ich die Beschreibung wichtiger Charaktere (diesmal den Endgegner Ardathanatus, den Kleriker Casamir Azmeren und seine Tochter Koriah) sowie die besonderen Schätze zu einem Teil des Abenteuers und werde nicht müde zu betonen, wie gut sich die ausgearbeiteten NSC auch in anderen Abenteuern ansetzen lassen.

Mit Vor dem Sündenfall gibt es einen Artikel zu den Qlippoth, einer Dämonenart, die in dem Abenteuer eine wichtige Rolle spielt. Ohne Informationen aus dem „Monsterhandbuch II“ zu wiederholen, wirft der Artikel ein Licht auf die Entstehung der Qlippoth als die Art von Kreaturen, aus denen die Dämonen geboren wurden. Es gibt ein paar Einblicke darin, wie diese Wesen mit der Welt interagieren und die kurzen Beschreibungen einiger Qlippothfürsten. Den Abschluss bildet eine ausführliche Darstellung des Qlippothfürsten Yamasoth, einschließlich seiner Spielwerte.

Die Reihe der Götter der Inneren See wird mit einem Beitrag über Groetus, den Gott des Weltuntergangs, fortgesetzt. Die Beschreibung ist stimmig, allerdings von Wiederholungen geprägt. Was anfangs noch wie ein Stilmittel wirkt, um wirklich deutlich zu machen, wie gleichgültig dem Gott der letzten Dinge alles weltliche Wirken ist, fängt nach einer Weile an zu stören. Die Kleriker Groetus sind wahnsinnig, denn sie haben Visionen des Endes geschaut. Eine organisierte Kirche gibt es nicht, aber eine Menge versprengter Gruppen, die alle das Ziel ihres Herrschers fördern wollen, ohne dass das für diesen eine Rolle spielt. Wie für die Hintergrundartikel zu den Göttern üblich, finden sich hier auch Hinweise zu den Besonderheiten der Kleriker, zu Feiertagen des Gottes und seinem Verhältnis zu anderen Göttern. Da der Kult uneinheitlich ist, keiner strengen Organisation untersteht und viele Kleriker ihrer eigenen Vision des Weltuntergangs folgen – Groetus gibt keine Gebote aus – kann er immer wieder und in leichten Variationen in Abenteuern eingesetzt werden.

Insgesamt begrüße ich die Auswahl dieser Artikel, die beide das im Band präsentierte Abenteuer unterstützen und ausweiten. Hier findet der geneigte Spielleiter eine Reihe von Informationen und Ideen, um das Abenteuer weiter auszuschmücken und an mancher Steller lebendiger zu gestalten. Darüber hinaus eignen sich beide Artikel auch, um jenseits des Abenteuers Geschichte zu erzählen.

Bill Ward erzählt den vierten Teil seiner Fortsetzungsgeschichte, in dem sich die Protagonistin nach dem Sieg über die Werratten im vorherigen Teil – der natürlich gefeiert werden muss – auf die Suche nach Hinweisen zu der Droge Schimmer macht. Die Handlung ist von Nachforschungen geprägt, die Gnomin Schess rückt ein wenig mehr in den Vordergrund. Gegenüber der Action im letzten Heft fällt die Geschichte etwas ab, gönnt sich die Ruhe, um den offenen Fäden nachzugehen. Dafür, dass es nur noch zwei Teile geben wird, fehlt mir noch ein bisschen die übergeordnete Handlung, von der ich nunmehr vermute, dass sie im weiteren Verlauf zu kurz ausfallen wird.

Den Abschluss des Bandes bildet wiederum das Bestiarium. Fünf neue Monster beziehungsweise Kreaturen mit einem Herausforderungsgrad zwischen 5 und 15 warten darauf, sich wagemutigen Helden in den Weg zu stellen. Hierbei gibt es eine Ergänzung zu den Qlippoth sowie insbesondere den Herold des Groetus – Die Stimme des Weltenendes (HG 15), den ich als Gegner sehr ins Herz geschlossen habe.

Fazit: Nach meinem eher gemischten Eindruck von „Der Asylstein“ bin ich mit „Jenseits des Weltuntergangs“ wieder sehr zufrieden. Durch seine Beschränkung auf einen Ort der Handlung, sein dichtes Thema und die gelungene Umsetzung der Begegnungen, schafft das Abenteuer eine Atmosphäre, die mich beim Lesen einfängt.


Jenseits des Weltuntergangs
Abenteuerpfad
Tito Leati
Ulisses Spiele 2013
ISBN: 978-3-86889-307-6
96 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 22,95

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